Eine Rezension von Horst Wagner

Lebenshilfe für Leiter und Jedermann?

Dale Carnegie: Der Erfolg ist in dir
Ein Leitbild für den Menschen in Alltag und Beruf.
Scherz Verlag, Bern/München/Wien 1995, 268 S.

Unter dem Namen Dale Carnegie kommen immer wieder neue Bücher auf den Markt. Sie tragen so freundlich-optimistische Titel wie: Sorge dich nicht, lebe! und Besser miteinander reden (beide standen im Februar 1997 auf Bestsellerlisten). Oder ganz einfach: Freu dich des Lebens. Letzterer wurde mir vor einiger Zeit im Bertelsmann-Club als Gratiszugabe überreicht. Komischerweise ist Dale Carnegie weder in Kindlers 20bändigem Lexikon der Weltliteratur noch in der Brockhaus-Enzyklopädie zu finden. Erst ein Blick in die Encyclopedia Americana (Jubiläumsausgabe von 1995) klärt auf: Der 1888 in Maryville (Montana) geborene amerikanische Geschäftsmann, Rhetoriklehrer und Buchautor Dale Carnegie, der 1936 mit seinem in 30 Sprachen übersetzten Wie man Freunde gewinnt und Menschen beeinflußt einen Welterfolg erreichte, ist 1955 gestorben.

Der Erfolg ist in dir ist aber keine Neuauflage von früher Erschienenem. Dem Uneingeweihten, dem auch das Kleingedruckte „& Assoc.“ unter der Autorenzeile noch nichts sagt, wird auf Seite 18 verraten: Autor ist nicht der vor 42 Jahren Verstorbene, sondern die von ihm gegründete „Dale Carnegie & Associates Inc.“, eine Firma also, die den Auftrag hat, „seine Botschaft zu verbreiten“. Am neuen Geistesprodukt waren, wenn ich die kleingedruckten Namen richtig zusammengezählt habe, 14 Personen beteiligt. Der Untertitel „Wie man in einer sich rasch verändernden Welt mit Menschen umgeht, Probleme löst und sich durchsetzt“, macht neugierig. Auch das Vorwort weckt hohe Erwartungen. Wird doch dort festgestellt, daß nach dem Ende des Kalten Krieges und dem Untergang des Ostblocks sich nun auch „die Gesellschaft des Westens einem grundlegenden Wandel“ unterziehen müsse - „in der Wirtschaft, beim Staat und in gemeinnützigen Unternehmen“. Zur Lösung dieser Aufgabe wird die Losung angeboten: „Schneller denken, intelligenter arbeiten, verwegener träumen und ganz anders miteinander umgehen.“ (S. 10) Um das zu verwirklichen, müsse jeder „die Führungspersönlichkeit in sich selbst entdecken“ (weshalb der amerikanische Originaltitel ja auch The Leader in You heißt). Der moderne, erfolgreiche, ans neue Jahrtausend denkende „Leader“ (oder überhaupt jeder von uns) solle fortschreiten „vom Dirigieren zum Führen, vom Gegeneinander zum Miteinander“. Als gelernter Ossi, ich kann's mir nicht verkneifen, erinnert mich das an manches, was zu DDR-Zeiten über „sozialistische Menschenführung“ geschrieben wurde. Nur das statt Marx und Makarenko jetzt Lincoln und Clinton herangezogen werden, oder der Präsident einer erfolgreichen Baseball-Mannschaft und die Gründer der Apple-Computerfirma. Dabei wird gleich versichert, daß es nicht nur um Spitzenleute geht. War es früher (bei Lenin, wenn ich mich nicht irre) die Köchin, die lernen sollte, den Staat zu leiten, so ist es bei Carnegie & Co. „die Angestellte in der Poststelle“ die „Grund (hat) zu lernen, wie man führt“. (S. 25)

Meine abschweifenden Erinnerungen sollen nichts gegen das vorliegende Buch sagen. Gegenüber Freu dich des Lebens ist es von deutlich besserer Qualität. Beachtenswert, was da über die Kunst des Zuhörenkönnens oder über den Umgang mit eigenen und fremden Fehlern geschrieben steht. Die in 16 Kapiteln enthaltenen Ratschläge und Thesen zu befolgen kann schon nützlich sein. Die eigenen Qualitäten und Stärken erkennen; Abgrenzungen überwinden, Mitarbeiter motivieren und Teamwork fördern; Interesse am anderen zeigen und seine Würde achten; Anerkennung und Lob nicht vergessen; seine Ziele bündeln, sein Leben ausbalancieren, Positives finden und fördern ... gegen all das läßt sich schwerlich etwas einwenden. Aber es hat nun auch keinen besonderen Neuigkeitswert. Mir fehlt vor allem soziologische Untermauerung, Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Gegebenheiten, z. B. mit den mehrmals angesprochenen „verkrusteten Strukturen“. Vieles wird versimpelt; manches erscheint unglaubhaft, wie die Geschichte vom Häftling der Stalinzeit, der, sich einen Tunnel grabend, direkt in Josef Wissarionowitschs Arbeitszimmer herauskommt. Und daß amerikanische Präsidenten ihre Wahlkämpfe nur dank eigener Zielstrebigkeit gewinnen, dürfte zumindest eine Idealisierung des Vorganges sein.

Aber vielleicht überfordere ich das Buch auch. Es will schließlich kein Handbuch der Sozialwissenschaften, keine politische Streitschrift sein, sondern eher so eine Art Lebenshilfe für Leiter und jedermann. Was schließlich die erwähnte Köchin, Verzeihung: die Führungsqualitäten in sich wecken sollende Angestellte in der Poststelle betrifft: Ihr wäre schon geholfen, wenn dieses und andere Carnegie-Bücher irgendwie dazu beitragen könnten, durch Verbesserung des Managements und wirtschaftlichen Aufschwung die Arbeitslosigkeit zu verringern. Sie könnten allerdings auch eine andere (vielleicht sogar beabsichtigte) Wirkung haben. Daß nämlich Frau oder Mann zum Schluß kommt: Es liegt allein an mir, wenn ich statt zur Leiterschulung zum Arbeitsamt bestellt werde. Gesellschaftliche Strukturen, politische Entscheidungen haben damit nichts zu tun.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 04/97 (c) Edition Luisenstadt, 1997
www.berliner-lesezeichen.de

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