Eine Rezension von Bernd Wittrin

Melanchthon - Humanist und Reformer

Frank Pauli: Philippus: ein Lehrer für Deutschland
Spuren und Wirkungen Philipp Melanchthons
Wichern-Verlag, Berlin 1996, 314 S.

Stimmt: was der Klappentext, im liturgischen Grün gehalten, verspricht: Der Autor besuchte alle Wirkungsstätten, an denen Melanchthon gelebt, gelehrt und gewirkt hat. Das Buch ist eine literarische Hommage an den Philosophen und Reformator, dem neben höchster Anerkennung bis in unsere Zeit auch Undank und Verkennung zuteil wurden. Dem Religionswissenschaftler und Theologen Frank Pauli ist es gelungen, eine fundierte und leichtverständliche Sachinformation über das historische Umfeld und die Wirkungsstätten Melanchthons zu geben.

Luther war der geistliche Kopf der Reformation, Melanchthon ihr philosophischer. Sein theologisches Denken, seine Ideen zur Erneuerung der Kirche, aber auch zur Gestaltung von Schule und Gesellschaft wirken bis heute weiter und sind, über alle konfessionellen und politischen Grenzen hinweg, faszinierend und bedeutend.

Das Buch kommt zum rechten Zeitpunkt. Es würdigt diesen großen Deutschen, dessen Geburtstag sich im Februar 1997 zum 500. Mal jährt. Philipp Schwarzerd(t), mit seinem humanistischen Namen Melanchthon, der Großneffe des Humanisten Reuchlin (1455-1522), wurde am 16. Februar 1497 zu Bretten im Kreichgau als erster Sohn eines Waffenschmiedes (kurpfälzischen Rüstmeisters d. A.) geboren. Anschaulich schildert uns der Autor die Geburtsstadt mit einem mittelalterlichen Kern und ihren zahlreichen Melanchthon-Gedenkstätten. Die „Reise“ führt nach Pforzheim (Besuch der Lateinschule, Humanisierung seines Namens: von Schwarzerdt durch Übersetzung aus dem Griechischen „melan“ = Schwarz und „chton“ = Erde) und zu den Studienorten Heidelberg und Tübingen. Hier wurde er 1514 mit nicht ganz 17 Jahren zum Magister bestellt und hielt Vorlesungen über Aristoteles und die antiken Schriftsteller. In Wittenberg wirkte Melanchthon zunächst als Professor des Griechischen, ehe er 1519 zur Theologischen Fakultät wechselte.

Er war anfangs von den humanistischen Reformgedanken seiner Zeit tief beeindruckt, wurde aber unter dem Einfluß Martin Luthers für dessen Sache und die Theologie gewonnen. Eine tiefe Freundschaft bahnte sich an, die sich in allen Lebenslagen, auch im theologischen Streitgespräch bewährte. Dank seiner hohen Begabung und dialektischen Schulung wurde Melanchthon der erste Dogmatiker bzw. Ethiker des Luthertums („Loci communes“, hrsg. Dezember 1521).

In Wittenberg hat Melanchthon etwa zwei Drittel seines Lebens gewirkt. Der Autor wird dem gerecht und widmet dieser Stadt vier Kapitel. Amüsant und vortrefflich recherchiert: Wittenberg II, Collegienstraße 60 Das Melanchthonhaus - gestern und heute. Pauli nutzt seine literarischen Freiheiten, und es gelingt ihm, das Bild eines Wissenschaftlers zu zeichnen, der neben seinen Pflichten als Universitätslehrer eine „schola privata“ für seine „jungen Freunde“ betrieb und somit einen kleinen Zugewinn erwirtschaftete. Am 25. November 1520, dem Tag seiner Hochzeit, gab er öffentlich in der Universität den Ausfall des Unterrichts bekannt. Aus der Ehe mit Katharina Knapp, von den Frauen der übrigen Universitätsprofessoren „stolze Käthe“ genannt, gingen vier Kinder hervor, darunter Philipp junior.

Weitere Stationen seines Lebens waren Erfurt, Eisleben, Nürnberg, Jena, Speyer und Augsburg. Mit dem „Augsburger Bekenntnis“ (1530), der „Apologie der Augustana“ (1531) und dem „Tractatus de potestas papae“ (1537) schuf Melanchthon die grundlegenden Bekenntnisschriften.

