Eine Rezension von Karl-Heinz Arnold

Geschichten und Politik

Carl Steinhoff übersetzte: Sieben italienische Novellen
von Alfredo Panzini und Francesco Pastonchi.
Anhang zu Leben und Wirken
Märkischer Verlag, Wilhelmshorst 1997, 211 S.

Man weiß nicht, was den Juristen und Verwaltungsfachmann Carl Steinhoff zur Auswahl der beiden Autoren veranlaßt hat, deren Novellen er in den dreißiger Jahren aus dem Italienischen übersetzte. Alfredo Panzini und Francesco Pastonchi mit ihren im ersten Dezennium dieses Jahrhunderts entstandenen Erzählungen gehören eher zu den Randfiguren der italienischen Literatur. Sie sind jedoch unentbehrlich, um deren breites und nuancenreiches Spektrum in jener Zeit zu erfassen. So die Romanistin Sabine Zangenfeind (Universität Potsdam) im Anfang zu dem Buch, das im Grunde doch ein anderes Anliegen hat, als Lesestoff aus dem kulturell reichen Italien zu vermitteln. Es soll vielmehr helfen, einen Politiker aus dem historischen Schatten zu holen, in den er bereits während der ersten Jahre der DDR gestellt worden ist.

Carl Steinhoff - das altertümliche C des Vornamens hat er im hohen Alter bevorzugt - wurde nach der Landtagswahl von 1946 erster Ministerpräsident des Landes Brandenburg, nachdem er zuvor als Präsident der zunächst geschaffenen Provinzialverwaltung gearbeitet hatte, eingesetzt bereits im Juni 1945 von der Sowjetischen Militäradministration (SMAD). Auf Wunsch des damals noch einflußreichen Wilhelm Pieck, 1949 bis 1960 Präsident der DDR, berief der ehemalige Sozialdemokrat Otto Grotewohl den ehemaligen Sozialdemokraten Steinhoff als Innenminister in die erste DDR-Regierung.

Zahlreiche Daten und Fakten aus Steinhoffs Vita bietet der Anhang des Buches, insbesondere in einem von seinem Sohn Rudolf verfaßten Lebensbild. Daraus ist auch ersichtlich, wie es zum Übersetzen italienischer Erzählungen kam. Reichskanzler von Papen hatte 1932 die preußische Regierung unter dem Sozialdemokraten Otto Braun abgesetzt, ein staatsstreichartiger Akt. Damit wurde auch der Vize-Oberpräsident von Ostpreußen, Dr. jur. Carl Steinhoff, in den „einstweiligen Ruhestand“ geschickt. So war er mit knapp 40 Jahren vor die Frage gestellt, wie er sich ein Zubrot verdienen könnte, zumal ihn Göring, neuer preußischer Ministerpräsident, alsbald endgültig entließ und Berufsverbot für eine Anwaltstätigkeit erteilte, verbunden mit einer Strafpension von rund 450 Reichsmark, was weniger als die Hälfte der Bezüge bedeutete. (Diese Art sozial wirksamer politischer Sanktionen, die das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums von April 1933 verfügte, wurde übrigens auch 1938 nach dem „Anschluß“ Österreichs und der Sudetengebiete zur Bestrafung „auffällig“ gewordener öffentlicher Bediensteter angewendet.) Die von Steinhoff übersetzten Erzählungen fanden jedoch damals keinen Verleger.

