Eine Rezension von Helmut Fickelscherer

Absage an Antiutopien

Drei neue SF-Bücher von Alexander Kröger

„Kein anderes Gebiet der Literatur kann für sich in Anspruch nehmen, Fachleute kreativ zu stimulieren, eingestandenermaßen begründeten Zukunftsoptimismus zu geben und dennoch Millionen Leser spannend zu unterhalten ...“, schrieb Alexander Kröger über die Science-fiction in dem Almanach Jedes Buch ist ein Abenteuer (Verlag Neues Leben). Das war 1986, das Genre der SF war eines der beliebtesten und die Sache mit den Millionen Lesern nicht übertrieben. Drei Jahre später, mit der Wende, brach der Höhenflug der DDR-SF schlagartig ab, die Leser wandten sich anderen Büchern, vor allem anderen Medien zu, und die mit der Veröffentlichung der Wissenschaftlichen Phantastik und der utopischen Literatur befaßten Verlage stellten die Produktion dieser Bücher ein. Auch das anfangs so große Leserinteresse an den bunten SF-Bänden der Verlage aus den alten Bundesländern ließ bald nach.

In den letzten zwei, drei Jahren nun scheint sich das SF-Genre in den neuen Bundesländern etwas zu erholen. In mehreren kleinen Verlagen gibt es Neuerscheinungen bekannter SF-Autoren aus der ehemaligen DDR. Auch Alexander Kröger, der bis zur Wende ein Dutzend erfolgreiche wissenschaftlich-phantastische Romane veröffentlichte, meldet sich auf beeindruckende Weise zurück: 1996 erschienen drei ansprechend und einheitlich gestaltete neue Bücher von ihm (eines davon, Vermißt am Rio Tefé, war bereits 1994/95 in einer anders ausgestatteten Erstauflage auf dem Markt). Bei der Veröffentlichung dieser Bände ging er - zusammen mit seiner Frau - einen bemerkenswerten, sicher beschwerlichen, aber dennoch erfolgreichen Weg. Sie erschienen im Eigenverlag, den seine Frau betreut: im „KRÖGER-Vertrieb Cottbus“.

Handlungsort aller drei neuen Bücher Alexander Krögers ist der Planet Erde, hier existieren die Konflikte, die zu Lösungen drängen, hier kann der Autor unter anderem auch eines seiner Grundthemen realisieren: „Gestaltung des einzelnen, der auf sich allein gestellt ist ...“ (zitiert aus: Die Science-fiction der DDR. Autoren und Werke. Ein Lexikon).

In dem Roman Vermißt am Rio Tefé stürzt der amerikanische Testpilot Jonathan McLand mit dem Prototyp eines hochcomputerisierten Militärflugzeugs über dem brasilianischen Regenwald ab, nachdem er völkerrechtswidrig ohne Erlaubnis über fremdem Territorium einen Übungsflug absolvierte. Er gilt seither als verschollen.

Monate später verschwinden im Gebiet des Rio Tefé mehrere Menschen spurlos, meist handelt es sich um „Holzwilderer“, die trotz strengen Verbots Urwaldbäume fällen, um die Stämme zu verkaufen oder um eine nicht genehmigte Urwaldstraße anzulegen. Einer der Vermißten, Nat Brown, kehrt zurück und berichtet von einem furchteinflößenden Gefährt, das die Holzfäller mit zwei Laserkanonen angegriffen hat, als man mitten bei der Arbeit war und die Bäume zu Boden stürzten. Er ist der einzige Überlebende der Gruppe. Das Landesumweltinstitut rüstet eine Expedition aus, um die Vorgänge zu klären, und der Fall bekommt Brisanz, als der Tod einer indianischen Großfamilie mitgeteilt wird, die in den Laserstrahlen umkam und möglicherweise einem Massaker an der Urbevölkerung zum Opfer fiel. Nat Brown nimmt an der Erkundung teil, und so findet man die Gegend relativ schnell, in der die Maschine wütet, die unterdessen weitere Menschen tötete. Und man entdeckt die Absturzstelle des Militärflugzeugs. Der Pilot ist nicht aufzufinden, doch er hat anscheinend überlebt, denn rings um das Flugzeugwrack sind „technisches Wirken und siedlerisches Tun auszumachen“.

