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Messe-Mosaik

Das rebellische Wort

Unter diesem kraftvoll-explosiven Fahnenwort hatten sich die zahlreichen Interessenten an der gemeinsamen Veranstaltung der beiden deutschen P.E.N.-Zentren und des Ch.Links Verlags versammelt. Zwei gewichtige inhaltliche Schwerpunkte prägten diese Zusammenkunft im Rahmen der diesjährigen Leipziger Buchmesse. Zunächst informierten die Vertreter der P.E.N.-Zentren Ost und West detailiert über ihre „Writers in Prison“-Arbeit. Man erfuhr Erschütterndes über Autorenschicksale: über die Verfolgung, Verschleppung, Folterung und Ermordung von Autoren in zahlreichen Ländern rund um unseren Erdball. Dies alles geschieht in einer Welt, in der kaum ein Wort so häufig und so heuchlerisch im Munde geführt wird, wie das von den „Menschenrechten“. Gerade deshalb war es zugleich ermutigend, von den vielfältigen Anstrengungen, den einfallsreichen Initiativen und konkreten Aktionen zu erfahren, mit denen sich P.E.N.-Zentren überall in der Welt einsetzen, um den - unter abenteuerlichen Verdächtigungen und fadenscheinigen Vorwänden - gejagten, verurteilten und ins Gefängnis geworfenen Autoren zu helfen.

Sinnvoll wurde die Veranstaltung um einen zweiten Teil ergänzt: durch die Präsentation des Buches Das rebellische Wort. Dem Ch.Links Verlag gebührt damit das Verdienst, daß den Lesern in Deutschland nun der Titel des amerikanischen Originals: The Dissident Word. The Oxford Amnesty Lectures 1995 auch in einer deutschen Übersetzung zugänglich ist.

Es sollte und wollte an dieser Veranstaltung auch der erste afrikanische Literaturnobelpreisträger, der Nigerianer Wole Soyinka, teilnehmen. Kein Zweifel: Es wäre ein ganz besonderes Erlebnis für alle Teilnehmer und gewiß der geistige und politische Höhepunkt dieses Treffens engagierter Literaturfreunde gewesen. Und in der Tat: Nichts, aber auch gar nichts hatte das Fernbleiben des erwarteten Gastes mit irgendeiner Form von Mißachtung der Veranstaltung zu tun. Im Gegenteil. Jäh hat es uns, die wir in der friedlichen Geborgenheit eines prunkvollen Saales des Bach-Museums zu einem ernsten Thema zusammensaßen, ganz unmittelbar das Bewußtsein für den „verdammten Ernst“ unseres engagierten Interesses geschärft: für das wirklich Bedrohliche und Dramatische der Jagd auf Autoren und der Unterdrückung des freien Wortes. Was so fern ab von uns erscheint, wirft mitunter doch seine Schatten bis in unsere „bequemen Wohnstuben“. Denn Wole Soyinka war ja bereits in Leipzig eingetroffen und hatte am Symposium des Ost-P.E.N. „Exil und Literatur“ in der ostdeutschen Buchmetropole mitgewirkt. So unvorhergesehen wie dringend mußte er jedoch dann nach Brüssel fliegen - zur Beratung über sein weiteres politisches Schicksal. Neuerlich verstärkte Aktivitäten des Militärregimes in Nigeria, seiner habhaft zu werden, hatten Soyinkas plötzliche Abreise aus Leipzig erforderlich gemacht.