Nach dem Krieg holte ein Mitglied der Gruppe Ulbricht - Bernhard Bechler - den von den Nazis gemaßregelten Steinhoff, seit Anfang der dreißiger Jahre SPD-Mitglied, aus seinem Haus in Wilhelmshorst bei Potsdam ins politische Leben zurück. Die SMAD vertraute ihm das vom Krieg schwer gezeichnete Brandenburg an. Vier Jahre später zog er in ein großes Erkerzimmer des ehemaligen Bankgebäudes in der Berliner Mauerstraße, nun Innenministerium. Knapp drei Jahre später, im Mai 1952, entfernte das Politbüro (PB) unter Vorsitz Walter Ulbrichts den Kandidaten des PB Steinhoff aus diesem Gremium und verfügte in derselben Sitzung seinen Rücktritt als Innenminister, natürlich aus „Gesundheitsgründen“. Ein hochgebildeter Intellektueller und Jurist alter Schule, der noch Sinn für demokratisches Korrektiv und Gewaltenteilung hatte, paßte weder in dieses von einem Mann dominierte „Kollektiv“ noch durfte er auf die Dauer Innenminister sein, dem die gesamte Polizei unterstand. Im Abriß der Geschichte der SED, 1978 mit Honeckers Segen erschienen, ist eine Passage zum Jahr 1950 zu lesen, die bei aller Verklausulierung ahnen läßt, daß damit auch Steinhoff gemeint war, der damals einen eigenen Entwurf für die erste Verfassung der DDR erarbeitet hatte, orientiert an der Weimarer Verfassung. Da heißt es: Reaktionäre Kräfte im Staatsapparat wandten sich „gegen das Prinzip des demokratischen Zentralismus und redeten der in bürgerlichen Verfassungen üblichen ‚Gewaltenteilung‘ in Gesetzgebung, Exekutive und Rechtsprechung das Wort“.

Zweite Maßregelung also, diesmal mit 60 Jahren, Beginn von mehr als zwei Jahrzehnten Verbitterung, Selbstdisziplin, Zwiesprache mit Literatur, speziell der alten Griechen, deren Weisheit Steinhoff auch in so manchem Brief zu Papier brachte, aus dem Kopf und in gestochener Schrift. Im Nachlaß des 1981 mit fast 90 Jahren gestorbenen Wilhelmshorster Eremiten fanden sich ebenjene Übersetzungen. Ende 1996 hat der Potsdamer Landtag, an die Konstituierung des brandenburgischen Parlaments von 1946 erinnernd, auch des Politikers Carl Steinhoff gedacht, eines gradlinigen Mannes, der zweimal Persona non grata wurde, und dies aus keineswegs ganz unterschiedlichen Gründen.

Panzini und mehr noch Pastonchi mögen durchaus zu den wenig bekannten italienischen Schriftstellern gehören. Die Lektüre ihrer Erzählungen bringt dennoch Gewinn, weil sie eine beruhigende und zugleich reizvolle Atmosphäre ländlichen und kleinbürgerlichen Lebens vermitteln. Namentlich „Kälte“ von Pastonchi sowie „Transitive Verben und die Schule des Lebens“ von Panzini sind geradezu zauberhaft, wenn sie von jungen Leuten vorgelesen und an den richtigen Stellen mit schelmischem Lächeln kommentiert werden. So geschehen im Januar in der Stadt- und Landesbibliothek Potsdam.

Ach ja - eine Räuberpistole mit durchaus aktuellen Bezugsmöglichkeiten bietet das Büchlein auch. Steinhoff berichtete sie später seiner Familie als „spannende Episode“, nicht ohne Spott in den Augenwinkeln. Im Juli 1945 war der eben ernannte Präsident der Provinzialverwaltung mit einem blauen Opel Olympia der SMAD auf der Heimfahrt von Potsdam nach Wilhelmshorst. Unterwegs stoppten einige Männer in Uniform der Roten Armee den Wagen - sie hätten eine Panne, bäten um Abschlepphilfe. Es waren Banditen: Als der Fahrer des Opel ausgestiegen war, um das Abschleppseil zu befestigen, wurde Steinhoff mit vorgehaltener Pistole zum Verlassen des Wagens gezwungen, mit dem die Uniformierten davonfuhren. Der Herr Präsident durfte nach Hause laufen, sein Fahrer zurück nach Potsdam


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 03/97 (c) Edition Luisenstadt, 1997
www.berliner-lesezeichen.de

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