Eine Rezension von Horst Wagner

Das Hohelied des Highway

Bill Gates: Der Weg nach vorn
Die Zukunft der Informationsgesellschaft.
Hoffmann und Campe, Hamburg 1995, 476 S.

Drei Gymnasiasten aus der kroatischen Hafenstadt Zadar - so konnte man kürzlich in Zeitungsberichten lesen - sind über Internet in einen Computer des USA-Verteidigungsministeriums eingedrungen und haben den Code für einen Atomwaffenstützpunkt geknackt. Auch diese Schreckensmeldung dürfte für Microsoft-Chef und Buchautor Bill Gates kein Anlaß sein, die in seinem Weg nach vorn glänzend betriebene Propaganda für den „Information-Highway“ - ins Deutsche meist mit Datenautobahn übersetzt - auch nur um einen Deut einzuschränken. Die Nachricht dürfte ihm höchstens Anlaß sein, sich - entsprechend gewinnbringend natürlich - neue Sicherungs-Software auszudenken. Im vorliegenden Buch hat er schon eine Verschlüsselungsmethode beschrieben, die zu knacken heutige Computer Millionen Jahre brauchen würden.

Man muß es Bill Gates, der im Klappentext als reichster Mann der USA und erfolgreichster Unternehmer unserer Zeit vorgestellt wird, schon lassen: Sein Buch, das lange Zeit weit vorn in den Bestsellerlisten stand, ist die informationsreichste, anregendste und wahrscheinlich auch ehrlichste Werbeschrift, die ich je las. Werbung für seine Firma, für seine Geschäftspraxis und Lebensphilosophie und natürlich für das, was er „Informationsgesellschaft“ nennt: Eine durch die immer weitergehende Übertragung von Gehirnfunktionen auf Maschinen, das unaufhaltsame Vordringen dieser Computer in Wissenschaft, Technik und Alltagsleben sowie deren zunehmende Vernetzung zu „Datenautobahnen“ bewirkte Produktivkraft-Revolution. Im Zentrum dieses faszinierenden Prozesses steht für Gates natürlich die Software, jene digitalisierte, in Chips, Disketten und CD-Roms gegossene, durch Glasfaserkabel strömende Information, ohne die auch die besten PC nur tote Materie wären.

Gates beginnt seine Schilderung damit, wie er mit 13 Jahren sein erstes Software-Programm schrieb: ein Tic-tac-toe-Spiel, am Terminal seiner mit einem Großrechner verbundenen Schule. Und wie faszinierend er es fand, einer großen Maschine Befehle geben zu können. „Noch heute begeistert mich der Gedanke, daß ein korrekt geschriebens Programm immer und jederzeit hundertprozentig funktionieren wird und genau das tut, was ich ihm gesagt habe.“ (S. 16) Womit Gates, der sich im übrigen sehr zurückhaltend zur Schaffung künstlicher Intelligenz äußert, eine treffende Definition für den Unterschied zwischen Mensch und Computer gefunden haben dürfte. In den ersten Kapiteln seines Buches läßt er uns die stürmische Entwicklung der Hard- und Software, vom 30 Tonnen schweren röhrenbestückten ENIAC bis zum Pentium-Mikroprozessor, vom ersten BASIC-Programm seiner 1975 gegründeten Firma bis zu „Windows 95“ miterleben. Sympathisch, daß er seine eigene Rolle dabei eher untertreibt, Teamwork hervorhebt, die Anteile anderer Firmen wie IBM oder Apple gebührend würdigt.

Dem Untertitel des Buches Rechnung tragen vor allem seine zuweilen ungläubiges Staunen hervorrufenden Überlegungen zu künftigen Möglichkeiten des „Highway“, der, Telefon-, Fernseh- und Computernetz vereinend, jedermann elektronischen Zugang nicht nur zu allen Unterhaltungsmöglichkeiten, sondern auch zu allen Bibliotheken und sonstigen Wissensspeichern ermöglichen und mit dem jeder u. a. über einen brieftaschengroßen sogenannten Wallot-PC verbunden sein soll, der zugleich auch Wohnungs- und Autoschlüssel, Scheckkarte, Betriebsausweis und noch vieles mehr ist. Aufkommende Zweifel hinsichtlich der technischen und finanziellen Machbarkeit solcher Projekte begegnet Gates geschickt mit Vergleichen zur rasanten Entwicklung der jüngsten Zeit, welche die technischen Möglichkeiten ebenso sprunghaft erweiterte wie die Kosten für Hard- und Software senkte.

