Analysen · Berichte · Gespräche · Essays

Messe-Mosaik

Ein kompetenter Partner
in allen Fragen
der sorbischen Literatur

Im Gespräch mit Ludmila Budarjowa,
Geschäftsführerin des Domowina-Verlages

Mit der Wiedervereinigung wurde die Bundesrepublik Deutschland auch um eine autochtone nationale Minderheit bereichert, deren Existenz belegt, daß Staatsangehörigkeit und Nationalität zwei ganz verschiedene Begriffe sind. Etwa 60 000 Sorben und Wenden, die über eine eigenständige Sprache und Kultur verfügen, leben in der Ober- und Niederlausitz. Dennoch ist in den alten Bundesländern bis heute relativ wenig über die Geschichte und Gegenwart dieser seit 1400 Jahren in Ostdeutschland lebende ethnische Gemeinschaft bekannt.

Der in Bautzen angesiedelte Domowina-Verlag - eine zentrale Institution der Lausitzer Sorben - nutzte deshalb u. a. die Leipziger Buchmesse, um den Besuchern der Messe mit Hilfe seiner breit gefächerten Verlagspalette die Geschichte und Kultur dieses kleinen slawischen Volkes näherzubringen.

Ihr Verlag ist sicher vor allem nur den ehemaligen DDR-Bürgern als eine Institution bekannt, die durch zahlreiche Publikationen von Vertretern der in Deutschland angestammten ethnischen Minderheit der Lausitzer Sorben in Erscheinung getreten ist. Vielleicht sagen Sie zunächst etwas zur Geschichte ihres Verlages.

Zur Geschichte des Verlages ist zu sagen, daß seit 1954 von einer Abteilung, die eine Außenstelle des Verlages Volk und Wissen war, unsere Lehrbücher und Arbeitshefte für den Unterricht entwickelt, herausgegeben und vertrieben wurden. 1958 wurde dann der Verlag gegründet, und seitdem haben wir die drei Hauptabteilungen des Verlages - die allgemeine und wissenschaftliche Literatur, die pädagogische Literatur und Zeitungen und Zeitschriften. Wir publizieren in obersorbischer, niedersorbischer und in deutscher Sprache.

Welche Probleme sind für Ihren Verlag mit der deutschen Vereinigung entstanden und wie konnten diese Probleme gelöst werden?

Als ehemaliger volkseigener Betrieb wurden wir vorrübergehend von der Treuhand übernommen und dann 1992 von vier sorbischen Vereinen, die jetzt als Gesellschafter fungieren, von der Treuhand gekauft und in deren Trägerschaft übernommen. Wir haben den Status einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung und werden seit der Wende von der „Stiftung für das sorbische Volk“ gefördert. Zu den Trägervereinen gehören die Domowina als Dachverband der Lausitzer Sorben, der sorbische Schulverein, der sorbische Künstlerbund und die Macica Serbska -, das ist eine wissenschaftlich-kulturelle Gesellschaft. Mit Rechtsfähigkeit der Stiftung für das sorbische Volk geht dann unser Verlag mit allen Geschäftsanteilen an die Stiftung über. Das wird voraussichtlich noch in diesem Jahr erfolgen. Im Zusammenhang mit der deutschen Vereinigung wurden Strukturveränderungen durchgesetzt. Bei gleichbleibenden Aufgaben - der Entwicklung, Herausgabe und Vertrieb der gesamten sorbischen Nationalliteratur - mußte ein drastischer Personalabbau um 50% vorgenommen werden.

Hat Ihr Verlag auch Interessenten in den alten Bundesländern gefunden? Ich denke da besonders an Institutionen, Vereine oder Einzelpersonen, die sich mit der Problematik der kulturellen Identität, mit den Fragen von Sprache und Kultur bzw. dem ethnischen Selbstbewußtsein beschäftigen.

Interessenten haben wir in ganz Europa, sogar in Amerika und Australien. Es sind besonders Interessenten, die sich mit Sorabistik befassen. Auch aus Europa ausgewanderte Sorben zählen dazu, die sich für ihre Wurzeln interessieren. Es ist nicht nur in Europa sondern, auch in Amerika modern, daß man danach forscht, woher man kommt und welche Geschichte man hat. In erster Linie sind es aber Universitäten und Bibliotheken, die sich für unsere wissenschaftlichen Publikationen über die sorbische Sprache und Kultur interessieren. Darüber hinaus gibt es auch zahlreiche Einzelpersönlichkeiten, die ganz einfach Interesse an dem sorbischen Volk finden und sorbenkundig werden wollen. In den alten Bundesländern ist es so, daß die Sorben als ethnische Minderheit insgesamt noch zu wenig bekannt sind, und je mehr wir bekannt werden, desto mehr Interesse besteht daran, etwas über die Sorben nachzulesen, um sich zu informieren.

