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Der Kommissar - der Nachbar
von nebenan

Stumph über Stubbe - Begegnung mit dem Fernsehkommissar
der ZDF-Reihe „Von Fall zu Fall“

Krimis überall. In der Kunst wie im Leben. Wo über's Fernsehen Mord und Totschlag ins Haus kommen, ist außer den „üblichen Verdächtigen“ auch der Kommissar nicht weit. Ob als Leser, Film- oder Fernsehgucker - jeder hat da seine Lesarten und Vorlieben. Auf Anhieb fallen einem meist ein Dutzend Namen ein. Helden aus Büchern und Filmen. Einer, der so gar nicht ins Gewohnheitsraster paßt, ist Hauptkommissar Stubbe: sächselnd, mit Schnauzbart, freundlich, offen. Das kann schnell umschlagen. Ist der Täter ins Netz gegangen, bleibt nicht viel Gemütlichkeit. Das Publikum hat der Dresdner Schauspieler und Kabarettist Wolfgang Stumph längst auf seiner Seite. Rund sechs Millionen Zuschauer schalteten samstagsabends die Krimi-Reihe (bisher sieben Teile) ein. Rezensenten bezeichnen „Von Fall zu Fall“ als „Glücksfall“. In diesem Frühjahr entstehen in den Hamburger Studios vier neue Folgen.

Stumph alias Stubbe - nicht nur im Drehteam geraten machmal die Namen durcheinander. Wolfgang Stumph nimmt das gelassen. Schließlich hat er sich den Kriminalkommissar selbst geschaffen. Er ist gewissermaßen sein „Wunschkind“. Stubbe kam in die Welt, weil Stumph sich neben dem Trabi fahrenden Strutz aus Go, Trabi, go und dem Postbeamten Stankoweit aus Salto Postale, der erfolgreichsten deutschen sitcom, weitere Aktionsfelder erschließen wollte. Angebote, als sächsischer Polizist einen Kinofilm mit Jürgen von der Lippe zu drehen oder als einfältiger Sachse die Welt auf dem Traumschiff zu bereisen, lehnte er ab. „Ich wollte nicht festgelegt werden und wußte, daß ich selbst etwas dagegen tun muß“, sagt er. Einen Kommissar erwartete wohl kaum einer von dem sächsischen Vollblutkomödianten. Dabei hatte er schon etwas Polizeierfahrung in einem Kinderfilm gesammelt. Doch Wolfgang Stumph ist immer gut für Überraschungen. In einer Zeit, als Ost-Kommissare in der Kunst wie im wirklichen Leben in den Vorruhestand abdanken mußten, vom Dienst suspendiert oder einen Westler vor die Nase gesetzt bekamen, stellte er die Sache auf den Kopf. Kein Wunder, der Mann ist gelernter Kabarettist. Nicht ein Wessi erhält sein Eigentum im Osten zurück, sondern die Gattin erbt in Hamburg und zieht mit Mann und zwei Kindern vom Plattenbau in Dresden zu Tante Charlotte in eine noble Hamburger Villa. Diese Grundidee schafft spannende Konflikte beruflicher und familiärer Art ebenso wie komische Situationen. Und ein Kommissar mit Familie (das entspricht auch Wolfgang Stumphs Lebensart) bringt zugleich ein Stück Normalität. „Er könnte der Nachbar sein, dem man nicht ansieht, ob er Eisenbahner, Taxifahrer, Angestellter oder Polizist ist. Er ist nicht cool, trägt keinen Drei-Tage-Bart und ist kein Held“. Statt Knarre und Aktion setzt er auf Intuition und Menschlichkeit.

Stubbe, Strutz, Stankoweit, Stumphi - es ist kein Zufall, daß alle Rollen mit „St“ beginnen. „Das ist ein äußeres Zeichen“ erzählt Wolfgang Stumph, „daß die Figuren ein bissel mit mir zu tun haben und daß ich in den Situationen, die ich zu spielen habe, ähnlich handeln würde.“ Für ihn hat das mit Glaubwürdigkeit, Moral zu tun. Fühlt er sich als Moralist ? Mit erhobenem Zeigefinger Moral verkünden, ist nicht seins. Eher sei er ein Träumer. Und wie er sich berufliche Ziele immer höher steckt, so sei's auch mit der Moral, auch wenn er weiß, daß man sie nicht immer erreichen kann. Undenkkbar wäre für ihn zum Beispiel ein Kommissar Stubbe ohne familiäres Hinterland. Glückliche Fügung, Filmtochter Stephanie ist auch in Wirklichkeit die eigene Tochter. Ob die Zwölfjährige die Schauspielerei zum Beruf machen will „muß sie allein entscheiden“. Aber den Vater freut's, sie in der Nähe zu wissen und daß sie ihre künstlerischen Neigungen ausleben kann. Noch dazu unter der Obhut einer so erfahrenen Regisseurin wie Christa Mühl.

