Eine Rezension von Eberhard Fromm

Vom Job eines bundesdeutschen Politikers

Ulrich Reitz: Wolfgang Schäuble
Gustav Lübbe Verlag, Bergisch Gladbach 1996, 432 S.

Eigentlich wird dem Leser bereits im Vorwort alles gesagt, was ihn in dem umfänglichen Buch erwartet: Die einzigartige Machtstellung Wolfgang Schäubles wird auf seine Intelligenz, seine Arbeitswut sowie eine Mischung aus Diskretion und gezielter Indiskretion zurückgeführt. Die schwierige Spurensuche für die vorliegende Biographie wird dem Machtrezept Schäubles angelastet: diskret und berechnend zu sein. Und schließlich soll es ja gar keine klassische Biographie werden, sondern „eine Bestandsaufnahme des Politikers und Menschen Wolfgang Schäuble, seiner Macht und seiner Visionen“. (S. 9) Da der Autor unter einer klassischen Biographie eine Darstellung versteht, „die sich chronologisch an den Karrierestationen des Sujets entlanghangelt“ (S. 9), begreift man als Leser, warum alle Lebensdaten in eine Zeittafel am Ende des Buches verwiesen worden sind: Eben weil sich der Autor nicht daran durch das Buch hangeln will.

Der Verfasser Ulrich Reitz (1960) kann seine Herkunft als Journalist nicht verleugnen. Einprägsame knappe Formulierungen und Bilder, scharf pointierte Wertungen, ungewöhnliche Vergleiche - darauf kommt es ihm an, wenn er von der Politik des Wolfgang Schäuble berichtet. Der Untertitel hätte besser „Vom Job eines bundesdeutschen Politikers“ gelautet und nicht „Die Biographie“, was tatsächlich irreführend ist. Der Mensch Schäuble taucht ganz selten auf. Nicht zufällig steht das mit nur zwölf Seiten kürzeste Kapitel „Der Familienvater“ ganz am Ende - und es handelt dann auch noch mehr von Ingeborg Schäuble und den Kindern, also von der Familie und nicht vom Familienvater. Daß der Mensch Schäuble trotzdem im Buch zu finden ist, verdankt man den Fotografien der aus Paris stammenden Fotografin Laurence Chaperon (1961). Wer also etwas Biographisches im Buch sucht, sollte sich die Bilder ansehen und dazu die Zeittafel lesen.

Das heißt keineswegs, daß die Arbeit von Reitz nicht ihre Reize besitzt. Sein Bemühen, Wolfgang Schäuble in den verschiedenen Bereichen und in seinen unterschiedlichen Wirkungen zu zeigen, wird an solchen Überschriften sichtbar wie zum Beispiel „Der Anführer“, „Der Koalitionär“, „Der Sozifresser“, „Der Konservative“, der „Monokulti“. Doch so interessant einzelne Teile auch sind, man spürt, daß das Buch als Ganzes nicht durchkomponiert ist. Dem Leser werden Handlungen, Verhandlungen, Ergebnisse und Winkelzüge aus dem Alltagsgeschäft der Politik erzählt; ein „roter Faden“ - durch den Verzicht auf Chronologie wäre er sicher wichtiger als sonst gewesen - wird jedoch nicht erkennbar. Vielleicht soll man ihn in den wechselnden Funktionen (Innenminister, Kanzleramtsminister, Fraktionschef) oder den wechselnden Ansichten oder den behaupteten anderen Wandlungen des Wolfgang Schäuble suchen? Die wichtigsten Wertungen werden aus der Beziehung Kohl-Schäuble entwickelt: dem „lebenslustigen Katholiken“ und Harmoniemenschen Kohl steht der „protestantische Pflichtmensch“ und Streiter Schäuble gegenüber: eine fast „ideale Verbindung von animalischem Instinkt und kühler, sachlicher Intelligenz“, eine Einheit von „Kopf und Bauch“ (S. 58). Dem so charakterisierten „Anführer“ der Union und potentiellen Kanzlerkandidaten werden vom Autor „schleichende“ Veränderungen im Rollenverständnis und im Stil nachgesagt, die aber nicht nur nicht belegt werden, sondern oft mit gegenteiligen Beispielen ad absurdum geführt werden. Besonders deutlich wird das an der Charakteristik Schäubles einerseits als politischer Pragmatiker, der sich dem Kompromiß verschrieben hat und Politik als Krisenmanagement betreibt, andererseits als „Vordenker und Chefideologe der Union“, der programmatischen Führungsanspruch anmeldet. Wenn zum Beispiel der Leser die Position verstehen oder teilen soll, daß Schäuble einer der wenigen Politiker bei den bürgerlichen Rechten sei, der Farbe bekennt und aufgeschrieben hat, was er denkt, dann hätte das nicht nur Behauptung bleiben dürfen, dann hätten eben diese „programmatischen Ansichten“ viel stärker und originaler eine Rolle im Buch spielen müssen. Außerdem kommt man bei dieser Behauptung mit der vorab gelieferten Einschätzung vom diskreten Schäuble in Kollision.

Den gelungensten Beitrag findet man im Kapitel zur deutschen Einheit. Warum Reitz allerdings diesen Text mit „Der Deutschlandmanager“ überschreibt, obwohl er noch auf derselben Seite beteuert - und es diesmal auch belegt -, daß Schäuble mehr als der Manager der deutschen Einheit sei, nämlich ihr Architekt (vgl. S. 305), bleibt unklar. Ausführlich werden auf diesen Seiten (305-383) die Ausgangspositionen (Ostpolitik), Zwischenstationen (Honeckerbesuch in Bonn) und Ergebnisse (Einigungsvertrag) beschrieben. Die hier dargestellte Beziehung Schäuble - Schalck-Golodkowski macht deutlich, daß die führenden bundesdeutschen Politiker bereits vor 1989 über die prekäre ökonomische und finanzielle Situation der DDR unterrichtet waren. Das läßt die Versprechungen von blühenden Landschaften einerseits und der folgenden, korrigierend-entschuldigenden Behauptung, man habe nicht gewußt, wie „marode“ die DDR-Wirtschaft tatsächlich gewesen sei, in einem anderen Licht erscheinen.

Es ist zweifelhaft, ob man dieses Buch mit Gewinn liest, wenn man etwas über die Persönlichkeit Wolfgang Schäubles erfahren möchte. Sieht man jedoch in dem Buch eine Sammlung von Lehrstücken und treffenden Beispielen für das Geschäft der Politik, dann kann man hier vielerlei lernen, so zum Beispiel „Wie man einen Politiker abserviert“ (Dregger) oder „ Wie man Präsidenten macht“ (von Heitmann zu Herzog) oder „Wie man Gesetzeswerke baut“ (Asylrecht, Abtreibung).

Daß der Autor seinem Leser keine „klassische Biographie“ anbieten wollte, ist eine konzeptionelle Entscheidung. Daß er sich jedoch nicht der Mühe unterzogen hat, dem Leser eine umfänglichere Schäuble-Bibliographie als die von vier Titeln anzubieten, ist ein echtes Versäumnis.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 03/97 (c) Edition Luisenstadt, 1997
www.berliner-lesezeichen.de

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