Eine Rezension von Heinrich Buchholzer

Deutsch-deutsche Landnahme

Ralph Hartmann: Die Liquidatoren
Der Rechtskommissar und das wiedergewonnene Vaterland.
Vorwort Hans Modrow.
Verlag Neues Leben, Berlin 1996, 190 S.

Der Verlag Neues Leben hat seiner nicht unbekannten Reihe NL einen Band hinzugefügt. Er zeichnet sich erstens dadurch aus, daß dem schon relativ oft behandelten Thema Treuhand einige neue Aspekte hinzugefügt werden. Gemeint ist nicht jene Anstalt, die von der Regierung Modrow am 1. März 1990 per Verordnung „zur treuhänderischen Verwaltung des Volkseigentums“ gebildet wurde und nur kurzzeitig leben durfte, sondern die am 17. Juni 1990 nach einer in Bonn abgesegneten Vorlage geschaffene Anstalt zur Privatisierung des volkseigenen Vermögens, Autor Hartmann nennt es Liquidierung, durchaus dem Effekt entsprechend.

Dabei geht es im wesentlichen teils um akkurat recherchierte neue, teils um bekannte Hintergrundfakten. Sie sind so geordnet, daß ein plastisches Bild jener auf den ersten und zweiten Blick durchaus verwirrenden Vorgänge entsteht, die indirekt oder direkt zu den geschichtsnotorischen Ergebnissen führten - Verschleuderung von für westdeutsche „Investoren“ interessanten Unternehmen sowie Auflösung und Abwicklung statt Sanierung der Mehrzahl aller Industriebetriebe, ein Kahlschlag, den die Treuhand selbst veranstaltete, im Detail aber durch Beauftragte vollziehen ließ. Dies waren jene Liquidatoren, von denen im Band die Rede ist und die sich notabene für ein kurzzeitiges, ebenso beherztes wie sozial herzloses Wirken zu reichen Leuten machen ließen. Auf Staatskosten, versteht sich, und in der Hauptsache dafür, daß die eigentlichen „Schnäppchen“- man möge dieses Unwort verzeihen - ausnahmslos an westdeutsche Unternehmen gingen, ein Aspekt, der von Hartmann m. E. nicht genügend gewürdigt wird.

Zweitens hat der Autor einen bemerkenswerten Zusammenhang hergestellt und belegt, nämlich zwischen dem „Forschungsbeirat für Fragen der Wiedervereinigung Deutschlands beim Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen“, konstituiert am 24. März 1952 in Westberlin, und der Treuhandanstalt der Frau Breuel. Hier hätte sich eine Ausweitung der Untersuchung angeboten, zumindest ein Versuch hierzu. Außer dem genannten Beirat haben nämlich diverse gut dotierte Gremien - Institute, Stiftungen, Gesellschaften, Vereine - in der alten Bundesrepublik just an der gleichen Aufgabe gearbeitet, mit unterschiedlichem Fleiß und zumeist dubiosem Ergebnis: Szenarien für die Heimführung der Ostzone, später der DDR, in eine größere Republik zu entwickeln. Dabei hatte selbstverständlich der ökonomische Zugriff die Hauptsache zu sein, während die ordnungspolitische Logistik das Mittel zum Zweck sein sollte, und stets war unter allen forschend Beteiligten ein Weg unumstritten - das Rechtssystem der Bundesrepublik ist dem Neuland Ost einfach überzustülpen, wie es denn auch geschehen ist. Das Wirken dieser Wiedervereinigungsunternehmungen aus dem Dunkel der verschiedenen Sandkästen ans Licht zu bringen ist eine füllige Aufgabe, die noch zu lösen bleibt. Dies allerdings dürfte weit schwieriger sein als das Sichten halbwegs zugänglicher Papiere, wie es Hartmann bewerkstelligt hat, denn jene Gremien agierten meist im Hinterhof unter unverfänglichen Firmenschildern, wenn auch dem MfS zumeist wohl nicht unbekannt, und es hat sich die viel in einer Grauzone abgespielt, bis hin zum Verbotenen, so daß die Akten heute wie künftig fein unter Verschluß gehalten werden.

Drittens und speziell aufschlußreich ist die Personalunion, die der Autor erhellt hat: Der erste Präsident des Forschungsbeirats, der von der Bundesrepublik zweimal hoch dekorierte Dr. Friedrich Ernst, war unter den Nazis von 1939 bis 1941 Reichskommissar für die Verwaltung „feindlichen Vermögens“, brachte also einschlägige Erfahrungen mit. Bleibt festzustellen, daß auf dem weiten Feld deutscher und deutsch-deutscher Landnahme noch so manches zu erforschen ist. Hartmann hat einen Beitrag dazu geleistet.

Im Vorwort von Hans Modrow, der mit dieser Kategorie recht freigiebig umgeht, ist zu lesen, daß mit der DDR „ein sich selbst tragender Industrie- und Wirtschaftsstandort liquidiert wurde“. Sich selbst tragend? Dies gemahnt denn doch - sicherlich unbeabsichtigt - an eine Bemerkung des autodidaktischen Wirtschaftslenkers Günter Mittag zu seinem ökonomieunkundigen Chef Honecker: „Erich, ich mache dir aus der DDR ein zweites Japan.“


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 04/97 (c) Edition Luisenstadt, 1997
www.berliner-lesezeichen.de

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