Literaturstätten von Klaus M. Fiedler

Mit Edgar Wallace begann alles

Die Buchhandlung TATORT
hat sich auf Kriminalliteratur spezialisiert

„Hier schlägt das Verbrechen zu. Hier ist der Tatort.“
Iris Schweigert lächelt, als sie diese Worte sagt und macht eine einladende Handbewegung in ihr kleines Reich. Ein Reich aus Büchern. Bücher über die Schattenseiten des Lebens. Bücher über Verbrechen. Iris Schweigert ist die Herrin über Berlins einzige Kriminal-Buchhandlung, und sie gab ihr den treffenden Namen TATORT. Den Standort ihres Ladens, der 1990 geöffnet wurde, habe sie mit Bedacht gewählt, erzählt die gelernte Buchhändlerin: eine gute Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel, zentrale Lage und „die Nähe eines Rotlichtmilieus“. Und das alles war mit der Schöneberger Motzstraße (in Sichtweite die U-Bahn-Station Viktoria-Luise-Platz, 15 Minuten Fußweg zum KaDeWe am Tauentzien) gegeben. Auch das Rotlichtmilieu? „Damals schon“, blickt Iris Schweigert zurück, „damals genoß die nahegelegene Potsdamer Straße diesen Ruf der Verruchtheit.“ Inzwischen habe sich das ein wenig in den Ostteil der Stadt in die Oranienburger Straße verschoben, fährt sie fort. Doch nun sei TATORT bei den Insidern längst bekannt und brauche die „Werbung der Straße“ nicht mehr.

Schon von Kindheit an wollte Iris Schweigert einen „Beruf mit Büchern“. „Mit zwölf“, erinnert sie sich, „habe ich das schon meiner Mutter mitgeteilt.“ Und die war auch nicht überrascht, denn die kleine Iris las, wo sie ging und stand. Aus der Familienbibliothek und aus der „sehr reichhaltigen Bibliothek einer Nachbarin“ holte sich das wißbegierige Mädchen Buch um Buch, und es waren schon sehr bald auch Kriminalromane dabei. „Mit Edgar Wallace begann alles“, weiß Iris Schweigert heute noch, „und natürlich mit Agatha Christie.“ Und das Interesse an spannender Literatur blieb und wurde später, nach beendeter Buchhändler-Ausbildung, gar zum Zentrum der beruflichen Ambitionen. Schon 1980 wollten Iris Schweigert und ihr damaliger Mann, der beim Sender Freies Berlin mit Kriminalfällen zu tun hatte, eine Buchhandlung eröffnen. „Damals sollte es noch ein allgemeines Sortiment sein“, ergänzt unsere Gesprächspartnerin, „doch mit einem erweiterten Krimi-Bereich.“ Das Vorhaben zerschlug sich aus verschiedenen Gründen, nicht aber der Traum der mittelgroßen Frau mit dem kurzgeschnittenen Haar und den klugen Augen hinter einer dunkelgerandeten Brille. 1990 wagte sie es noch einmal - nun mit Erfolg. „Die achtziger Jahre waren dafür ausschlaggebend“, weiß Iris Schweigert heute, „damals boomte der Kriminalroman, viele Verlage brachten eigene Krimireihen heraus.“ Zu ihrem Entschluß, keine allgemeine Buchhandlung mit Krimi-Bereich, sondern eine spezialisierte Krimi-Buchhandlung zu eröffnen, steht sie heute noch: „Allgemeine Buchhandlungen, vor allem kleine, haben es sehr schwer. Die Chance des Überlebens besteht meiner Meinung nach nur in einer Spezialisierung des Angebots.“

Liest die TATORT-Besitzerin nun immer noch mit Vorliebe Krimis? „Das muß ich wohl. Schließlich will ich ja meine Kunden beraten.“ Doch hin und wieder nimmt Iris Schweigert auch ein anderes Buch zur Hand. „Das hängt sicher mit der zunehmenden Verrohung unseres Alltags zu tun“, vermutet sie. „Man liest tagtäglich von schrecklichen Dingen, von Aggression und steigendem Gewaltpotential. Da brauche ich dann auch mal ein literarisches Gegengewicht.“

