Analysen · Berichte · Gespräche · Essays

Messe-Mosaik

Leipziger Lesewelten:
Fragen, Fakten, Filmprojekte

Da sitze ich nun im Konferenzraum und niemand ist da. Auf dem Plan für die Pressekonferenzen hatte der kryptische Satz gestanden, daß die Woche am Freitag anfängt oder so ähnlich. Wer weiß was sich dahinter verbarg, immerhin war es ja heute Freitag. Also hole ich mir noch einen Kaffee und wer spaziert da ins Pressezentrum? Günter Gaus. Und auch noch Christoph Hein. Mit der Ankündigung war doch nicht etwa die Wochenzeitung „Freitag“ gemeint, deren Mitherausgeber Hein und Gaus sind? Tatsächlich. Kaum hatte ich wieder meinen Platz im Konferenzraum eingenommen, folgen genannte Herren. Der „Freitag“ wuchert ja mit seinen Pfunden, wenn nicht einmal bekanntgegeben wird, daß die nicht ganz unbekannten Herren erscheinen. Ein paar Journalisten finden sich noch ein und auch ein Fernsehteam des „MDR“, daß von Herrn Gaus eine Anspielung auf die schwarze Gesinnung des Senders übergebraten bekommt. Detlev Lücke (Redaktionsleitung) eröffnet das Gespräch. „Der Freitag“ erscheine ab sofort in erweiterter Form und übernehme Elemente der „Wochenpost“ wie die Gerichtsreportage. Lücke erzählt noch etwas zur Geschichte des Blattes, daß aus dem Zusammengehen von „Deutscher Volkszeitung“ und „Sonntag“ entstanden war, die ja beide nicht staatstragend gewesen wären. Ja, ja so entstehen Legenden. Günter Gaus findet, daß es gut wäre, wenn in einer Gesellschaft ein Gleichgewicht herrsche. Doch dieses Land habe sich ziemlich weit nach rechts bewegt und das Gleichgewicht gehe immer schneller verloren. Mit seinem Engagement beim „Freitag“ verschaffe er sich selbst ein gutes Gewissen. Ebenso sieht es auch Christoph Hein. Er will vom Rande kommend Fragen stellen. Fragen stellen, die andere um den Wirtschaftsstandort Deutschland nicht zu gefährden, nicht stellen. Der „Freitag“ ist für Christoph Hein der Gradmesser der deutschen Einigung. Und für mich wird es Zeit aufzubrechen, da im „Forum der Autoren“ die nächste Veranstaltung beginnt.

Auf dem Weg komme ich mit einem Vertreter vom „Bundesverband junger Autoren und Autorinnen“ ins Gespräch. Ralf Paprotta, verantwortlich für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit erzählt, daß der 1987 gegründete Verband als bundesweit einzige Interessenvertretung jungen Autoren helfen möchte. Der Verband versuche Anlaufstelle für junge Talente zu sein, diese zu fördern und sie über die Mechanismen des Büchermarktes zu informieren. Kooperationsangebote des Verbandes an Literaturinstitutionen wären bislang unbeantwortet geblieben. Der Verein zählt zur Zeit ca. 500 Mitglieder, darunter auch solche, die in den letzten Jahren regelrechte Aufsteiger waren, wie Tanja Kinkel.

Aber nun zum „Forum der Autoren“. Der Koehler Verlag aus Hamburg hatte zu einer Buchpräsentation geladen. Ein Buch über das DDR-Urlauberschiff „MS Arkona“ weckte mein Interesse. Die Koehler Verlagsgesellschaft bringt vorwiegend Bücher zur Seefahrt heraus und so wird am Beginn der Veranstaltung eine Wiederauflage von Seeteufels Weltfahrt des legendären Grafen Luckner vorgestellt. Bücher von Graf Luckner hätten den Koehler Verlag mitgeprägt, der 1789 in Leipzig gegründet wurde und sich erst nach dem Zweiten Weltkrieg auf Schifffahrt spezialisiert habe. Herr Koehler gibt aus dem erwähnten Buch Anekdoten Luckners über das sächsische Königshaus zum Besten. Das Publikum freut sich über diese Geste und lauscht amüsiert.

Dann ist Hans-Joachim Zeigert an der Reihe. MS Arkona - Kreuzfahrt ohne Grenzen - Ein Stück deutsch-deutsche Geschichte ist ein repräsentatives, schön ausgestattetes Buch mit vielen interessanten Fakten, Bildern und Erinnerungen. Zeigert liest vor, wie er mit seinen Kollegen das erste Mal auf der MS Astor mitfuhr und wie aus der MS Astor die MS Arkona wurde: Ein Handel mit zweimaligem Flaggenwechsel an Bord, da die DDR das Traumschiff nicht direkt vom südafrikanischen Eigner kaufen wollte. Im Anschluß an die Lesung stelle ich Herrn Zeigert noch ein paar Fragen und erfahre, daß er prädestiniert dafür war dieses Buch zu schreiben, fuhr er doch bis 1995 als Leiter des Kommunikationsbereiches auf der MS Arkona und Schreiben war schon seit langem sein Hobby gewesen.