Der Internationale P.E.N. ist beratendes Mitglied in der UN-Kommission für Menschenrechte. Wo die Menschenrechte mit Füßen getreten werden, da erscheinen schon die leisen Töne der Literatur als Aufruhr, da gilt allein die Behauptung des freien Wortes als Rebellion! Wie sich der P.E.N. für „das rebellische Wort“ engagiert, darüber berichtete Gerhard Schoenberner, „Writers in Prison“-Beauftragter des deutschen P.E.N.(West). Das „Writers in Prison“-Commitee des Internationalen P.E.N. wurde 1960 ins Leben gerufen, weil die Zahl der Länder, die Schriftsteller verfolgen, um sie zum Schweigen zu bringen, überall in der Welt in besorgniserregender Weise zunahm. Gegenwärtig sind es 100 Staaten, die mit ungesetzlichen und teilweise verbrecherischen Übergriffen gegen Schöpfer und Verfechter des freien Wortes vorgehen. An der ruhmlosen Spitze stehen die Türkei und China; dazu gehören aber auch Länder wie Äthiopien, Pakistan, Rußland sowie Nord- und Südkorea. Insgesamt gibt es ein charakteristisches Nord-Süd-Gefälle, das übrigens bereits in der Ära der Ost-West-Konfrontation vorherrschend war. Im Laufe der Zeit hat das Commitee seine Tätigkeit ausgedehnt. Es betreut heute nicht nur Schriftsteller, sondern auch Verleger, Redakteure und Journalisten, gleichgültig in welchem Land sie leben und welche politischen Ansichten sie vertreten. Davon gibt es nur eine Ausnahme. Gefangene, die Anwendung von Gewalt praktiziert oder propagiert oder zum Rassenhaß aufgerufen haben und deshalb verurteilt wurden, werden nicht betreut, weil solche Handlungen im Gegensatz zur Charta des Internationalen P.E.N. stehen.

48 der insgesamt 124 nationalen Zentren des P.E.N. in aller Welt wirken aktiv im „Writers in Prison“-Commitee mit. Jedes dieser Zentren ernennt verfolgte Autoren zu Ehrenmitgliedern und setzt sich für sie ein. Auf diplomatischen Kanälen oder in öffentlichen Kampagnen machen sie auf diese Fälle aufmerksam und versuchen eine Freilassung der Gefangenen zu erreichen. Sie korrespondieren mit den Familien der Gefangenen oder, falls möglich, mit diesen selbst und versuchen auf alle Art, sie moralisch zu unterstützen. Sie schreiben Artikel über ihre Schützlinge und setzen sich dafür ein, daß deren Arbeiten übersetzt, in öffentlichen Lesungen bekannt gemacht und publiziert werden. Das Sekretariat des „Writers in Prison“-Commitees, das der Londoner Zentrale des Internationalen P.E.N. angeschlossen ist, sammelt Informationen und gibt sie an die nationalen Zentren weiter. Als Quelle dienen Presseberichte, Untersuchungen von Menschenrechtsgruppen, direkte Kontakte mit Verwandten und Freunden der Verfolgten und die Mitteilungen von P.E.N.-Mitgliedern aus diesen Ländern. Alle sechs Monate legt das Commitee eine Broschüre vor, in der alle ihm bekannt gewordenen Fälle aufgelistet sind. Die Angaben werden ständig aktualisiert und auf Anfrage weitergegeben. Ein monatliches Bulletin unterrichtet die P.E.N.-Mitglieder über die neuesten Entwicklungen. In Blitzaktionen werden Telegramm-Kampagnen für Autoren organisiert, deren Gesundheit oder Leben in Gefahr sind. Brigitte Burmeister, von der Arbeitsgruppe „Writers in Prison“ des ostdeutschen P.E.N., vermittelte am konkreten Einzelfall ein eindringliches Bild von den Repressionen gegen Ayse Nur Zarakolu, die erste Frau, die in der Türkei ein Verlagshaus leitet. Seit Jahren besteht sie mutig und beharrlich auf freier Meinungsäußerung - auch und gerade für Autoren, die in der Türkei tabuisierte Themen behandeln. Auf die Arbeit ihres Verlags reagiert der türkische Staat, nominell eine Demokratie, mit Verboten, Beschlagnahmungen von Büchern, mit Geld- und Haftstrafen für die Verlegerin. Das Deutsche P.E.N.-Zentrum(Ost) machte Frau Zarakolu im September 1996 zu seinem Ehrenmitglied. Außer über die staatlichen Unterdrückungsmethoden berichtete Frau Burmeister also auch über Beispiele der solidarischen Gegenwehr. Die Initiative „Freiheit für die freie Meinungsäußerung“ - die bislang wohl größte Aktion zivilen Ungehorsams in der Türkei - läßt dabei zugleich auch ein „listiges Vorgehen“ erkennen. 1080 Intellektuelle und Künstler haben sich zu Mitherausgebern eines Buches („Düsünceye Özgürlük“ = Freiheit für die Meinungsfreiheit) erklärt, das eine Sammlung von Schriften enthält, deren Erscheinen verboten wurde oder deren Verfasser wegen der Veröffentlichung vor Gericht gestellt bzw. verurteilt worden sind. Nach türkischem Recht ist die erneute Publikation einer als kriminell verurteilten Schrift genauso strafbar wie deren Erstveröffentlichung. Die Herausgeber, von denen sich etliche selbst angezeigt haben, wollen den türkischen Staat zur Anwendung seiner Gesetze zwingen, damit er sich vor einer weltweiten Öffentlichkeit als so repressiv zeigt, wie er infolge seiner Kurdenpolitik und der auf sie abgestimmten „Anti-Terror“-Gesetzgebung tatsächlich ist. Mehr als 150 P.E.N.-Mitglieder aus verschiedenen Ländern (auch aus Deutschland) haben sich inzwischen der Aktion angeschlossen, indem sie sich zu Mitherausgebern des inkriminierten Buches erklärten. Eine ganze Reihe von ihnen ist Mitte März zu einer großen internationalen Zusammenkunft nach Istambul gereist, zu der die Initiatoren der Kampagne für die Respektierung der Menschenrechte in der Türkei eingeladen hatte.

