Eine Rezension von Eberhard Fromm

Eine Fundgrube für den interessierten Leser

Biographisches Handbuch der SBZ/DDR 1945-1990
Herausgegeben von Gabriele Baumgartner und Dieter Hebig.
Band 2: Maaßen - Zylla
K. G. Saur Verlag, München 1997, 1057 S.

Eine abgeschlossene Geschichte eines in sich geschlossenen Territoriums zum Gegenstand einer lexikalischen Erfassung zu machen, ist eine dankbare Angelegenheit. Wenn der Zeitabschnitt dann auch nur 45 Jahre umfaßt, wird es noch attraktiver. So ist es zu verstehen, daß bereits bald nach 1990 die verschiedensten Versuche unternommen wurden, die DDR - ihre Geschichte, ihre Institutionen, ihre Persönlichkeiten - in Gestalt von Nachschlagewerken zusammenzutragen.

Auch die vorliegende Publikation widmet sich dieser Aufgabe und stellt etwa 4.500 Personen vor, die in der Zeit zwischen dem 8. Mai 1945 und dem 3. Oktober 1990 auf dem Gebiet der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) bzw. der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) gewirkt haben. Der Band 2 erfaßt die Buchstaben M bis Z sowie einen kurzen Nachtrag von 19 Namen zu Band 1. Die Angaben zur Person reichen in der Regel nur bis zum Oktober 1990, obwohl das nicht konsequent durchgehalten wurde und hin und wieder auch Informationen über diese Zeit hinaus gegeben werden.

Die Herausgeber wollen einen möglichst umfassenden Personenkreis aus allen Bereichen - Politik, Verwaltung, Kunst und Kultur, Wissenschaft, Technik, Sport usw. - zusammentragen. Dabei machen sie keinen Unterschied zwischen lebenden und bereits verstorbenen Personen. Bei der Auswahl gehen sie nach eigenen Angaben von den Ebenen aus, auf denen diese Personen tätig waren, d. h. es wurde eine territoriale Struktur (Zentrale - Bezirke - Kreise - Städte und Gemeinden) zugrunde gelegt. Ihre entscheidende Bedingung für die Auswahl war jedoch technischer Natur: Es wurden nur Personen aufgenommen, „sofern sich ihre Tätigkeit in einer gedruckten Quelle niedergeschlagen hat“, heißt es im Vorwort zum Ersten Band (S. VII).

Das hat natürlich Konsequenzen, die dem Nutzer einige Schwierigkeiten bereiten. Das betrifft einmal die Personenauswahl selbst, zum anderen die Unvollständigkeit der Angaben zur Person sowie schließlich die charakterisierende Tätigkeit (Beruf, Funktion). Sechs Jahre nach dem Ende der DDR erwartet man bei der Auswahl der Personen ein eindeutigeres Kriterium als vorhandene gedruckte Texte. Die damit verknüpfte Zufälligkeit macht für den Leser wenig Sinn. So findet er zwar Angaben zu Leitern von Wehrbezirkskommandos der NVA, berühmte Wissenschaftler, Mitglieder der AdW wie Hans Mottek oder Georg Mende, bleiben unberücksichtigt. Theologen sind bis zur Stadt und Gemeinde hin benannt, Vertreter der sorbischen Literatur wie Petr Malnik oder Jurij Mlynk fehlen jedoch. Sehr zufällig haben auch Sportler Eingang gefunden. Nimmt man nur einmal den Olympiasieg als Kriterium, dann sind die Männer Mey, Schümann und Timmermann vorhanden, die Damen Meißner, Pechstein, Pollack und Slupianek fehlen. Biographisch und politisch interessante Personen, die die besondere Situation von Berlin widerspiegeln, sollten auch nicht vergessen werden. Hier fehlt z. B. Kurt Neubauer, bis 1961 SPD-Vorsitzender von Berlin-Friedrichshain und als DDR-Bürger mit Wohnsitz in Ostberlin seit 1952 Berliner Abgeordneter im Deutschen Bundestag!

