Eine Rezension von Christian Böttger

Problemfeld Geld wird aktueller

Margrit Kennedy: Geld ohne Zinsen und Inflation
Ein Tauschmittel das jedem dient.
Goldmann Verlag, München 1994 (überarbeitete und erweiterte Ausgabe) Tb., 238 S.

Was veranlaßt eine Architektin, Stadtplanerin und Ökologin dazu, sich in einer beachtlichen Publikation mit der Funktionsweise des Geldes auseinanderzusetzen?

Margrit Kennedy versucht bereits in der Einleitung des vorliegenden Buches, diese Frage zu beantworten und dem Leser begreiflich zu machen, worin das Grundübel unserer gesamten gesellschaftlichen Misere besteht. Als engagierte Ökologin sah sie sich oft mit dem Problem konfrontiert, daß zwar alle ökologischen Fragen, mit denen sie es zu tun hatte, technisch lösbar waren, die finanziellen Mittel aber dafür nicht bereitgestellt werden konnten. Das Dilemma zeigte sich stets darin, daß sich die Rentabilität jeder ökologischen Maßnahme mit dem Zins, den man für die dazu notwendigen finanziellen Mittel auf dem Kapitalmarkt bekommen würde, messen lassen muß. Im herrschenden Geldsystem, aber auch im Steuer- und Bodenrecht erkannte sie die Ursachen dafür, warum auch im wirtschaftlich dynamischen Kapitalismus die Preise bisher weder die ökologische noch die soziale Wahrheit ausdrücken. Von den in diesen Bereichen notwendigen Veränderungen handelt dieses Buch.

Das Augenmerk richtet sie dabei auf die Zirkulationssphäre der Gesellschaft, auf die Eskalation der Geldvermögen und Schulden als Folge des Zinseszins-Effekts. Ihr Hauptargument stützt sich auf die mathematisch nachweisbare Tatsache, daß der kontinuierliche Bezug von Zins und Zinseszins praktisch unmöglich ist. Die Entwicklung der Geldvermögen folgt aufgrund des Zinseszins-Effekts einem exponentiellen Wachstumsverhalten, d. h. sie verdoppeln ihre Ausgangsmenge in einer bestimmten Zeiteinheit. Bei nur 6 % Zinsen beispielsweise hat sich die Geldanlage bereits in 12 Jahren verdoppelt usw. Doch auch die Entwicklung der Schulden folgt diesem Wachstumsverhalten, wenn die Zinsen der alten Schulden mit neuen Schulden bedient werden, wie das bei den Staatsschulden der Fall ist. In diesem Zinsmechanismus liegt eine Hauptursache für den pathologischen Wachstumszwang der kapitalistischen Wirtschaft, denn durch das Erzeugen eines schnellen wirtschaftlichen Wachstums, das dem exponentiellen Wachstum der Geldvermögen folgt, können die sozialen Auswirkungen dieses Systems, das zunehmend auch die Finanzsituation von Bund, Ländern und Gemeinden beeinflußt, noch eine Weile abgefangen werden. Die Auswirkungen, die sich aus dem grenzenlosen Wirtschaftswachstum für die Umwelt ergeben, sind bekannt. In der gegenwärtigen Phase sinkender Wachstumsraten haben wir jedoch einen Zustand erreicht, wo sich die Diskrepanz zwischen Einkommen aus Kapital und Einkommen aus Arbeit so dramatisch verschärft hat, daß die Katastrophe unausweichlich erscheint.

Will man nun diesen Zinsmechanismus durchbrechen, müssen für den Geldumlauf alternative Umlaufsicherungen gefunden werden, die Zins und Inflation ersetzen.