Als ich wieder meinen Platz einnehmen will, bemerke ich, daß dieser von einer Dame okkupiert wird, die gerade dabei ist einen Notenständer auszupacken und zusammenzusetzen. Gleich soll Holly-Jane Rahlens ihre Lesung von Becky Bernstein goes Berlin beginnen. Doch noch hat sie mit dem Notenständer zu kämpfen. Ein Mann, von ihr mit Eberhard angesprochen, hilft und ich kann mich endlich wieder setzen. Eberhard ? Der Name kommt mir irgendwie bekannt vor. Hieß der Kerl, der in der Wohngemeinschaft Becky Bernstein das Kapital von Karl Marx einbleuen wollte, nicht Eberhard? Also frage ich: „Sind sie der Eberhard aus dem Buch?“
„Welcher Eberhard aus dem Buch? Sie meinen Benno?“
Nein, ich meinte nicht Benno, mit dem Becky zum Schluß des Buches zusammenkommt.
„Nein, Eberhard aus der Wohngemeinschaft.“
„Der heißt doch Erhard.“ Oh Gott, wie peinlich.
„Aber ich möchte doch lieber mit Benno verwechselt werden als mit Erhard,“ sagt Eberhard. Nun beginnt Holly-Jane Rahlens ihre Performance. Sie hat sich auf einem eigens mitgebrachtem Barhocker niedergelassen und auf dem Notenständer ihr Manuskript plaziert. Holly-Jane Rahlens ist wie die Titelheldin des Buches eine jüdische Amerikanerin, die die Liebe vor zwanzig Jahren nach Berlin geführt hatte. Bevor die Frage überhaupt gestellt wird, beantwortet Frau Rahlens sie schon: „Ja, es ist autobiographisch. Zu 13,33 Prozent.“ Sie liest einige Abschnitte aus dem Buch vor. Wie sie in Amerika einem jungen Deutschen begegnet. Wie sie ihre ersten deutschen Worte lernt: Mäuschen und Stores. Und welche Schwierigkeiten sie mit dem Wort zwar hatte. Die Texte sind nicht unbedingt tiefschürfend, aber ganz witzig. Spaß macht vor allem, die Autorin bei ihrem Vortrag zu erleben. Viel Beifall. Noch Fragen? „Möchte nicht jemand wissen, ob ich mit der Hand schreibe oder mit dem Computer?“ „Schreiben Sie mit der Hand ...“, echot ein älterer Herr. Sie schreibt mehr mit Computer antwortet Frau Rahlens. Ein Besucher weiß noch zu berichten, daß es das Wort zwar in Leipzig auch als Familiennamen gibt, aber mit „h“. Danach wartet Frau Rahlens lieber nicht mehr auf weitere Fragen, sondern erzählt nur noch, daß in einem Jahr wieder ein Buch von ihr erscheint und ein Filmprojekt in Arbeit ist.

Meine nächste Station ist das Berliner Zimmer.

Dietrich Simon vom Verlag Volk und Welt stellt Steffen Kopetzky und sein Buch Eine uneigentliche Reise - Grundprobleme Europas am Ende des 20. Jahrhunderts vor. Kopetzky beschreibe in seinem Roman den Zustand des Ausbleibens der Apokalypse und des Untergangs, widme sich den Phänomen von Langeweile, Abschied und Überdruß. Kopetzky (Jahrgang 1971) fragt, ob er erst lesen oder erst erläutern soll. Simon entgegnet: „Wir lesen hier, die Menschen in Leipzig können ausnahmsweise selber denken!“ Nicht schlecht.

Steffen Kopetzky hat trotz der Wärme im Berliner Zimmer eine Baskenmütze auf. Sehr stilvoll. Was Kopetzky vorliest soll verschmitzt ironisch und von hohem sprachlichen Können sein. Da kommen solche Sätze wie: „Wohin man seinen Schritt in Europa heute setzt, schlagen die Wellen des Untergangs an den bröckelnden Strand der Gegenwart und ersticken den Wind aufkeimender möglicher Hoffnung, wir könnten vielleicht doch nicht gemeint sein, sondern andere.“ Einige Zuhörer schauen etwas entgeistert, die meisten aber begeistert drein. Und ich komme zum Ende mit dem schönen Kopetzky-Satz: „Doch wie schädlich muß hier der Einfluß der Ironie wirken, wenn die Rettung nur aus ernstgemeinter Diffusion erwachsen kann: denn was wäre eine Verflüssigung anders als eine Zementierung der Zementierung, also das Ende?“

Kathrin Chod


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 04/97 (c) Edition Luisenstadt, 1997
www.berliner-lesezeichen.de

zurück zur vorherigen Seite