Ihr Verlag ist vielen ostdeutschen Lesern vor allem auch für seine volkskundliche und ethnographische Literatur bekannt. Wie sieht das Verlagsprogramm heute aus?

Das stimmt nicht ganz. Wir hatten auch Kinderliteratur, für die man sich interessiert hat und weiterhin interessiert. Auch Belletristik so bekannter Autoren wie Jurij Brezan, Kito Lorenc, Jurij Koch und weitere, wurde nicht nur in Ostdeutschland gern gelesen, sondern in verschiedene slawische Sprachen übersetzt und ging nach Polen, in die Ukraine, in die Tschechei und in die Slowakei. Und diese Kontakte wollen wir auch weiterhin bewußt pflegen. Im Mai werden wir auch an der Messe in Prag teilnehmen und werden in Warschau mit einem eigenen Stand vertreten sein. Soweit es möglich ist, kaufen wir auch wieder Lizenzen von guten slowakischen und tschechischen Büchern und verlegen sie hier beziehungsweise bieten den Tschechen, Slowaken und Polen auch unsere Produkte an. Dieser Austausch, der Jahrzehnte bestanden hat, ist zwar etwas spärlicher geworden, aber wir pflegen ihn ganz bewußt weiter. Das Verlagsprogramm reicht heute von der Kinderliteratur über Belletristik, Sorbenkundliches, Sorabistika, die Schriften des Sorbischen Instituts und die Lehrbücher, die wir verlegen. Wir sind praktisch der einzige Verlag, der sorbisch als Unterrichtsfach komplett betreut.

Welche Autoren betreut ihr Verlag?

Wir betreuen Autoren des breiten Spektrums, das unseren Verlag auszeichnet. Dazu gehört z. B. Jurij Brezan. Er hat sein neuestes Buch Die Leute von Salau in deutscher Sprache im Kiepenheuer Verlag herausgegeben, die sorbische Version ist jetzt im Februar diesen Jahres, gleichzeitig mit dem Kiepenheuer Verlag, in unserem Verlag erschienen. Speziell für die Niederlausitz wären zu nennen: Jurij Koch mit seinem Buch „Jubel und Schmerz der Mandelkrähe“, dann Peter Kunze der die Kurze Geschichte der Sorben und Die Sorben/Wenden in der Niederlausitz geschrieben hat, und wir hatten heute mit großem Erfolg eine Lesung zum Thema „Verschwundene Dörfer“, das auch zu unserer diesjährigen Messepräsentation gehört und die Problematik der Ortsabbrüche des Lausitzer Braunkohlereviers bis 1993 aufgreift. Dieses Buch - die erste Auflage ist innerhalb kürzester Zeit vergriffen gewesen - erschien bereits in der zweiten, mit zusätzlichen Karten ergänzten Auflage. Es hat regen Zuspruch gefunden, was auch die heutige Lesung bewiesen hat. Dazu wird es noch einen zweiten Band geben, in dem die Betroffenen, deren Heimat devastiert wurde, persönlich dazu Stellung nehmen, wie es ihnen ergangen ist, welche Probleme es gab, wie sie heute leben.

Was sind ihre erfolgreichsten Publikationen?

Unsere Renner sind zur Zeit einmal die Kurze Geschichte der Sorben, die jetzt in der zweiten Auflage erschienen ist, und mit großem Erfolg auch Die Sorben/Wenden in der Niederlausitz - beide Publikationen von Peter Kunze.

Wie hoch sind Ihre Auflagen?

Das ist sehr unterschiedlich. Die Höchstauflage lag bei diesen Publikationen bis jetzt bei 5 000 Exemplaren. Bei den anderen Publikationen bewegen wir uns von etwa 400 bis 2 000 Exemplaren. Die Nachfrage hat aber bewiesen, daß wir uns ruhig weiter vorwagen dürfen. Bei den sorbisch-sprachigen Publikationen liegt die Auflage wesentlich niedriger.

Gibt es Rückmeldungen von Lesern und halten Sie Kontakt zu Lesern?

