Eine Rezension von Kathrin Chod

Sekt und Selters

Andrzej Szczypiorski: Europa ist unterwegs
Essays und Reden.
Aus dem Polnischen von Klaus Staemmler.
Diogenes Verlag, Zürich 1996, 365 S.

Kokett ist er ja, der Andrzej Szczypiorski: „Daß ich die für mich so ehrenvolle Einladung zur Teilnahme an dem Symposium heute angenommen habe, bezeugt meinen Mangel an Demut und ist ein Fehler, für den ich herzlich um Verzeihung bitte ..., weil ich eitel bin ...,, ich bin kein Literaturkritiker ..., ich bin kein Politiker ..., ich bin kein Richter ..., ich werde nichts Ungewöhnliches sagen ..., ich liebe Musik, verstehe aber wenig ...“ Nun hält das einen Mann wie Andrzej Szczypiorski nicht davon ab, sich dennoch zu Wort zu melden.

Andrzej Szczypirski, geboren 1924 in Warschau, hat in Deutschland einen Namen als Schriftsteller ersten Ranges. Romane wie Die schöne Frau Seidenman, Eine Messe für die Stadt Arras und Selbstportrait mit Frau fanden hier eine mehr als wohlwollende Aufnahme. Für seine Bemühungen um die deutsch-polnische Versöhnung wurde ihm das Bundesverdienstkreuz verliehen, ebenso der Andreas-Gryphius-Preis, und schließlich wurde er auch in den deutschen Orden „Pour le merite“ aufgenommen. Denn Andrzej Szczypiorski ist nicht nur ein begnadeter Erzähler, sondern obendrein ein geistreicher Essayist zu Fragen unserer Zeit.

Mit diesem Band veröffentlicht er Essays und Reden, teils in der Presse erschienen, teil Erstabdrucke. Themen sind die politischen Folgen der Wende in Osteuropa, Kunst und Politik, Kirche und Staat, Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Opposition in der DDR und in Polen, Vergangenheitsbewältigung und das Wiedererstehen einer europäischen Idee.

Faszinierend seine Gabe, oft Gesagtes in andere Worte zu kleiden, gleichzeitig schöne aphoristische Sätze zu formen. So etwa, wenn er eine trügerische Hoffnung von Polen und Juden im Krieg beschreibt: „Ich denke, daß in jenen Jahren fast jeder Pole und fast jeder Jude so etwas wie ‚seinen‘ Buddenbrock hatte, auf den er fest rechnete - doch letztlich haben sich alle v e r r e c h n e t.“ Oder über die Deutschen und den Nationalsozialismus: „Sie wollten schön sein wie sonst niemand auf der Welt. Und eben deshalb erblickte die Welt damals das Gesicht der Welt. Und eben deshalb erblickte die Welt damals das Gesicht des Teufels.“

Anfangs merkt man es kaum, angetan von den schönen, scheinbar schlüssigen Sentenzen, daß sie manchmal weder schlüssig noch treffend sind: Hitler und der Nationalsozialismus als geistiges Phänomen, das der Welt den deutschen Kitsch gezeigt hat. Ebenso, wenn zur ehelichen Treue und Ehebruch in der DDR bemerkt wird: „Auf diesem Gebiet waren paradoxerweise die vergangenen Gewohnheiten des realen Sozialismus und die sittlichen Anforderungen des Katholizismus nie antagonistisch oder weit voneinander entfernt.“ So hübsch der Vergleich, so fehl geht er. Wie kann man nur Anspruch und Wirklichkeit derart verwechseln? Wer postuliert, „Ehen werden im Himmel geschlossen“, hätte wohl kaum viel Freude an den Scheidungsraten in der DDR gehabt. Auch bei anderen Einschätzungen über das Leben in der DDR hätte man doch erwartet, daß der Blick aus dem nahen Warschau treffender als der aus München oder Hamburg wäre. So gelingen zwar interessante Einschätzungen zu gemeinsamen Erfahrungen und Befindlichkeiten der Osteuropäer, etwa in dem Essay Die Beschämung von Millionen. Wenn aber Andrzej Szczypiorski versucht, die Polen auf die Siegerseite zu hieven, die sich nun gemeinsam mit den Westdeutschen über den deformierten Patienten Ostdeutschland beugen müßten, dann erfreut das sicher die Zeitungsmacher in Frankfurt (Main), gerät aber leicht zur Farce.

Auch hat es eine derartige Sammlung so an sich, daß sie Wiederholungen enthält. Wenn ein eleganter Spruch beim ersten Mal besticht, so muß das beim zweiten oder dritten Male schon nicht mehr sein. Auch werden Aussagen, wonach in der DDR Bismarck und Friedrich der II. unbekannt und Goethe als DDR-Dichter galt, durch Wiederholung auch nicht treffender.

Hier entdeckt man, daß nicht alles, was so wunderschön prickelt, auch Sekt sein muß.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 04/97 (c) Edition Luisenstadt, 1997
www.berliner-lesezeichen.de

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