Wenn Wolfgang Stumph erzählt, wie Stubbe entstand, verweist er im gleichen Atemzug auf die Elternschaft von Peter Kahane, einem Berliner Autor, der sei der „eigentliche Vater“, und Christa Mühl (seit der 2. Folge dabei). Erstmals führt Peter Kahane in Teil 8, der vor kurzem abgedreht wurde, auch Regie. „Teamarbeit geht mir über alles“, sagt Stumph. Gemeinsam machen sie sich Gedanken über Texte, Besetzung.

Wolfgang Stumph ist mit Kabarett groß geworden. Die „Lachkarte“ vom Dresdner Elektronik-Kombinat „Robotron“, die er gegründet und viele Jahre geleitet hat, war Spitze im Amateurbereich. Seinem Ingenieur als Maschinenbauer fügte Stumph später als Externer noch einen Abschluß der Schauspielschule hinzu. Über zehn Jahre gehörte er als Profi zur „Herkuleskeule“ in Dresden. 1991 ersann er mit Gunter Antrak und Detlef Rothe „ANTRAK auf STUMPHsinn“. Seither ist die Truppe in Drehpausen zu rund 100 Vorstellungen im Land unterwegs. Ob in Coburg oder Zittau, Fulda oder Plauen, Hamburg oder Erfurt, das Publikum ist begeistert. Beim Gastspiel kürzlich in Berlin waren alle vierzehn Vorstellungen - wie überall - ausverkauft. Und erst nach mehreren stürmisch geforderten Zugaben konnten sich die Sachsen von der Berliner Bühne zurückziehen. Kabarett oder Film, was liegt ihm mehr? „Ich brauch beides und bin froh, wenn ich von einem Standbein auf das andere wechseln kann.“ Wichtig für ihn am Kabarett ist auch, zu überprüfen, „wie ernst nehmen einen noch die Leute“. Auch das gehört für ihn zur Glaubwürdigkeit. Er weiß, daß er mit Kabarett die Welt nicht ändern kann, aber einige Denkanstöße sollten schon rüberkommen.

„Lieblingsossi“ hat ihn mal eine Zeitung genannt. Fühlt er sich als Identifikationsfigur des Osten? „Nee“, wehrt er entschieden ab. „Als Ostdeutscher, ja, der selbstbewußt, manchmal pfiffig oder schlitzohrig, seinen Landsleuten vorlebt, daß man sich nicht unterkriegen lassen soll, daß Pessimismus einen nicht voranbringen und daß man sich auch am eigenen Schopfe rausziehen kann. Nicht immer ist der erste Schritt erfolgreich, sind Umwege notwendig, gehört Glück dazu.“ Ob Waschmaschine oder Motorrad, Kameramann oder Schauspieler - ein Ostprodukt habe es schwer, sich durchzusetzen.

Was ist näher dran an der Wirklichkeit, Kabarett oder Krimi?

„Satire übertreibt, ist ungerecht.“ Der Stubbe sei da schon ehrlich, vielleicht liege er sogar noch unter den Problemen. Und das ist typisch Wolfgang Stumph. Er spricht mit Achtung von dem Leben, das Stubbe als Kriminalist führt. Das sei knallhart, mit vielen Ängsten und Schwierigkeiten, die einen auch lähmen können, wenn man merkt, was an krimineller Substanz in dieser Welt ist.

Um dem Doppel Stumph/Stubbe noch eins draufzusetzen, meldete sich eines Tages per Telefon beim Sender ein echter Stubbe. Werner mit Vornamen, im Hamburger Landeskriminalamt zuständig für Wirtschaftsdelikte. Gelegentlich treffen sich der Schauspieler und der Kripomann, reden über ihre Arbeit.

Welche Fälle kommen demnächst auf Stubbe zu? In den neuen Folgen sind Mord und versuchte Vergewaltigung aufzuklären, ein Triebtäter ist zu überführen. Stubbe wird abtauchen als verdeckter Ermittler. Mehr will Stumph aber wegen der Spannung nicht verraten.

In seinen Figuren soll es „menscheln“. Das sei eines seiner Lieblingswörter, erzählen Kollegen vom Drehteam. Liegt hier ein Geheimnis seines Erfolgs? In einer Zeit, die zunehmend gewaltbereiter wird und der Stoff für Krimis nie ausgeht.

Gudrun Schmidt


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 05/97 (c) Edition Luisenstadt, 1997
www.berliner-lesezeichen.de

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