Eine Rezension von Eberhard Fromm

Wortmeldungen zu Fragen unserer Tage

Manès Sperber: Anpassung und Widerstand
Über den unvernünftigen und vernünftigen Gebrauch der Vernunft.
Herausgegeben und eingeleitet von Wilhelm von Sternburg
Europa Verlag, Wien - München 1994, 223 S.

Es sind erst 12 Jahre seit dem Tode von Manès Sperber vergangen und doch trifft man bereits immer mehr lesende Menschen, denen sein Name fremd ist. Offensichtlich teilt er das Schicksal anderer bedeutender Autoren, „die in den Jahrehn unmittelbar nach ihrem Tod zunächst einmal in Vergessenheit geraten, weil sie zu Lebzeiten vielleicht zu übermächtig waren“ (S. 32), wie der Herausgeber Wilhelm von Sternburg in seiner Einleitung schreibt.

Manès Sperber (1905-1984) stammt aus Ostgalizien. Schon früh kam er nach Wien, wo er sich anarchistischen Organisationen anschloß, seine Liebe zur Literatur entdeckte und zum Schüler des Begründers der Individualpsychologie Alfred Adler wurde. Bereits mit neunzehn Jahren arbeitete er als Psychologe, kam 1927 nach Berlin in die Gesellschaft für Individualpsychologie. Politisch schloß er sich der KPD an, fuhr 1931 in die Sowjetunion, kam 1933 in Berlin in Haft und emigrierte sofort nach seiner Freilassung zuerst nach Wien, dann nach Paris, wo er ideologischer Leiter des Instituts zum Studium des Faschismus wurde, einer von der Komintern gegründeten Einrichtung. 1937 trat Sperber aus der KPD aus, zum öffentlichen Bruch kam es jedoch erst 1939 nach dem Hitler-Stalin-Pakt. Nach dem Krieg lebte und arbeitete er als freier Schriftsteller in Paris. 1937 entstand sein Buch „Zur Analyse der Tyrannis“, in der Zeit nach dem Krieg die Romantrilogie „Wie eine Träne im Ozean“, die dreibändigen Erinnerungen „All das Vergangene ...“ sowie viele Essays, die in verschiedenen Sammlungen erschienen sind. Der Außenseiter, der Dissident, der Intellektuelle Sperber, so charakterisiert ihn Sternburg, „bleibt ein psychologisierender Historiker, ein philosophischer Geschichtsbetrachter und skeptischer Wahrheitssucher.“ (S. 26)

Die vorliegende Auswahl umfaßt sieben Beiträge, die bereits in anderen Sammlungen veröffentlicht wurden, sowie vier bisher unveröffentlichte Beiträge. Nach einer bekenntnishaften Klärung zur Frage „Mein Judesein“ erzählt Sperber in „Unterwegs überall im Niemandsland“ aus seinem ereignisreichen Leben. Besonders nachdrücklich begründet er seinen unheilbaren Bruch mit Deutschland und seine Überzeugung, „daß es noch während zwei, drei Generationen für Juden meiner Art unwürdig bleiben wird, sich mit Deutschen zu identifizieren“. (S. 67)

Derart biographisch eingestimmt - dazu zählt natürlich auch die knappe Einleitung („Der Tod, dieser nicht enden wollende Skandal“) des Herausgebers -, kann man sich nun den einzelnen Essays, Artikeln und Reden zuwenden. Sie beschreiben weniger Geschehnisse und Prozesse als vielmehr Positionen des Autors zu grundsätzlichen Fragen unseres Jahrhunderts. So analysiert er den Haß - und damit im Zusammenhang natürlich den Antisemitismus - als ein Phänomen, das sowohl totalisiert und auch atomisiert, als eine Krankheit, als einen wenigstens partiellen Wahnsinn: „Man haßt jene Menschen, die man entstellt hat, und man entstellt sie, um sie hassen zu können. Warum? Um nämlich in der absoluten Negation des fremden Wertes die absolute Bestätigung des eigenen zu finden.“ (S. 122) In dem Essay über Anpassung und Widerstand, das dem Band seinen Titel gab, entwickelt er die Auffassung, daß sich die Anpassungsprobleme heute völlig anders stellen, als noch vor ein, zwei Generationen. Die Ursache liege vor allem in den Erschütterungen und Katastrophen dieses Jahrhunderts, die in der Menschheitsgeschichte ihresgleichen suchen und die zu schweren Störungen in der Beziehung von Anpassung und Widerstand geführt hätten. Sperber fordert deshalb „den Mut zum sinnvollen, also verantwortbaren Widerstand ebenso zu fördern wie die Fähigkeit zur Anpassung an eine unpersönlich fordernde, massenhaft befremdende Gesellschaft“ (S. 167). Zwei Fragen tauchen in vielen Beiträgen immer wieder auf: Probleme des Totalitarismus und Forderungen an die Intellektuellen. Sperber denkt über die „Anziehungskraft totalitärer Systeme“ nach und wägt das Verhältnis von „Freiheit und Gleichgültigkeit“ ab, er beschreibt ausführlich - an Beispielen politischer Prozesse - eine von ihm so genannte „polizistische Geschichtsauffassung“ und er analysiert das Verhalten der Intellektuellen. Für ihn ist der Intellektuelle verpflichtet, überall dort einzugreifen, „wo es gilt, bestimmte Taten zu verhindern oder anzuklagen, wenn eine moralische oder geistige Not zu einer allgemeinen Gefahr zu werden droht“. (S. 137) Intellektuelle sollen im Kampf gegen die Verlockungen und Drohungen der Macht mahnen und sich gegen die Borniertheit der Realpolitik wenden. Von den deutschen Intellektuellen verlangt Sperber, daß sie nicht einfach mit Schweigen ihre Vergangenheit bedecken, denn: „Wer durch Wort, Schrift oder sonstige Mittel dazu beigetragen hat, den Geist und die Seelen der Menschen der Lüge und der Tyrannis zu unterwerfen, der kann nicht nachher, wenn der Kampf der anderen diesem Zustand ein Ende bereitet hat, so tun, als trüge er nun auch keine Verantwortung mehr.“ (S. 221) Eine Forderung, die sicher für jeden Intellektuellen gilt und die in der Gegenwart auf neue Weise Aktualität gewonnen hat. Insofern bestätigt sich der Eindruck, den man beim Lesen dieser Sammlung gewinnt: Es ist kein Lesebuch zu Manès Sperber; es sind gültige Wortmeldungen zu Fragen und Streitpunkten unserer Tage; es sind Anregungen, am Ende des Jahrhunderts dieses 20. Jahrhundert kritisch zu betrachten, ohne es zu beschönigen und ohne es zu verachten.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 03/97 (c) Edition Luisenstadt, 1997
www.berliner-lesezeichen.de

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