Eine Rezension von Licita Geppert

Letzte Gedanken eines begabten Anfängers

Jürgen Kuczynski: Vom Zickzack der Geschichte.
Letzte Gedanken zu Wirtschaft und Kultur seit der Antike.
PAPYROSSA Verlagsgesellschaft, Köln 1996, 181 S.

ders.:
Fortgesetzter Dialog mit meinem Urenkel. Fünfzig Fragen an
einen unverbesserlichen Großvater
Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin 1996, 249 S.

Niemand versteht es so meisterhaft wie Jürgen Kuczynski, mit seinem Alter und seiner Unwissenheit zu kokettieren und gleichzeitig in erfrischend jugendlicher Weise mit seinen tiefgehenden Einsichten in den Weltenlauf zu brillieren. Sein Leben durchmißt dieses Jahrhundert, sein Wissen umspannt Jahrtausende, und was er uns zu sagen hat, entspringt einem tiefen welthistorischen Optimismus, den er sich sein Leben lang bewahrt hat.

Mit seinem Buch Vom Zickzack der Geschichte liegt uns ein knapper, kurzgefaßter, aber nicht minder lehrreicher Abriß der Wirtschafts- und Zivilisationsgeschichte seit der Antike vor. Er beleuchtet das Auf und Ab, das Zick und Zack der menschlichen Entwicklung und weist gleichzeitig auf den Zusammenhang zwischen ökonomischer und kultureller Entwicklung hin. Interessant ist es, etwas über die Mechanismen zu erfahren, die zu Auf- oder Abschwüngen führen. Sie ähneln sich erstaunlicherweise über die Jahrtausende, was wohl daran liegen mag, daß sich zwar die Produktivkräfte, jedoch nicht das menschliche Wesen verändert hat. Wie stets untermauert Kuczynski seine Ausführungen mit konkreten Zahlen, fügt diesen jedoch lebendige Schilderungen der Zeit und der Lebensumstände bei, oft in Zitaten von Zeitgenossen, wodurch sich das Bild rundet. Provokant, aber sehr berechtigt ist seine These, daß die europäische Renaissance ein Produkt des Kapitalismus ist.

Breiten Raum nehmen seine Untersuchungen zur Geschichte des Kapitalismus ein, die uns hinführen zur Gegenwart. Eingehend auf seine (späte) Einsicht in die Unmöglichkeit von Wirtschaftsprognosen zur Konjunktur, erläutert uns der Autor einmal mehr die Absurdität der Bemessung von Konjunkturdaten an der Entwicklung des Bruttosozialproduktes, was zur Verdummung und Irreführung der Menschen wunderbar geeignet ist. Den heutigen Kapitalismus beschreibt Jürgen Kuczynski als „Rückfall in die Barbarei“. Arbeitslosen- und Sozialhilfestatistiken geben ihm dabei recht, aber auch die allgemein zu beobachtende Verelendung, die nicht an den vollen Schaufenstern zu messen ist.

Sehr ausführlich geht der berühmteste Urgroßvater Deutschlands (oder zumindest der neuen Bundesländer) auf diese Problematik in seinem Fortgesetzten Dialog mit meinem Urenkel ein. Begänne nicht jede Frage mit einem „Ach, Urgroßvater ...“, niemand könnte hinter den Antworten einen alten Mann vermuten. Wunderbar zeigt er uns die Richtigkeit des Marxismus, gibt uns damit die verloren geglaubte Utopie wieder, ohne die keine positive Bewegung möglich ist. Selbst Erlebtes oder Zeitzeugnisse bringen uns Marx, Engels, Lenin wieder nahe, beweisen aber auch die Differenziertheit der Strömungen seit Gründung der Sowjetunion, die uns heute ebenso gern wie simpel als Hort des Bösen dargestellt wird.

Kuczynski bleibt dabei jedem nostalgisch verklärten Rückblick fern, weckt vielmehr Verständnis für die Kompliziertheit der Vorgänge und bezichtigt sich gleichzeitig der Fehleinschätzung.

Allein, Geschichte läßt sich nicht rückgängig machen, und selten lernen die Menschen aus vergangenen Fehlern. Schonungslos prangert er den Machtmißbrauch in der Sowjetunion, der DDR und anderen Ländern an. Hielten die dortigen Machthaber gottgleich und starrsinnig an ihren Ideen fest, so nennt Kuczynski ihr schlimmstes Verbrechen: Sie hatten „kein Gefühl für die Menschen, denen sie die Richtung des Denkens vorschrieben und Befehle gaben“ (Urenkel, S. 151). Dies führte in letzter Konsequenz zum Untergang der DDR und damit zur heutigen Situation sozialer Verelendung und Existenzunsicherheit.

Als altgedienter Kommunist geht er auch auf die PDS ein, ihr Potential, aber auch ihre Unzulänglichkeiten. Hier wie vormals scheut er deutliche Worte der Kritik nicht, in dem steten Bemühen, ihr mit seinem Wissen und seinen Erfahrungen zur Seite zu stehen. Dabei sieht er sich als „begabten Anfänger“ bei der Einschätzung zukünftiger Veränderungen.

Letztlich aber weiß Jürgen Kuczynski um das Wechselspiel zwischen den Kräften und schöpft daraus seinen Optimismus für die Zukunft, dem ich mich gern anschließen möchte.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 03/97 (c) Edition Luisenstadt, 1997
www.berliner-lesezeichen.de

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