Natürlich hat eine Buchhändlerin Lieblingsautoren. Iris Schweigert bevorzugt die Männer und Frauen, die an ihr Schreiben „einen hohen literarischen Anspruch stellen“, und sie nennt unter anderem Chester Himes, Fran Dorf oder Elisabeth George. In dem Zusammenhang lobt sie auch den Goldmann Verlag und dessen neue Krimi-Reihe „Das besondere Taschenbuch“ mit nach ihren Worten „exzellenten Krimis“.

Die Verkaufsphilosophie der Buchhändlerin läßt sich mit einem Satz umschreiben: Sie möchte jedem Kunden möglichst schnell das geforderte Buch übergeben können. Wenn man nun aber weiß, daß jährlich etwa 600 bis 700 Krimi-Taschenbücher und noch einmal rund 300 Hardcover-Krimis auf dem Markt erscheinen, dann wird die Bedeutung des eigenen Anspruchs erst recht deutlich. „Die moderne Technik hilft da sehr“, erläutert Iris Schweigert. „Wir können mit dem Computer sofort das gewünschte Buch bestellen und haben es zumeist innerhalb von vierundzwanzig Stunden auf dem Tisch.“ Zudem habe sich der Aufbau eines eigenen Antiquariats als „unschätzbar wertvoll“ erwiesen. So kann die TATORT-Besitzerin auch ausgefallene Wünsche befriedigen. Mancher wünscht sich die Komplettierung einer einst von einem Verlag ins Leben gerufenen Reihe; ein anderer beispielsweise möchte gern sämtliche 66 von Diogenes über mehrere Jahre verteilt herausgegebenen Maigret-Taschenbücher besitzen - er bekommt sie von Iris Schweigert und dazu noch, als kleine Aufmerksamkeit, ein Simenon-Plakat.

Um ihren kleinen Buchladen in der Motzstraße weiter bekannt zu machen oder ihn im Gespräch zu halten, veranstaltet Iris Schweigert, die ihr Geschäft allein führt, allerdings stets einen Azubi ausbildet, etwa sechsmal im Jahr Lesungen. Sie würde gern öfter in ihren TATORT einladen, doch die Finanzen gestatten es nicht, und noch vor Jahren für solche Aktionen genehmigte Fördermittel fließen nicht mehr. Mit der Deutschen Staatsoper hat die engagierte Frau „einen joint venture“ abgeschlossen, wie sie schmunzelnd meint. In ihrem Schaufenster wirbt sie mit einer lebensgroßen, in ein klassisches Ballettkostüm gekleideten Puppe und entsprechenden Informationstafeln für den Ballettkrimi von Maurice Béjart Le Concours; im Gegenzug finden sich in einer Schauvitrine an der Oper Unter den Linden Informationen über die Buchhandlung TATORT. Dort, in der Motzstraße, gibt es natürlich auch die 1997 ins Leben gerufene, allmonatlich erscheinende „Die Krimizeitung“ und Informationen über eine Stadtrundfahrt, überschrieben mit „Tatort Berlin“. An jedem ersten Sonntag im Monat führt Krimi-Autor Peter Steinmann zu den interessantesten Tatorten der letzten 100 Jahre; von der schönen Agentin Mata Hari oder den Tresorknackern Franz und Erich Sass, von Hellseher Erik Jan Hanussen oder dem Betrüger Otto Witte, der zum König von Albanien gekrönt wurde, wird dabei auf der rund dreistündigen Tour berichtet. Krimi total also - und mittendrin der TATORT.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 05/97 (c) Edition Luisenstadt, 1997
www.berliner-lesezeichen.de

zurück zur vorherigen Seite