Ebenso wird die lexikalische Aussage zu vielen Personen in ihrem Wert gemindert, wo es keine oder unvollständige Angaben zu den Lebensdaten gibt. Es ist nicht einzusehen, warum man oft mit Angaben wie „geb. 1927“, „geb. 1903 Dortmund“, „gest. 1.12.1993“, „gest. März 1993“ zufrieden sein muß. Nicht einmal bei Heiner Müller konnte man sich überwinden, zum Todesdatum 30.12.1995 den Sterbeort hinzuzufügen. Allerdings ist das immer noch besser, als wenn die Sterbedaten ganz fehlen, obwohl man bei vielen Geburtsdaten davon ausgehen kann, daß diese Personen nicht mehr leben. Und selbst Personen ohne Lebensdaten (z. B. Schwiegershausen) wurden aufgenommen.

Schließlich führt das Festhalten an der gedruckten Vorlage bei der Kennzeichnung der Person (Beruf, Tätigkeit, Stellung) zu skurrilen, uneinheitlichen und oft nicht nachvollziehbaren Bestimmungen, die keineswegs mit dem Text übereinstimmen. Massenhaft erscheinen Bestimmungen wie SED-, FDJ-, NDPD-, FDGB-Funktionär, Funktionär, Kommunalfunktionär, Partei- und Staatsfunktionär, Landwirtschaftsfunktionär; oft wird nur eine Stellung angegeben wie Volkskammerabgeordneter oder CDU-Volkskammerabgeordneter, stellv. Minister, Generaldirektor, ev. Religionslehrer; auch ein bestimmter einmaliger Akt wird zur Kennzeichnung genutzt wie „Gründungsmitglied der Bürgerbewegung Demokratie jetzt“ oder Aktivist. Hier fehlt eindeutig eine ordnende, nach einheitlichen Kriterien sortierende Hand. Nimmt man z. B. die im Band enthaltenen DDR-Ministerpräsidenten, so werden diese folgendermaßen gekennzeichnet: Maizière als „Ministerpräsident der DDR“, Modrow als „Ministerpräs. der DDR“, Stoph als „Minister des Innern, Minister für Nationale Verteidigung, Vorsitzender des Ministerrates und des Staatsrates“ und Sindermann als „Vorsitzender des Staatsrates, Präsident der Volkskammer“ (seine Ministerpräidentenzeit wird wenigstens im Text erwähnt). Manche der verwendeten Kennzeichnungen sind nicht nur vage und uneinheitlich, sondern führen zur Desorientierung des Nutzers. Guido Masanetz wird nicht als Komponist, sondern als Oberleiter des Staatl. Volkskunstensembles der DDR vorgestellt, der namhafte Philosoph Hermann Scheler wird zum SED-Funktionär, der international anerkannte Soziologe Artur Meier erscheint als Hochschullehrer, Hans-Joachim Preil erhält den Titel „DDR-Bühnenkomiker“ verliehen. Übrigens bringt die Abhängigkeit von den gedruckten Quellen oft eine nichtssagende Aufzählung von Auszeichnungen mit sich, wie sie für die DDR typisch waren. Das führt zu solchen kuriosen Erscheinungen, daß z. B. bei Erwin Strittmatter für die Aufzählung seiner Auszeichnungen ebensoviel Platz verwendet wird wie für die Aufzählung seiner Werke.

Schließlich kommt es durch dieses Herangehen auch zu quantitativen Unterschieden, die nichts mit der Bedeutung der Person zu tun haben, sondern mit der vorhandenen Quellenlage. So bekommt Walter Ulbricht ebenso eine Spalte wie Basil Spiru oder Friedrich Schneider; Otto Nagel, Max Seydewitz, Albert Hermann Schreiner und Ludwig Renn sind die Persönlichkeiten mit den umfänglichsten Texten.

Die vorliegende Biographiensammlung stellt sicher eine der geschlossensten und umfänglichsten Zusammenstellungen von Personen aus den 45 Jahren SBZ- und DDR-Geschichte dar. Es ist eine Fundgrube für den interessierten Leser. Für den suchenden Nutzer bedarf es allerdings einer gründlichen Bearbeitung nach einheitlichen Vorgaben. Dann wäre es ein wissenschaftliches Nachschlagewerk zu einem gerade beendeten Teilstück deutscher Geschichte.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 04/97 (c) Edition Luisenstadt, 1997
www.berliner-lesezeichen.de

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