Die „Oxford Amnesty Lectures“ sind eine jährliche, von Sponsoren finanzierte Vorlesungsreihe. Persönlichkeiten von internationalem Ruf werden regelmäßig eingeladen, in Oxford einen Vortrag zu einem Thema zu halten, das sich auf Menschenrechte bezieht. Der Erlös kommt Amnesty International zugute. Im Jahre 1995 bestritten die Autoren Andrè Brink, Wole Soyinka, Edmund White, Taslima Nasrin, Gore Vidal und Nawahl El Saadawi den Vortragszyklus. In dem daraus entstandenen Buch „Das rebellische Wort“ gehen die sechs international renomierten Schriftsteller der Frage nach: Was vermag Literatur im Zeitalter der Bedrohung von Sprache und Kommunikation? Da Wole Soyinka ursprünglich aus seinem Beitrag lesen sollte, konzentrierte sich das Interesse in unserer Veranstaltung verständlicherweise auf den Text des Nobelpreisträgers.

„Unser Zeitalter ist fraglos das der tödlichen Zensur geworden, und eines ihrer beeindruckenden Merkmale ist die Fähigkeit, das öffentliche Bewußtsein durch verbale Opiate zu einer optimistischen Lesart der eklatantesten Texte des Verbrechens zu manipulieren.“ Für seine scharfsichtige Diagnose liefert der Autor eine erdrückende Beweislast. „Befriedung“ - welch ein schönes Wort für heutige Konfliktlösungen! Welch makabre Beschönigung von Lösungen, die ohne Blutzoll nicht mehr zu haben sind. Soyinkas Text enthüllt das „schwammige Gewebe der neuen Sprache“ als ein Medium des Sich-Arrangierens mit den tödlichen Zensoren. Er demaskiert die sogenannte „politische Korrektheit“ als Perversion, weil ihr das Zigarrettenrauchen als genauso verdammungswürdig gilt wie der Genozid. In all den „schuldbeladenen Euphemismen“ macht er eine „Komplizenschaft mit Unterdrückern“ aus und fordert statt der „perversen Theologie eines pseudokulturellen Relativismus“ ein Festhalten an „unzweideutigen Begriffen der Verurteilung“ des wirklich Verdammungswerten. Vor diesem Hintergrund geht der Literaturnobelpreisträger mit der westlichen Heuchelei im Fall Ruschdie ebenso scharf ins Gericht wie mit der Rolle des „kooperativen Mobs“ im ausgeklügelten Terror gegen Schriftsteller und Intellektuelle.

Der Ch.Links Verlag wirbt für sein Buch mit einem Gegenstand, der so alt ist wie die Sprache selbst: „die Macht und die Grenzen des Wortes, seine Möglichkeiten, seine politische Instrumentalisierung und sein Mißbrauch. Gesellschaftlicher Wertewandel, die Bedrohung demokratischer Strukturen durch fundamentalistische Einflüße und religiösen Fanatismus sowie veränderte Kommunikations- und Mediensysteme bilden den zeitgeschichtlichen Hintergrund für diese provokanten und anregend-kritischen Essays.“

Das rebellische Wort hat viele Leser verdient - und immer mehr Leser nötig.

Jürgen Harder


Chris Miller (Hrsg.): „Das rebellische Wort“
Oxford Amnesty Lectures.
Ch.Links Verlag, Berlin 1997


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 04/97 (c) Edition Luisenstadt, 1997
www.berliner-lesezeichen.de

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