In Anlehnung an das Konzept des deutsch-argentinischen Großkaufmanns Silvio Gesell, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts versucht hatte, ein neues Geldsystem zu entwickeln, empfielt die Autorin, zu diesem Zweck die Zinsen als Umlaufsicherung durch eine Nutzungsgebühr zu ersetzen. Im Gegensatz zu den Zinsen, die Einnahmen aus Geldvermögen ermöglichen, wenn das Geld verliehen wird, verursacht die Nutzungsgebühr Kosten, wenn das Geld dem Geldkreislauf entzogen und gehortet wird. Auf diese Weise könnte jeder dazu gezwungen werden, Bargeld, für das die höchste Nutzungsbebühr zu entrichten wäre, als langfristige Anlage den Banken zur Verfügung zu stellen. Bei diesen langfristigen Anlagen würde die Gebühr dann vollständig entfallen, so daß Ersparnisse gesichert blieben. Dieses System hätte den Vorteil, daß sich nicht nur die Kreditkosten, sondern auch der Zinsanteil, der in jeder Ware enthalten ist und vom Konsumenten entrichtet werden muß, verringern würden. Diese Idee, den Zins durch einen Negativzins zu ersetzen, ist einfach und genial zugleich. Die Technik der Umlaufsicherung (Geldumtausch), zu der die Autorin interessannte Vorschläge unterbreitet, stellt jedoch immer noch ein großes Problem dar.

Die Autorin ist sich völlig im klaren darüber, daß bei der Einführung eines solchen Geldsystems die Geldbesitzer einen Fluchtversuch in Bodenwerte unternehmen würden, um als Grundrentner weiterhin ein sorgenfreies Leben führen zu können. Deshalb sieht sie die Notwendigkeit, die Geldreform durch eine Bodenreform zu ergänzen - eine Notwendigkeit, die auch Gesell schon erkannte.

Eine Kombination aus privater Nutzung (etwa über Erbpachtverträge) und kommunalem Eigentum hält die Autorin für den geeignetsten Lösungsansatz bei der zu realisierenden Bodenreform. Um an den Boden zu gelangen, sollten die Gemeinden auf sämtliches Land eine jährliche Abgabe von drei Prozent des Wertes erheben und mit dem daraus resultierenden Ertrag die zum Verkauf anstehenden Flächen erwerben.

Diese Vorschläge enthalten allerdings den Grundfehler fast aller zeitgenössischen Bodenreformer, die den Marktwert des Bodens als eine reale Größe betrachten. Da der Boden aber nicht das Produkt menschlicher Arbeit ist, kann er auch keinen „Wert“ im ökonomischen Sinne besitzen. Sein Preis beruht lediglich auf der Fähigkeit des Bodens, mit seiner Hilfe „Grundrente“ abzuschöpfen oder bei Selbstnutzung ihre Abführung einzusparen. Für einen Eigenheimbesitzer eines 1 000 Quadratmeter großen Siedlungsgrundstücks in Berliner Stadtrandlage würde eine jährliche Abgabe von drei Prozent des Bodenwertes eine Mehrbelastung von durchschnittlich 12 000 Mark ausmachen, wäre also zutiefst unsozial, weil sie ein Normalverdiener nicht aufbringen könnte.

Auf viele andere Einwände gegen eine Geld- und Bodenreform wird in einem speziellen Kapitel von dem namhaften Wirtschaftsanalytiker Helmut Creutz eingegangen, den die Autorin für einen gesonderten Beitrag in diesem Buch gewinnen konnte.

Angenehm fällt auf, daß die Autorin, ganz im Gegensatz zu vielen anderen Anhängern der Lehre Silvio Gesells, die Geld- und Bodenreform nicht als Allheilmittel betrachtet, mit dem die sozialen und ökologischen Fragen vollständig gelöst werden können. Aber sie verdeutlicht in ihrem in verständlicher Form dargebotenen Buch, daß viele gesellschaftliche und globale Probleme, wie beispielsweise die Staatsverschuldung, die Arbeitslosigkeit, der Wachstumszwang, die Umweltprobleme und das Elend in der Dritten Welt, verbunden sind mit dem Mechanismus, der das Geld heute in Umlauf hält - dem Zins.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 04/97 (c) Edition Luisenstadt, 1997
www.berliner-lesezeichen.de

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