Dabei räumt Gates ein, daß sich diese Möglichkeiten für die Entwicklungsländer und überhaupt für die weniger Wohlhabenden erst Jahre oder Jahrzehnte später erschließen werden als für die Reichen dieser Welt. Und daß sich nicht jedermann ein solches Highway-Haus oder „Cyber-Heim“ wird bauen können, wie es Gates in einem extra Kapitel beschrieben hat und das er, in einen Hügel am Lake Washington hineingebaut, inzwischen bezogen haben dürfte: Ein Haus, das nicht nur „aus Holz, Glas, Beton und Stein“, sondern auch „aus Silicium und Software“ besteht und in dessen Räumen alle individuellen Wünsche sozusagen elektronisch erahnt und erfüllt werden. (S. 310 ff.)

Bei allen, manchmal als Traumvisionen erscheinenden, technischen Überlegungen hütet sich Gates aber auch, die Möglichkeiten der von entsprechender Software „beseelten“ Computer zu überschätzen, sozusagen alle Probleme von heute und morgen zu lösen. Er sieht, daß sie einerseits Kommunikations- und Bildungsmöglichkeiten bedeutend erweitern, aber auch zu Vereinzelung und Vereinseitigung der Menschen führen können. Er macht sich Gedanken über die Sicherung von „digitalem Geld“ und der Privatsphäre, gibt zu, daß Computer die Ineffizienz eines schlecht geführten Unternehmens genauso vergrößern können wie die Effizienz eines gut geführten. In einem sehr überzeugenden Kapitel beschreibt Gates, wie der Einsatz von Computertechnik das Lernen in der Schule nicht nur ergiebiger, sondern auch freudvoller und anregender gestalten kann, geht aber auch auf die umfangreichen finanziellen und konzeptionellen Probleme ein, vor denen amerikanische Schulen heute stehen. Gates kommt an dieser Stelle zu dem verallgemeinerungswürdigen Schluß: „Neue Technologien werden da nicht ausreichen. Die Gesellschaft muß ihre grundlegenden Probleme auch auf andere Weise lösen.“ (S. 286)

Aber gerade zu diesen anderen, d. h. zu gesellschaftlichen, sozialen Lösungen versagt Gates sich weitere Überlegungen. Seine Behauptung zum Beispiel, jeder, der durch computerbewirkte Rationalisierung seinen Arbeitsplatz verliert, könne sofort einen anderen, durch Computer neu geschaffenen Arbeitsplatz bekommen (S. 364), vermag, gelinde gesagt, wenig zu überzeugen. Die sicher auch Gates bekannte Prognose, daß im nächsten Jahrhundert ein Fünftel der heute benötigten Arbeit ausreichen wird, um alle Waren und Dienstleistungen zu produzieren, hätte doch wohl gerade in einem sich Weg nach vorn nennenden Buch gründlicherer Auseinandersetzung bedurft.

Im Interview mit einem großen deutschen Nachrichtenmagazin bekannte Gates unlängst: „Wenn man glaubt, ich hätte Lösungen für Probleme, von denen ich keine Ahnung habe, ist das unangenehm.“ Durch solche Ehrlichkeit unterscheidet sich der Software-König wohltuend von manchen Politikern. Für letztere dürfte sich eine andere Bemerkung von Gates geradezu als Denkzettel eignen: „Wenn man nicht mehr vom positiven Rückkopplungseffekt getragen wird, ist es oft für eine Änderung des bisherigen Kurses zu spät.“(S. 101)


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 04/97 (c) Edition Luisenstadt, 1997
www.berliner-lesezeichen.de

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