Eine Rezension von Hans-Rainer John

Zwischen Kunst und Wissenschaft balancierend

Cornelia Wusowski: ELISABETH I.
Der Roman ihres Lebens.
Schneekluth Verlag, München 1996, 1166 S.

Was nützt es, historisches Wissen anzuhäufen, wenn man es nicht unter die Leute bringen kann? Diese Frage hat die Autorin offenbar zu einem Genre gedrängt, das sie „Romanbiographie“ nennt. Wahrscheinlich werden dabei exakte historische Erkenntnisse benutzt, geschichtliche Vorgänge mit der Phantasie eines Romanautors nacherzählt und der Wahrscheinlichkeit folgend dort frei ergänzt, wo sich Lücken auftun. Ziel ist wohl, Geschichtswissenschaft aufzugreifen und zu einem belletristischen Werk umzuformen, das Interesse bei einem großen Leserkreis auslösen kann. Die Autorin, hauptberuflich im höheren Verwaltungsdienst tätig, hat das bereits mit „Die Familie Bonaparte“ erprobt, die sich laut Verlag als Bestseller erwiesen habe. Der Erfolg wird sie zu Elisabeth I. ermutigt haben.

Ein Bestseller wird das informationsreiche dicke Buch sicher nicht, aber das erste Drittel zumindest, das mit Kindheit und Jugend bekannt macht und mit Elisabeths Weg auf den Thron (sie wurde mit 25 Jahren Königin), ist weitgehend gelungen. Da ist vieles zu schildern, was interessant und spannend ist und wofür es reiche Belege gibt. Da ist der Vater Heinrich VIII. (ja, der wohlbeleibte und lebenslustige König mit den sechs Frauen, der Elisabeths Mutter, Anna Boleyn, hinrichten ließ), da ist die Stiefmutter Katharina Parr (die sechste und letzte Frau von Heinrich VIII.), da ist Elisabeths Liebelei mit deren zweitem Gatten Thomas Seymour, da ist die Staatsaffäre, die zur Hinrichtung Seymours führte, da sind die Regentschaften von Bruder Eduard VI. und Schwester Maria (die „Blutige Maria“), da ist die Wyatt-Verschwörung, die Elisabeth den Tower einbrachte, da ist ihre amouröse, aber letztlich enthaltsame Freundschaft mit Robert Dudey - es war ein langer und beschwerlicher Weg an die Spitze, und er wird nachvollziehbar, anschaulich und romanhaft nacherzählt.

Da tut es nicht viel Abtrag, wenn die wörtlichen Repliken der Figuren oftmals gestelzter und weit länger sind als der jeweiligen Situation angemessen (die Autorin bringt nämlich so viele historische Informationen für den Leser darin unter, daß regelrechte Exkurse entstehen). Da sieht man auch darüber hinweg, daß die Figuren durch den Dialog nicht charakterisiert werden (unabhängig von Alter, sozialem Stand und intellektuellem Niveau sprechen nämlich alle gleichermaßen wie Geschichtsprofessoren). Denn das gesicherte historische Wissen steht im rechten Verhältnis zu den Erfindungen, man hat Vertrauen zum Autor und fühlt sich insgesamt gut informiert und unterhalten zugleich. Die Atmosphäre der Zeit wird heraufbeschworen, und die Faktoren, die auf Elisabeth eingewirkt, die ihren Charakter geprägt haben, werden deutlich.

Nicht so günstig ist der Eindruck der weiteren Teile des Buches. Da müht sich die Autorin weniger, die historischen Ereignisse in eine durchgehende Handlung zu zwingen. Es kommt immer wieder zu einer Dualität von romanhaft-plastisch geschilderten Szenen (vorwiegend dem erotischen Verhältnis Elisabeths zu Robert Dudley, dem späteren Grafen von Leicester, gewidmet und ihren Erwägungen zur Thronfolge) und puren Geschichtsbuch-Abhandlungen (in denen das gespannte Verhältnis zu Spanien und Frankreich, zu Schottland und Irland dargelegt wird, in denen von Kriegen, diplomatischen Aktivitäten und Seeschlachten die Rede ist). Gegen Ende des Buches werden die Ereignisse um die Hinrichtung Maria Stuarts und die Essex-Affäre noch einmal ein besonderer Interessenpunkt (beides wird überaus differenziert behandelt), aber die gespannte Anteilnahme des Lesers vom Anfang stellte sich nicht wieder her.

