Eine Rezension von Thomas Przybilka

„Gonzo“ zum Ersten und zum Zweiten

H.-P. Karr & Walter Wehner: Geierfrühling
Haffmans Krimi bei W. Heyne Verlag, München 1996, 213 S.

dies.:
Rattensommer
Haffmans Verlag, Zürich 1996, 235 S.

Video-Geier nennt man diejenigen Zeitgenossen, die überall dort zu finden sind, wo es Tod, Blut und Chaos gibt. „Gonzo“ Gonschorek ist selbständiger Kameramann und ein Video-Geier, immer mit einem Ohr am Polizeifunk. Seine Arbeiten verkauft er an die sogenannten Reality-Magazine. Dieses Berufsleben hat aus Gonzo einen Zyniker gemacht. Der Mord an einem „Schwarzen Sheriff“ in der Toilettenanlage des Essener Hauptbahnhofs läßt eine Story wittern, die schnelles Geld bringt. Zumal Gonzo zu wissen meint, wer der Mörder ist. Doch so einfach, wie der Fall zunächst aussieht, ist er beileibe nicht. Bei seinen Recherchen kommt Gonzo nicht nur ganz schön ins Schwitzen, sondern auch in Lebensgefahr. Eine Melange aus wehrsportübenden Wochenend-Nazis, Schmiergelderpressung, Brutalo-Skins, türkischer Drogen-Mafia, polnischen Prostituierten und korrupten Polizisten läßt Gonzo mehrfach in brenzlige Situationen stolpern und um sein Leben fürchten.

Geierfrühling ist ein gut und flott geschriebener Kriminalroman voller Milieudichte, der daneben auch aktuelle gesellschaftliche Probleme aufgreift. Auch für Nicht-Essener sehr zu empfehlen. Karr & Wehner verarbeiten im Sinne des bereits von Raymond Chandler praktizierten cannibalizing Teile ihrer eigenen Kriminalkurzgeschichten „Laubenbrand“ und „Happy Birthday, Führer“. Die beiden Autoren werden als die ältesten Newcomer des deutschen Kriminalromans angesehen. Ihre stets gut recherchierten Plots erzählen vom Lebenlassen und Lebennehmen in der Großstadt. Hardboiled Krimi und Milieustudie ergänzen sich hervorragend.

Den beiden „ältesten newcomern der Krimiszene“ (Bonmot und Eigenwerbung) ist mit Rattensommer, dem zweiten Teil der Gonzo-Ruhrpott-Tetralogie, ein herausragender Krimi und ein guter Wurf unter der Vielzahl deutschsprachiger Neuerscheinungen gelungen.

Hochsommer in Essen, die Temperaturen liegen über 30 Grad, Urlaubs- und Saure-Gurken-Zeit. Gonschorek hält sich mit wenig lukrativen Gelegenheitsaufträgen über Wasser, als er in einer Bildagentur zufällig Fotos der letzten Mordopfer des „Ruhrkillers“ zu sehen bekommt, der seit einiger Zeit sein Unwesen im Revier treibt. Dieser „Ruhrkiller“ mißhandelt und mißbraucht junge Frauen brutal, tötet und verstümmelt sie und wirft sie ins Wasser des Rhein-Herne-Kanals. Vier Opfer hat er bereits auf dem Gewissen, und die Essener Polizei hat eine Sonderkommission gebildet, die davon ausgeht, daß alle diese Frauen Opfer sogenannter Snuff-Pornos wurden. Gonzo, zeitweise auch Kameramann bei einem Produzenten von Billigpornos, wird aufmerksam, als er in dessen Studio ein offenbar verletztes Model entdeckt. Ausgerechnet dieses Model wird als weitere verstümmelte Leiche aus dem Kanal geborgen.

Karr & Wehner haben sich zu Recht mit diesem Krimi den begehrten „Glauser-Krimipreis der Autoren“ erschrieben. Ein rasanter Krimi, perfekt und rund, ohne Längen und schwermütige Philosophie. Das Autorengespann hat es ausgezeichnet verstanden, Zeit und Zeitgeist exakt zu treffen und detailliert darzustellen. Ebenso stimmig, wie die Protagonisten dargestellt sind, treffen Karr & Wehners Schilderungen das Großstadtmilieu im Revier. Temporeich und unangestrengt, teilweise humorvoll aber auch zynisch wird von beiden Autoren ein realistischer Kriminalroman vorgelegt, der sogar das Prädikat (deutscher) hard-boiled Krimi vertragen dürfte.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 05/97 (c) Edition Luisenstadt, 1997
www.berliner-lesezeichen.de

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