Eine Rezension von Angela Nolte

Kohlhausen holt auf

Eric F. Sidler: Mein geliebtes Deutschland
Kritische Reflexionen eines Gastarbeiters.
Charles Barker Verlag, Frankfurt/M. 1995, 207 S.

Wer dieses Buch aufschlägt, den erwarten nicht die Probleme eines türkischen Straßenfegers aus Kreuzberg. Nein, ein erfolgreicher Unternehmer, aus der Schweiz stammend, jetzt USA-Bürger, verbreitet hier seine Ansichten. Eric F. Sidler wurde offensichtlich mit dem Silberlöffel im Mund geboren. In einer komfortablen amerikanischen Limousine mit Chauffeur besucht er 1946 als 15jähriger das erste Mal Deutschland. Zwölf Jahre später, im weißen Porsche-Cabriolet, kommt er als Europavertreter des „The Wall Street Journal“ wieder. Später gründet er zusammen mit der Firma Charles Barker das erste internationale Finanzkommunikations-Unternehmen in Frankfurt (Main). Nun hat sich Sidler während all der Jahre so seine Gedanken über Deutschland und die Deutschen gemacht: „Wenn ich ein Deutscher wäre, dann wäre ich stolz auf mein Land, und ich würde auch optimistisch in die Zukunft blicken.“ Da er aber kein Deutscher ist, blickt er nicht optimistisch in die Zukunft, sondern legt uns diese Abhandlung vor, in der so einiges vorkommt, was ihm wohl schon seit längerem auf der Seele lastete: Krise der Staatsfinanzen, Macht der Medien, Leistungen der Banken, Geschwindigkeitsbegrenzungen, „Ökonazis“, die „Antigenuß-Mafia“ und vieles mehr. Es ist eine einzigartige Mischung aus hoher Politik und Alltäglichem.

Die Geschwindigkeitsbegrenzungen. Autofahrer würden heutzutage für alles verantwortlich gemacht und seien „die Milchkuh, die man melken kann“. Auf der anderen Seite erkläre sich niemand dafür zuständig, die Autobahn sauber zu halten. Was da nicht alles „ganz normal jeden Tag auf den Strecken in und um Frankfurt anzutreffen“ sei. „Eine Gießkanne lag dort sage und schreibe vier Wochen am Fahrbahnrand ...“ ,obwohl Herr Sidler es sofort gemeldet hatte. Weiter mit der „Antigenuß-Mafia“ in Deutschland, die uns versucht, den Appetit zu verderben: „Am Montag ist es die Schweinepest, und am Dienstag beherrscht der Rinderwahnsinn die Nachrichten. Am Mittwoch erfahre ich, daß die französischen und spanischen Hähnchen dreimal soviel Salmonellen haben wie die deutschen. Und am Donnerstag haben die Fische Würmer, während am Freitag die chinesischen Restaurants ertappt werden, daß sie Hundefleisch verarbeiten.“ Früher habe es glücklicherweise derartige Nachrichten nicht gegeben. Junge Menschen verlören nun die Freude am Essen und die „ganze Hetze führt dazu, daß immer mehr Menschen zu Vegetariern werden“. Andere Schreckensmeldungen dominierten die Nachrichten über die Umwelt, und das seltsamerweise nur in Deutschland: „In Frankreich gibt es kein Waldsterben, es gibt nicht einmal ein französisches Wort dafür, sondern man benutzt das deutsche. Die Amerikaner sind nicht bereit, den Treibhauseffekt als nachgewiesen zu akzeptieren, und die Brasilianer bestreiten die Abholzung von Tropenwäldern.“ In Deutschland würde der Weltuntergang suggeriert, und Effekthascherei mit Angst und Schuldgefühlen seien der Anfang einer Diktatur. Die Sorgen des Auslands vor den deutschen „Ökonazis“ sollten nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Ganz anders sieht es da mit Berichten von der Ausländerfeindlichkeit aus. Die stimmten einfach nicht, denn „das einzige, was die Mehrheit der Deutschen nicht mehr ertragen und tolerieren will, ist ausländisches Gesindel, das unter dem Deckmantel politischer Verfolgung und der Inanspruchnahme von Menschenrechten die Gastfreundschaft in Deutschland mißbraucht.“ Gastarbeiter Sidler weiter: „Fremde Drogenhändler, Einbrecher, Bandenmitglieder, Autoschieber sind Ausbeuter des generösen deutschen Sozialsystems.“

Sidler bricht eine Lanze für die häufig kritisierten Banken, die eine gewichtige Rolle beim Wiederaufbau Deutschlands gespielt hätten. Im übrigen wären die deutschen Banker, international gesehen, „von der Solidität und der Kompetenz her mit an der Weltspitze. Was ihnen fehlt, sind Marketing-Know-how, kundenorientiertes Denken und der Mut zu Innovationen. Ausnahmen - wie zum Beispiel Schneider von der Postbank und Martini von der Bayern-Hypo - bestätigen die Regel. Seit ein paar Jahren zählt auch Kohlhausen zu dieser kleinen Gruppe.“ Nun kenne ich leider besagte Herren nicht, dafür kenne ich Arbeitslose, und zu denen hat uns Herr Sidler auch etwas zu sagen: „Und da gibt es noch die ganz Schlauen. Sie sind ewig arbeitslos, sind fit am Stammtisch, fahren mit dem Taxi zum Arbeitsamt, während der Dumme für weniger netto um sechs Uhr früh zum Arbeiten aufsteht. In Hollywood sind früher sogar die Stars mit ihren Edellimousinen vorgefahren und haben zwischen den Drehpausen Arbeitslosengeld kassiert.“ Jene Jahre gehören in Hollywood zum Glück der Vergangenheit an. Wie aber sieht das Bild in Deutschland aus: „Es wird am hellichten Tag in Kneipen geprügelt, während der solide Bürger der Arbeit nachgeht und für diese Asozialen Steuern bezahlt.“ Ebenso sieht Herr Sidler gar nicht ein, wieso er mit seiner Leistung die Deutschen im Osten unterstützen solle: „Uns im Westen wird und wurde auch nichts geschenkt. Alles mußte in harter Arbeit verdient werden.“ Für Geschenke zeige sich sowieso niemand erkenntlich. So danke den Amerikanern auch niemand die Marshallhilfe. „Ganz im Gegenteil, man lamentiert heute in allen Medien über die furchtbare Zerstörung von Dresden. Gewiß ein schreckliches Ereignis. Aber Krieg ist Krieg. Halbherzig geführte Kriege lassen ein Volk verbluten.“

Zurück von den Fragen der hohen Kriegskunst zu alltäglichen Problemen: Was, zum Beispiel, soll der Autor im Sommer mit Hähnchenknochen machen? Seine Mülltone wird nur alle 14 Tage geleert, und „wenn Essensreste mehrere Tage in der Mülltonne bleiben, gibt es nicht nur Maden, sondern auch einen penetranten Gestank“. Doch Herr Sidler fand einen Ausweg aus der Misere: „Ich fahre sie jetzt zweimal in der Woche im Sommer nach Frankfurt, wo ich sie in der Mülltonne meiner Firma entsorge, die mehrmals per Woche geleert wird.“ Warum die Hähnchenknochen zweimal in der Woche gefahren werden müssen, behält der Autor leider für sich.

„Mein ganzes Leben lang war ich schon immer an Themen interessiert, von denen ich keine Ahnung hatte.“ Deswegen muß man ja nicht gleich ein Buch schreiben.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 03/97 (c) Edition Luisenstadt, 1997
www.berliner-lesezeichen.de

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