In einer Ledertasche stecken Tonkassetten, auf die der schwerverletzte Jonathan McLand ein Tagebuch aufgesprochen hat, ein erschütterndes Zeugnis, wie der an den Beinen Gelähmte ums Überleben kämpfte und nie aufgab. Um zu den Menschen zurückzufinden, baute er trotz der Behinderung aus Flugzeugtrümmern und dem sich selbst regenerierenden Bordcomputer ein Gefährt, das mittels der Laserkanonen das Pflanzengewirr durchdringen sollte.

Wie es dazu kam, daß dieses Fahrzeug ohne den Piloten gleichsam Amok lief, das schildert Alexander Kröger mit viel Sinn für Spannung. Viele erinnern sich an die Abenteuer der Robina Crux auf dem fernen Kristallplaneten - einen der gelungensten Romane des Autors -, jetzt erneut eine Robinsonade, wobei der Regenwald dem technikverwöhnten Testflieger Jonathan McLand anfangs auch wie ein fremder, lebensfeindlicher Planet erscheint. Zunehmend ist McLand jedoch fasziniert von dieser blühenden, sehr lebendigen, regenerierungsfähigen Natur, und er beginnt zu begreifen, was es für die Menschheit bedeutet, wenn dieser Teil unseres Planeten für immer ökologisch zerstört wird: „Du glaubst nicht, wenn du hier ringsum all das Lebendige siehst, daß vielleicht nur hundert Meilen entfernt die unaufhaltsam - unaufhaltsam? - vorrückende sengende Front brodelt. Wenn ich hier herauskomme, ich bin überzeugt, gleichgültig und inaktiv werde ich nicht mehr sein können ...“

Eine ähnliche Verantwortung spürt auch die Wissenschaftlerin Ursula Brest in Krögers Roman Mimikry, als sie erfährt, daß ihre Erfindung, ein Verfahren zur Wandlung der Zellstruktur, nicht zur Wiederherstellung z. B. von bei Unfällen zerstörten Gesichtern verwendet werden soll, sondern dafür, Waffenschiebern und anderen Gangstern ein neues Aussehen zu verschaffen, wenn die Polizei ihnen auf die Spur kommt. Zudem befürchtet sie, daß ihr Chef sie aus dem Weg räumen wird, wenn er erst weiß, wie das Verfahren funktioniert. Sie nimmt Wandler und Software, gibt sich für ihre Schwester aus, die ins Ausland geheiratet hat, also nicht so schnell auftauchen wird, nimmt deren Namen an und zieht in die ehemalige DDR, die sich gerade anschickt, sich der Bundesrepublik anzuschließen. In einer einstigen LPG, jetzt GmbH, tief im Mecklenburgischen, die sich mit Meristemkultur und Keimteilung befaßt, findet sie Arbeit, ehe die allgemeine Arbeitslosigkeit auch in dem Dorf um sich greift. Aber bald ist ihr der ehemalige Arbeitgeber auf der Spur, ein Detektiv hat sie aufgespürt, und der Chef schickt ihr einen gewalttätigen Menschen auf den Hals, der sie zur Rückkehr „überreden“ soll. In ihrer Verzweiflung wendet sie den Wandler bei sich an und nimmt das Aussehen ihrer neuen Arbeitskollegin und Freundin Nicole an, die vor kurzem in die alten Bundesländer verzogen ist und ihr die Wohnung hinterlassen hat. Aber sie findet keine Ruhe; der Gewalttätige will nun aus der vermeintlichen Nicole den neuen Aufenthaltsort der Gesuchten herauspressen, und eines Tages steht auch die echte Nicole wieder vor der Tür ...

