Eine Rezension von Hanna Gräfe

Mord mit vielen Ungereimtheiten

Arno Meyer: Kreis des Schweigens
Reclam Verlag Leipzig, Leipzig 1996, 415 S.

Der Dornröschenweg ist wach gemordet. Wolfgang Peine, Vorstandssprecher der Bank von Deutschland, einer der mächtigsten Männer im Land, ist in der Bibliothek seines Hauses erschossen worden. Tatzeit: gegen 23 Uhr. Die Schüsse wurden von der Veranda des gegenüberliegenden Hauses abgefeuert. Wahl des Opfers, Art des Anschlags und ein Bekennerschreiben deuten auf das terroristische Kommando Jakob Frontzeck hin. Offizielle Stellen sind auch eilfertig dabei, die Ermittlungen in diesem Sinne zu führen. Bei dem aufgeklärten Leser hat es natürlich längst geklingelt. Kam so ähnlich nicht 1991 Treuhandchef Rohwedder zu Tode? Oder wie war das ein paar Jahre zuvor, 1989, im Fall Herrhausen, Vorstandssprecher der Deutschen Bank? Den allerdings eine Bombe im Auto traf. Zwei spektakuläre politsche Morde, die bis heute nicht aufgeklärt sind.

Arno Meyer erzählt eine fiktive Geschichte, aber sein Roman reflektiert ein Stück bundesdeutsche Wirklichkeit. Verpackt in eine Kriminalstory versucht er, Verstrickungen zwischen Politik, Wirtschaft und Geheimdiensten zu erhellen. War der Banker zu mächtig geworden, drohte er mit seinen Intentionen die Finanzpolitk Amerikas auf dem Weltmarkt zu stören? Das Attentat - eine internationale Verschwörung oder die Fortsetzung des Kampfes gegen das Kapital mit terroristischen Anschlägen? Es gibt viele Spuren, aber keine Beweise. Dem Autor gelingt es, die Handlung auf über 400 Seiten spannend zu erzählen. Einige Straffungen allerdings hätten dem Buch sicher gut getan, zum Beisiel die Passagen, in denen beständig die Rolle Peines erklärt wird. An manchen Stellen scheint der von Macht, Gewalt und Geld festgefügte Kreis des Schweigens durchlässiger zu werden. Zweifel an den Terroristen als Täter sind angebracht. Aber als Feindbild sind sie immer gut. In einer vielschichtigen Handlung zwischen Hamburg, Berlin, München und Bonn verfolgt der Autor beständig neue Verbindungen und Hintergründe. Dieter Ganske, ein Ermittler des Bundeskriminalamtes, recherchiert in eigenem Auftrag, entdeckt interessante Zusammenhänge und Details. Auch er wird ermordet. Eine Journalistin, die Ex-Freundin Ganskes, und ein befreundeter Fotograf, nehmen seine Fährte auf, verfolgen vor allem die RAF-Spur. Die beiden sind richtige Tausendsassas, und bald jagt jeder jeden. Der gewitzten Corinna gelingt es sogar, einen hochrangigen Beamten des Bundeskriminalamtes außer Gefecht zu setzen. Am Schluß gibt's eine Audienz beim Kanzler. Der selbst hat Interesse an dem Fall. Schließlich stehen Wahlen vor der Tür.

Als weitere Dimension in diesen Kreis des Schweigens bringt Meyer die Macht der Medien ins Spiel. Das ist schon aufschlußreich und treffend beobachtet, wie am Beispiel des Streckerschen Verlagshauses in Hamburg die Konzentration im Medienbereich und die Besetzung der Schlüsselpositionen mit regierungstreuen Leuten geschildert wird. „Die neue Quelle der Macht ist nicht mehr das Geld, sondern die Information in den Händen von wenigen.“ Solche Wahrheiten finden sich mehrere im Buch, so wenn Korruption als das „Schmieröl in unserer Gesellschaft“ benannt oder resümiert wird „Politik hatte noch nie etwas mit Moral zu tun ... Moral ist Futter für die Dummen. Sie hält sie bei der Stange.“ Diese Sentenzen ergeben sich zwar schlüssig aus der Handlung und sie dienen auch der Charakterisierung von Personen und Verhalten, dennoch lösen sie nicht den bekannten Aha-Effekt aus. Und der Leser ahnt natürlich, daß K. J. F., die Abkürzung für das Kommando Jakob Frontzeck, ein Fingerzeig zu J. F. K. sein soll.

Arno Meyers Roman Kreis des Schweigens zeichnet ein aktuelles, facettenreiches Zeitbild. Er schildert einen politischen Mord und ein Stück RAF-Geschichte. Aber eigentlich wäre mir im gegebenen Fall ein spannender Dokumentarbericht lieber. Warum hat eigentlich noch keiner die „wahre“ Geschichte über den Herrhausen- oder Rohwedder-Mord geschrieben? Es müssen ja nicht gleich so viele Versionen wie bei J. F. K. sein.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 05/97 (c) Edition Luisenstadt, 1997
www.berliner-lesezeichen.de

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