Eine Rezension von Christel Berger

Ohne Hoffnung?

Michael Wildenhain: Heimlich, still und leise
Erzählungen.
S. Fischer Verlag, Frankfurt/M. 1994, 171 S.

Wenn ich schreibe, daß „Menschen am Rande“ die Helden von Michael Wildenhains Texten sind, - charakterisiert das den Autor oder aber die Gesellschaft, in der Einsame, Ausweg- und Erfolglose oder Aussteiger vom offiziellen Bild der Zufriedenen und Satten überdeckt werden? Wildenhain interessieren die Nicht-Offiziellen, die anderen, mehr noch, so wie er schreibt, fühlt er sich ihnen zugehörig. Er kennt sie genau, und vielleicht deshalb ist in seinen Texten weder Mitleid noch Sentimentalität zu finden. Erfolglosigkeit macht nicht sanft, Konsequenzen - oder auch Sturheit - ist nicht immer sympathisch. Insider der Szenen kennen die Schattenseiten. Ein Leben „am Rande“ ist alles andere als exotisch. Manchmal scheint es, als wolle der Autor das Verhalten seiner Protagonisten förmlich sezieren, die Genauigkeit wiederum verwandelt sich dann in ein Plädoyer: Wenn es so war und der Held so ist, dann hat er nicht anders gekonnt, um den Frust - die Armut, die Demütigungen - wenigstens für Momente oder für immer loszuwerden.

Schipper - der von den Schulkameraden wegen seiner Ärmlichkeit gemiedene und verhöhnte Musterschüler, der in seiner Liebe unbedingt ist und den Selbstmord Kompromissen vorzieht. Schädler, der sich an bestehende Hierarchien, ob in der Gesellschaft noch im Theater, nicht gewöhnen wird. Der Hobby-Fotograf, der der alten Frau zehn Jahre lang die Kohlen aus dem Keller in die Wohnung getragen hatte, bis zu dem Tag, da er sie erschlug, ihr Geld nahm, den teuren Fotoapparat kaufte und zurück in die Wohnung ging, um die Tote mit dem Beil zwischen den Schenkeln zu fotografieren. Der Maler, der keins seiner Bilder verkaufen kann und sich lieber im vereisten See versenkt als ein anderes Leben zu führen. Oder die Regisseurin, die wochenlang die Demütigungen des großen Künstlers Maechler erträgt, bis ..., ja bis sie sich wehrt.

Es sind Texte, die von der genauen Beschreibung der Atmosphäre, oft sind es verfallende Räume alter Werkhallen oder Theater, Hinterhauswohnungen, muffige Böden und Keller mit rissigen Wänden und Ungeziefer. Das kann der Leser riechen, und er sieht es quasi vor sich. Und er wird gleichsam suggestiv in das jeweilige Geschehen eingeführt, denn jede Geschichte hat den ihr gemäßen Rhythmus. Die Atemlosigkeit, das Ungeheure eines Vorgangs teilt sich über zerhackte und dennoch verschachtelte Satzgefüge mit, während an anderer Stelle der plötzliche Einsatz einer sehr klaren Sprache an Situationen erinnert, da der Himmel plötzlich aufreißt, da Hoffnungslosigkeit noch einmal besiegt werden kann. Michael Wildenhain schreibt dichte, eher lakonische Prosa und läßt merken, daß er Lyriker ist. Bewußt spielt er mit Zeitebenen, es gibt nicht nur Rück- sondern auch Vor-Blenden. Das Jetzt ist Teil eines Prozesses, der aus Erfahrungen und Verlusten besteht. So zielt das Ganze letztendlich dahin, ein Lebensgefühl auszudrücken, das keine Hoffnung mehr hat, obwohl es Hoffnung braucht. Eine schwierige Balance, aber Wildenhain macht anspruchsvolle, manchmal spannende Literatur draus.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 03/97 (c) Edition Luisenstadt, 1997
www.berliner-lesezeichen.de

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