Ja, selbstverständlich. Eine Neuerung ist jetzt nach der Wende, daß wir bereits zweimal eine Literaturkirmes hatten - eine in der Oberlausitz, eine in der Mittellausitz -, und dieses Jahr wird sie in der Niederlausitz stattfinden. Das heißt, wir haben direkt ein Treffen mit unseren Lesern, mit den Autoren, mit Verlagsmitarbeitern und veranstalten das an einem Abend. Wir präsentieren uns und verkaufen Bücher, verbinden dies mit einem Essen und daran anschließendem Tanz und Gesang. Dem Ganzen geht eine Lesertournee über die gesamte Lausitz voraus, auf der sich unsere Autoren in Lesungen präsentieren und ihre Leser zum Kauf ihrer Bücher anregen. Außerdem veranstalten wir in unserer Smoler' schen Verlagsbuchhandlung auch monatlich mindestens einmal Lesungen, Buchpräsentationen und Buchpremieren, die regen Zuspruch haben. Es sind auch viele Autoren in den Schulen unterwegs.

Sie reflektieren also auch auf jüngere Leser?

Natürlich, vor allem mit der von uns verlegten Kinderliteratur. Die Kinder werden mit der Kinderzeitschrift „Plomjo“ bzw. „Plomje“ schon frühzeitig an das sorbisch-sprachige Lesen herangeführt. Diese beiden Kinderzeitschriften existieren schulergänzend für die erste Klasse. Außerdem geben wir parallel dazu sorbisch-sprachige Märchenbücher heraus, aber auch Sachbücher. Wir haben jetzt ein ganz neues Sachbuch parat. Das nennt sich „Die Lausitz - unsere Heimat“ - eine Information über die gesamte Lausitz, mit Zeichnungen, eizelnen Abbildungen und literarischen Quellenangaben, speziell für Kinder aufbereitet.

Welche Reaktionen gibt es von Kindern?

Die Kinderzeitschrift hat bis zu 2 500 Zuschriften jährlich. Für die Kinder sind extra Seiten eingerichtet, wo sie selber ihre Gedichte und Geschichten publizieren. Auch in unserer Tageszeitung bekommen sie Gehör, und über unsere Bücher erfolgen die Reaktionen dann, wenn unsere Schriftsteller in den Schulen auftreten.

Haben Sie auch Kontakte zu anderen Verlagen?

Das ist ein ganz wichtiger Punkt, besonders im Schulbuchsektor. Wir selbst entwickeln und verlegen alle Lehrbücher und Arbeitshefte für die sorbische Sprache. Sorbisch wird ja im Status der Muttersprache gelehrt, als Zweitsprache und als Fremdsprache. Diese Graduierung zeigt schon den Assimilierungsgrad der Sorben. Manche Kinder bekommen die sorbische Sprache von ihrem Elternhaus mit und haben dann auch den Fachunterricht in sorbischer Sprache. Davon gibt es noch sieben Grundschulen und sechs Mittelschulen in der Lausitz. Dann gibt es Sorbisch als Zweitsprache, das ist in dem relativ kompakten sorbischen Gebiet, dem Dreieck Kamenz - Bautzen - Hoyerswerda. In der Niederlausitz wird Sorbisch nur noch als Fremdsprache gelehrt. Für die Lehrbücher - um wieder auf ihre Ausgangsfrage zurückzukommen - übernehmen wir Lizenzen von Klett-Cotta, aus dem Westermann Schulbuchverlag oder von Ludwig Auer für die Religionslehrbücher, neuerdings auch wieder vom Verlag Volk und Wissen - so daß wir das gesamte Material übernehmen, einschließlich der Abbildungen. Wir übersetzen dann den Text und geben das Buch, das in deutscher Sprache erschienen ist, adäquat in Sorbisch heraus. Aber auch in der Branche der Kinderliteratur versuchen wir Bücher in sorbischer Übersetzung herauszubringen, beispielsweise in Zusammenarbeit mit dem Herder Verlag.

Was sind ihre nächsten großen Vorhaben als Verlag?

Da wäre zunächst die Sammlung sorbischer Sprichwörter, sprichwörtlicher Redensarten und Wendungen zu nennen, die noch in diesem Jahr in einem Neudruck einer bereits 1902 herausgegebenen Ausgabe erscheinen soll. Dieser Neudruck in deutscher und sorbischer Sprache ist durch ein ausführliches Register ergänzt. Desweiteren ist im Bereich der sorbischen Belletristik das Debüt von Frau Merka Metowa, einer jungen Autorin, zu erwähnen, die sorbische Prosa veröffentlicht. Außerdem sind im Bereich der Kinderliteratur drei Projekte geplant, beispielsweise auch ein Spiel, eine Art Memory mit sorbischen Motiven, wo die Kinder Bekanntes über die Lausitz wiederfinden oder neu erlernen können.

Das Gespräch führte Christian Böttger


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 04/97 (c) Edition Luisenstadt, 1997
www.berliner-lesezeichen.de

zurück zur vorherigen Seite