Melanchthons weilte auch mehrmals in Berlin (Spandau). Die Durchsetzung der evangelischen Lehre und der Reformation in der Mark Brandenburg erfolgte verhältnismäßig spät. In den Jahrbüchern für Brandenburgische Kirchengeschichte (Christlicher Zeitschriftenverlag Berlin) haben die Kirchenhistoriker N. Müller, Themel und Delius unterschiedliche Standpunkte zur „Berlin-Mission“ Melanchthons vertreten. Historisch gesichert ist das Treffen zwischen Kurprinz Joachim II. und Melanchthon im Jahre 1535. Außerdem unterstützte M. 1537 die Reformbestrebungen der Universität Frankfurt/Oder. 1538 beorderte Joachim II., dann als kurfürstlicher Regent, Melanchthon nach Berlin. Zuvor hatte der Kurfürst den Hoftheologen Rubert Elgersma aufgefordert, einen Lagebericht zu verfassen. Darin waren einige Verbesserungen der kirchlichen Bräuche vorgeschlagen, aber nichts wesentliches zur Rechtfertigungslehre und Abschaffung der katholischen Messe gesagt. Melanchthon lehnte jegliche Stellungsnahme ab (N. Müller), oder hat er doch die Freigabe der Priesterehe und das Abendmahl in beiderlei Gestalt gefordert? (Delius).

Im Oktober 1539 lenkte Melanchthon wieder seine Schritte nach Berlin. Über die Dauer seines Aufenthaltes gibt es widersprüchliche Ansichten. Die bevorstehende Abendmahlsfeier (die „Sache“ soll im „November“ begonnen werden) war sicher in seinem Sinne.

Übereinstimmend besteht jedoch kein Zweifel. Kurfürst Joachim II. hat am 1. November 1539 in der Spandauer Nikolaikirche aus der Hand des Brandenburger Bischofs von Jagow das Evangelische Abendmahl erhalten. Dieser Tag wird seitdem als Geburtstag der Reformation in Berlin und der Mark Brandenburg gefeiert.

Selbstverständlich wäre der Erlaß der Kirchenordnung im Jahre 1540 das genauere Datum gewesen.

Nach Luthers Tod (1546) wurde Melanchthon als Haupt der Evangelischen im allgemeinen anerkannt. Seine Zuwendung zur calvinistischen Abendmahlslehre führte später zum Streit mit den Lutheranern.

Am 19. April 1560 stirbt Melanchthon an den Folgen einer schweren Erkältung, die er sich anläßlich einer „Dienstreise“ zugezogen hatte. Die Wittenberger Universität ehrte im Nachruf ihren Verstorbenen als einen „hohen, teuren und frommen Mann Philippus Melanchthon, unseren lieben Vater und Praeceptor“.

Dieses Buch gehört in die Hand von Religionspädagogen und Geschichtslehrern. Den Theologen diene es als ergänzende Lektüre zum Studium der Bekenntnisschriften. Pauli bietet in seinem Buch viele, bisher wenig bekannte Informationen zu einem großen Mann der Reformation und erschließt dessen Gedankenwelt.

Der Autor, bereits Verfasser von Lebensbildern über Thomas Müntzer (ebenfalls im Wichern-Verlag erschienen) und Martin Luther, setzt seine bewährte Diktion von Lebensbeschreibung und Wirkungsorten fort.

Die Auswahl der Bilder, Stiche und Illustrationen ist gelungen, einige bekannte Melanchthon-Bildnisse wurden nicht aufgenommen (z. B. das Gemälde von Spangenberg). Eine Bibliographie und ein aktuelles Literaturverzeichnis vermißt der geneigte Leser nicht, kann er doch auf einen Biographischen Leitfaden zurückgreifen. Die von Pauli genannten Ansprechpartner in den zahlreichen Melanchthon-Gedenkstätten werden bei der Erschließung der insgesamt 4100 Einzelstücke und ca. 10000 Briefe sicher behilflich sein (Dr. Scheibel).

Außerdem sei ergänzt, in Spandau gibt es seit 1893 einen Melanchthonplatz. Die Melanchthonkirche wurde nach einem Entwurf des Baurats von Lancizolle erbaut und am 15. Dezember 1893 eingeweiht.

Vom 15. bis 20. April 1997 lädt die Lutherstadt Wittenberg zu einer Festwoche ein. Dabei wird auch das neugestaltete Melanchthon-Haus übergeben. Weitere Sonderausstellungen sind in Eisleben, Dessau und Halle geplant. Der Publizist Frank Pauli wird sich mit vielen Interessierten und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens auf Spurensuche begeben und in zahlreichen Vorträgen das „Schattendasein“ Melanchthons erhellen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 03/97 (c) Edition Luisenstadt, 1997
www.berliner-lesezeichen.de

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