Wiedergelesen von Klaus M. Fiedler

Wolfgang Schreyer: Tempel des Satans

Deutscher Militärverlag, Berlin 1961, 384 S. (Tb)

In gelber Schrift steht der Titel auf dem Taschenbuch aus dem Jahre 1961: Tempel des Satans. Etwas kleiner in Weiß auf schwarzem Untergrund in schräggestellten Lettern der Name des Autors: Wolfgang Schreyer. Und unter einer Zeichnung, die ein heranbrausendes Flugzeug über der Skyline einer Großstadt und das Porträt eines Mädchens mit rostbraunem Haar und leuchtend rotem Mund zeigt, der Preis: 1,50. Spannung, Unterhaltung für Pfennige. So war's damals. Und die Erinnerung kommt schnell, kaum sind die ersten Seiten gelesen. Ich habe diesen Roman von Wolfgang Schreyer, wie manchen anderen von ihm, in jenen Jahren mit Begeisterung und in einem Zug „verschlungen“. Das war für einen jungen Leser wie mich Abenteuer pur, der Hauch der großen (fernen) Welt, die einen anzog und zugleich abstieß. Dort leben im Schatten der Wolkenkratzer, den Symbolen der Macht, der Stein gewordenen Kälte? Schwer vorstellbar. Phil Nordfors, die Hauptfigur des Romans, nennt in Gedanken angesichts der himmelwärts strebenden Gebäude, in denen sich Banken, Versicherungen und Zeitungsriesen ihre Zentralen errichtet hatten, diese Kolosse „Tempel des Satans“. Und er weiß: „Ihre Macht war böse. Über den Menschen triumphierte der Dollar...“ Nichts Erstrebenswertes also. Und - auch durch Werke wie Tempel des Satans geprägt - die Gewißheit: Du lebst auf einer anderen Seite der Welt, auf der richtigen. Das Schwarz-Weiß jener Jahre; hier das Gute, dort das Böse; hier der Fortschritt, dort der moralische Verfall. Noch gab es Illusionen.

Wolfgang Schreyer, ein Magdeburger des Jahrgangs 1927, hat einmal über eines seiner Werke gesagt, es sei „ein mit Aktionsmitteln geschriebener Gesellschaftsroman“. Diese Charakteristik trifft auch auf Tempel des Satans zu. Es ist die Geschichte des Reporters Phil Nordfors, der noch an die Macht des Wortes glaubt. Ein Mann, der die Amerikaner warnen will vor den wahnwitzigen Plänen der Rüstungsindustrie und der scheitern muß, weil er als einzelner nichts gegen die Mauer aus Korruption und Verschleierung, aus Karrieredenken und Opportunismus auszurichten vermag. Nordfors will ein Held sein, ein unerbittlicher Mahner und begreift nicht, daß er Teil dieser Maschinerie ist. Im zweiten Teil des Buches erhält er eine neue Chance, sich und seine Überzeugung zu präsentieren: Nach einer Havarie, muß er, der Ex-Pilot, eine Passagiermaschine auf einen Flughafen zurückbringen. Die Macht, die ihm plötzlich in die Hand gegeben ist, verführt ihn erneut. Nun, so glaubt er, kann er die Bedingungen diktieren, die Veröffentlichung seines aufrüttelnden Textes durchsetzen. Nordfors überschätzt sich und die Situation erneut. Ihm gelingt die Landung des defekten Flugzeugs, doch niemand ist da, der ihn anhören will. Er ist isoliert: „Seine Gestalt warf Schatten über den Beton von La Guardia. So stand sie allein am Wrack, und vorn schritt ein einsamer Mann auf den Rand des Flugfeldes zu.“

In Tempel des Satans versteht es Wolfgang Schreyer wie auch in den meisten seiner anderen Werke, ob Abenteuer- oder Kriminalromanen (zum Beispiel Großgarage Südwest, Unternehmen Thunderstorm, Der Traum des Hauptmann Loy, die Trilogie Die dominikanische Tragödie mit den Teilen Der Adjutant, Der Resident, Der Reporter) vortrefflich, Fiktives mit Dokumentarischem, mit zeitgeschichtlichen Vorgängen zu mixen. Als Unterhaltungsschriftsteller gehörte er zu recht in der DDR zu den meistgelesenen Autoren.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 05/97 (c) Edition Luisenstadt, 1997
www.berliner-lesezeichen.de

zurück zur vorherigen Seite