Eine Rezension von Ursula Reinhold

Treptow im Wandel der Zeiten

Regina Richter/Frauke Rother/Anke Scharnhorst:
Hier können Familien Kaffee kochen
Treptow im Wandel der Geschichte.
be. bra Verlag, Berlin 1996, 183 S.

Diese vom Kulturbund Treptow herausgegebene Darstellung der Geschichte des Bezirks im Südosten Berlins schließt auf verdienstvolle Weise an frühere Bemühungen des Kulturbundes zur Ortsgeschichte an. Das Interesse an der engeren Region, am lokalgeschichtlichen Ort, der die unmittelbare Lebenswelt der Menschen bestimmt, kann wohl mit dem erweiterten Interesse an der eigenen Person rechnen, von dem Dilthey meinte, daß mit ihm aller geschichtlicher Sinn beginnt. Heimatgeschichte bildet den über die eigene Person hinausgehenden unmittelbaren Bezug des einzelnen zu seinem geschichtlichen Sein. Das vorliegende Büchlein gibt Einblicke in das Werden und den Wandel des Vororts vor den Toren der Doppelstadt Berlin und Cölln, der erst 1920 zum Zweckverband Berlin hinzugetreten ist. Man erahnt die Kulturwerdung einer Landschaft, ein Vorgang mehrerer Jahrhunderte, der zugleich die Vernutzung der natürlichen Umwelt mit sich brachte, in diesem Falle der Cöllnischen Heide, eines geschlossenen Waldgebiets, das sich vom Schlesischen Busch bis nach Altglienicke erstreckte. Seit Ende des 19. Jahrhunderts, dem Wachsen der Industrie, gibt es auch ein Bewußtsein dieses Vorgangs, dem wir zwar den Treptower Park zu danken haben, der aber die generelle Tendenz dieses Verbrauchs nicht aufzuhalten vermochte. Der Bezirk wird in seiner jetzigen Gliederung, mit seinen sieben Ortsteilen Alt-Treptow, Baumschulenweg, Niederschöneweide, Adlershof, Altglienicke, Bohnsdorf vorgestellt, die alle eine eigenständige, unverwechselbare Geschichte haben. Die sich im 19. und 20. Jahrhundert herausbildende Struktur, in der das Landwirtschaftlich-Gärtnerische immer mehr von der wachsenden Industrie verdrängt wurde, bildet auch gegenwärtig die Spezifik des Bezirks im Nebeneinander von Industrie und Handwerksbetrieb, Wohnquartier und Erholungsort in den grünen Residuen des Treptower Parks, des Plänterwalds und der Cöllnischen Heide. Die allerdings nicht mehr wie zu Beginn des Jahrhunderts Ausflugsorte der Berliner sind, sondern in den Alltag der Ortsansässigen gehören. Die hier vorliegende populäre Ortsgeschichte vereinigt Einblicke in den konkreten Alltag der früheren Bewohner mit den historischen und politischen Wandlungen der Geschichte. Die Verfasser verstehen es, Alltagsgeschichte als Schnittpunkt gesellschaftlicher Lebensvorgänge auf ihren Ort zu beziehen, geben so Einblicke in den komplexen Zusammenhang von politischer Geschichte, Wirtschafts- und Industriegeschichte, dem Wachsen der Arbeiterklasse in den Industriestandorten. Sie berichten aus deren sozialer Geschichte, ihren Wohn- und Arbeitsverhältnissen, den reformatorischen Bemühungen der Arbeiterbewegung um Bildung und Erholung. Diesem Bemühen entsprang die erste weltliche Schule in Adlershof, die Quartiere verschiedener Arbeitersiedlungsgenossenschaften in Adlershof, Altglienicke und Bohnsdorf, denen auch nahmhafte Architekten wie Bruno Taut Form und Farbe gegeben haben. Die Autoren vermitteln eine Vorstellung vom Leben der Menschen in zurückliegenden Zeiten und schlagen die Brücke zur unmittelbaren Gegenwart, indem sie die Spuren der Vergangenheit aufsuchen und das Schicksal des Ortes oder Gebäudes in der jüngsten Vergangenheit und Gegenwart einbeziehen.

Seit Jahrzehnten in Köpenick bzw. Treptow beheimatet, habe ich vieles Wissenswerte gefunden, vor allem auch über „meinen“ Ort Späthsfelde. Nachrichten zum Werden des unmittelbaren Heimatkiezes befriedigen nicht nur historischen Sinn, sondern schaffen auch einen erweiterten Horizont bei der Wahrnehmung des Jetzt. Allerdings hätte ich die Bezirke Treptow/Köpenick gern zusammen behandelt gesehen, weil sie lange Wegstrecken hindurch in gleichen Gliederungen Geschichte erlebten. Auch wünschte ich mir die Veränderungen der jüngsten Vergangenheit seit 1945, die Grenze und deren Ende in ihren siedlungspolitischen und verkehrstechnischen Folgen behandelt. Aber das entspricht wohl schon speziellen Interessen, ebenso wie der Wunsch nach der Einbeziehung der Lauben- und Kleingartenanlagen mit ihrer Geschichte, ihrer speziellen Vereinskultur und ihrem absehbaren Ende. Denn diese ausgedehnten Anlagen sind ein prägendes Element dieses Stadtrandbezirks. Eine wirkliche Leerstelle hinterläßt der Verzicht, näheres über den Bau des Teltowkanals und des Teltower Stichkanals mitzuteilen. Zwar ist mehrfach von dessen landschaftsverändernden Folgen die Rede, aber über deren Bau und Funktion ist nichts zu erfahren. So bleiben viele Wünsche offen, obwohl das kleine Büchlein über die Ortsgeschichate von Treptow eine ganze Menge Interessantes bietet.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 03/97 (c) Edition Luisenstadt, 1997
www.berliner-lesezeichen.de

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