Diese Geschichte wirkt fast wie ein Kriminalroman, gewinnt aber ihren Unterhaltungswert vor allem aus der gekonnten Schilderung der Schwierigkeiten bei der Übernahme einer neuen Identität, was den Alltag, die Arbeit im Betrieb, aber auch die Partnerschaft betrifft. Ein weiteres Plus des Romans ist die Beschreibung der Eingewöhnungsphase der jungen Wissenschaftlerin aus den alten Bundesländern in ihrer neuen Umgebung. Geht sie anfangs auf Distanz - „Wenn wir euch Ostler ganz übernehmen, gewöhnen wir euch das (was sich wahrscheinlich auf etliche Dinge erstreckt) ab!“ -, so findet sie sich bald zurecht und fühlt sich zunehmend heimisch und integriert. Das hat der Autor mit viel Einfühlungsvermögen gestaltet; weniger überzeugend ist der Einschub der Episode von einem Wasserleitungsbau in der ehemaligen DDR, die ein bißchen wie ein Fremdkörper wirkt und deren Aufnahme höchstens dadurch gerechtfertigt ist, daß man das Alltagsverhalten in der DDR im Gegensatz zu den neuen Verhältnissen besser kennenlernt, aber das ist wohl nicht genug und im durchaus gelungenen Kontext gar nicht notwendig.

In ihren Anfängen war die Science-fiction ein Genre für Erzählungen, vor allem für Short stories. Und heutzutage ist es erfreulich, wenn diese Tradition weiterhin gepflegt wird. Alexander Kröger hatte bisher neben seinen Romanen nur zwei SF-Geschichten veröffentlicht, nun liegt aber unter dem Titel Die Mücke Julia ein Band mit neun SF-Stories vor (einschließlich der zwei bereits erschienenen). Und das sind Geschichten, die man gern liest, voller Einfälle, humorvoll, aber auch nachdenklich stimmend - ein breites Spektrum.

Eine erotische Zeitreisegeschichte („Das Mal“) steht neben der tragischen Story von den geklonten Männern, die von der Gesellschaft abgelehnt werden („Wiederkehr“, erstveröffentlicht 1983). Die hartgesottene Stationsschwester Hildegard gerät aus dem seelischen Gleichgewicht, als ein anscheinend schwangerer Mann eingeliefert wird („Emanzipation“), und der Konstrukteur Tom Sajdel wird Opfer seiner eigenen Erfindung, eines Kästchens, das mit phasenverschobenen Gegenwellen Geräusche jeder Art eliminiert („Der Lautloser“). Ein Mathematikstudent rechnet zufällig Satellitenbahnen nach und kann dadurch einen hinterhältigen Anschlag aufdecken („Treff im Sektor 17“), und die Kriminalistin Susan Lahr ist einem verbotenen Atomreaktor auf der Spur („Restrisiko“). Eine Mücke saugt an den Blutproben in einem Forschungslabor, das hermetisch abgeschlossen sein müßte („Die Mücke Julia“), und Nils Main, der, in eine Schabe verwandelt, die Fortpflanzung der Kakerlaken genetisch verhindern soll, wird sich nicht wieder rückverwandeln, als er ein Schabenweibchen kennenlernt („Das Abartige“, 1985 erstveröffentlicht als „Eine unumkehrbare Mutation“). Die abschließende Geschichte („Die Wunscheule“) ist eine originelle SF-Variation des Aschenputtel-Märchens, wobei die Stiefmutter nicht in (vielleicht mikrowellig?) aufgeheizten Schuhen tanzen muß und auch keine blutigen Schuhanpaßversuche stattfinden. Ein freundlicher Ausklang also in einem originellen Band.

Auf der diesjährigen Leipziger Buchmesse war auch der „KRÖGER-Vertrieb Susanne Routschek“, Cottbus, vertreten, ausgestellt wurden alte und neue Bücher Alexander Krögers, und das Interesse war beachtlich. Die Wirren der Wende, allgemeine Krisenstimmung und weithin verbreiteter Zukunftspessimismus haben die schöpferische Schreiblust des erfolgreichen Autors nicht gebremst. „Und ich bin sehr geneigt, ... Ratio und Pragmatismus, Überlebenswillen und Kreativität des Menschengeschlechts ... zu preisen.“ Das steht im Roman Vermißt am Rio Tefé. Es klingt wie ein Credo.

Alexander Kröger: Vermißt am Rio Tefé
Science Fiction Roman
KRÖGER-Vertrieb Susanne Routschek, Cottbus 1996, 224 S.

ders.: Mimikry
Science Fiction Roman.
KRÖGER-Vertrieb Susanne Routschek,Cottbus 1996, 167 S.

ders.: Die Mücke Julia
Science Fiction Stories.
KRÖGER-Vertrieb Susanne Routschek,Cottbus 1996, 164 S.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 05/97 (c) Edition Luisenstadt, 1997
www.berliner-lesezeichen.de

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