Natürlich ufern zu dieser Zeit die Ereignisse auch aus: Vierzig Jahre lang liege Elisabeth mit der Welt in Konflikt. Vom Papst exkommuniziert, als Bastard bespien, vom Ausland verleumdet, überlistet sie ihre Gegner mit Schläue, bekämpfte sie ihre Kontrahenten mit Erfolg. Als sie stirbt, ist ihr England unabhängig und stark. Aber die Autorin trifft keine Auswahl, orientiert sich nicht auf Hauptstränge, sie bemüht sich um relative Vollständigkeit und muß dabei notgedrungen flach bleiben. Sie setzt nur Akzente durch breitere Behandlung einiger Episoden in romanhaften Abschnitten; aber gerade diese sind nicht immer überzeugend, oft reagieren Personen unglaubhaft, überzogen oder lächerlich, und die fast ermüdend ausführliche Darstellung der Aktionen von Robert Dudley und Gerhard Braleigh wirkt sogar wie ein Zugeständnis an die Trivialliteratur.

Abgesehen davon konzentriert sich die Autorin weitgehend auf Hofintrigen, dynastische Kämpfe und religiöse Auseinandersetzungen; immer ist nur von Jubel und Verehrung für die Monarchin die Rede. Aber der Glanz des elisabethanischen Zeitalters beruhte nun mal auf der harten Unterdrückung der verelendeten Volksmassen (Bauernlegen, Armengesetze) und auf dem zeitweisen und relativen Kräftegleichgewicht zwischen Adel und Bürgertum, das Elisabeth herstellte. Davon aber ist nirgends die Rede. Immerhin geht ein Zeitalter zu Ende - die Falstaffs wirtschaften ab und die Pages und Fluts treten auf den Plan - und der Frühkapitalismus dämmert herauf. Und Elisabeth, das ist ihr historisches Verdienst, hat die Entwicklung vorangetrieben.

Bedauerlich auch, daß die Autorin nicht irgendwo ihr methodisches Verständnis vom Verhältnis von Wissenschaft und Literatur erläutert: Wie weit fühlt sie sich an historische Erkenntnisse gebunden, wo pocht sie auf dichterische Freiheit. So schanzt sie alle Skakespeare-Dramen Edward de Vere, Graf von Oxford, zu und postuliert, der Adlige habe, da er seines Standes halber nicht publizieren durfte, einen Requisiteur namens Shakespeare als Autor nur vorgeschoben. Sie entwirft eine Szene, in der Elisabeth ihm ein von Burbage entworfenes Theater vorstellt, in der sie ihn um dieser Bühnenform entsprechende (englische Königs-)Dramen, die ihre Regierungspolitik unterstützen und popularisieren, bittet und in der sie ihn beauftragt, eine Reihe von Theaterensembles zu formieren und zu leiten. Ist das nun Frau Wusowskis epochales Recherche-Ergebnis oder eine eigensinnige Erfindung, um zu zeigen, wie Elisabeth um die kulturelle Blüte ihres Landes besorgt war? Zugegeben, über das Leben Shakespeares ist wenig bekannt, der Autor hat deshalb stets zu Spekulationen Anlaß gegeben. Daß sich aber die Entwicklung der Dramatik und des Theaterwesens derart auf „Befehl von oben“ quasi als feudale Auftragskunst vollzogen haben soll, ist nach allem, was wir sicher wissen, schlechterdings unwahrscheinlich. Dramatik war damals auch noch keine Literaturgattung, sie wurde auf der Bühne entwickelt, und der Schauspieler Shakespeare hatte daran in Form von Gemeinschaftsarbeit mit Marlone und Kyd nachweislich Anteil (seine Texte erschienen erst nach seinem Tode im Druck, und sie waren dazu in Aufführungen mitstenographiert worden).

Das Kapitel Oxford/Shakespeare hat im Buch Gewicht, ist aber natürlich nur ein Detail. Immerhin nährt es Fragen, wie zuverlässig der Umgang der Autorin mit anderen Details gewesen sein mag. Wie die Durchsicht jedes sorgfältigen und aufwendigen Textes hinterläßt natürlich auch die Lektüre dieses Prachtbandes (Leinen im Schuber) ihren Gewinn. Aber vollends befriedigt das Buch weder als Roman noch als Geschichtswerk. Es ist ein Zwitter, der sowohl als belletristische wie auch als wissenschaftliche Leistung Fragen offenläßt.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 04/97 (c) Edition Luisenstadt, 1997
www.berliner-lesezeichen.de

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