Eine Rezension von Birgit Pietsch

Unter Geiern

Jane Kramer: Unter Deutschen
Briefe aus einem kleinem Land in Europa.
Aus dem Amerikanischen von E. Geisel, E. und G. S. Freyermuth.
Edition Tiamat, Berlin 1996, 304 S.

Wer „Die Zeit“ liest, erinnert sich vielleicht an Jane Kramers Beitrag über die deutsche Politik der Erinnerung, der am Anfang dieses Buches steht. Hier ist von Deutschen die Rede, die es vorziehen, in Dresden ihrer Toten zu gedenken, statt in Auschwitz der jüdischen Opfer. Und von anderen Deutschen, die meinen, ihr Land wurde am 8. Mai 1945 befreit, „als wäre es Holland oder ein Konzentrationslager,“ und „die ihre Solidarität mit den Juden verkünden“. Als Wortführer dieser Deutschen wird nun Lea Rosh vorgeführt, die jüdisch fühlt, „nicht so sehr, weil sie selbst teilweise jüdisch ist ... sondern mehr, weil sie die Identifikation mit dem Jüdischsein als eine deutsche Pflicht erfüllt“. Sie zeige sich „auf eine entnervende Weise enthusiastisch beim Thema des jüdischen Leidens“, diskutiere gern über den Holocaust, „während sie an einem Glas Weißwein nippt“, und plane nun eine gigantische Grabplatte für die toten Juden, die die Vergangenheit zudecke.

Es ist ja mitunter ganz aufschlußreich, die Sicht von Leuten kennenzulernen, die sonst in Paris und New York leben. Es weitet sich der Blick, und aus der etwas anderen Perspektive sieht eben auch einiges anders aus. Hier sind nun fünf Beiträge von 1984 bis 1995 versammelt, die zuerst als „Briefe aus Europa“ im „New Yorker“ erschienen. Deutsche, Ostdeutsche, „einige Deutsche“ und „viele Deutsche“ spielen hier die Hauptrolle. Da gibt es Eltern, die in Buchenwald ihren Kindern androhen: „Wenn ihr euch nicht benehmt, werden wir euch hierlassen.“ Wir erfahren etwas über Ostdeutschland, wo Arbeiter lebten, „aus Ländern wie Kuba oder Mozambique, die unter Quarantäne gehalten wurden wie Sklavenarbeiter, die sie ja tatsächlich auch waren“. Wir lernen, „daß es nahezu unmöglich ist, ein Rockkonzert in Deutschland zu veranstalten“, weil „deutscher Rock entsetzlich“ sei. Letzteres behauptet meine Tante ja seit Jahren. Dann findet Frau Kramer wieder „einige Deutsche“, und die sagen so schlaue Sachen wie, Skinheads sind „eine Art Spiegelbild linker Terroristen von Gruppen wie der Roten Armee Fraktion“. Und wieder sind wir in Ostdeutschland, wo „die Bevölkerung beeinflußbar und wo die Symbolik von militärischen Grüßen und Hakenkreuzen einen gewissen Reiz ausüben“. So kommen wir dann zum alten Deutschland mit seinen radikalen Phantasien, und Völkerkundlerin Kramer stellt fest: „Letzten Endes ist es egal, ob man diese Phantasien bis zu Heine oder bis zu Hitler zurückverfolgt, bis zum Schwarzwald oder bis zu den blonden Zöpfen. Die Vorstellung von Blut und Boden hat nichts mit Arbeitsplätzen oder Sozialwohnungen oder Essensmarken zu tun. Sie findet sich in der Sprache, in der Dichtung, in den Bildern von Deutschland, die man in der Kindheit vermittelt bekommt. Sie hat mit einer Art ethnischer Entrückung zu tun, verwurzelt in Rasse und Landschaft.“ Wer wundert sich noch über Daniel Goldhagen?

Weiter mit Ostdeutschland und mit „der Luftverschmutzung, die immer noch so stark ist, daß sie einem buchstäblich die Lungen verklebt, sobald man aus der Stadt und ein paar Kilometer über Potsdam hinaus fährt“. Ach hätte sie doch Bitterfeld gesagt oder Piesteritz. Aber nein, es mußte die Gegend von Potsdam sein. Das arme Großstadtkind, dessen Lungen in den Obstplantagen von Werder verkleben. Westberliner waren nur selten in der DDR, denn ihnen wäre passiert, „daß sie warmes Bier trinken und sich schrecklichen Ostblock-Rock anhören mußten, während sie Mädchen aufrissen, die, wie sich dann heraustellte, falsche Jeans trugen und unrasierte Achselhöhlen hatten“. Nun geht mir endlich der tiefe Unterschied zwischen West- und Ostmännern auf. Ostmänner hätten wahrscheinlich mit Mädchen etwas anderes angestellt, als deren Achselhaare zu zählen und die Jeansmarke zu kontrollieren.

„Die meisten Ostdeutschen waren gereizte, passive und verstörte Menschen“ mit Außnahme der Studenten aus Ostberlin, die in Seminare kommen, sich in die erste Reihe setzen „und jeden in ihrem schrecklichen Dialekt unterbrechen“. „Arbeiter hatten nichts zu tun, wenn sie zur Arbeit gingen“, logisch, dafür hatte man ja die bereits erwähnten Sklaven. „Die Schulen lehrten eine Mischung aus politischer Propaganda und überholter Wissenschaft.“ Genau, die Erde war eine Scheibe und die Kinder brachte der Klapperstorch. Vor dem Fall der Mauer, so weiß Frau Kramer zu berichten, war Ostberlin eine „geschlossene Stadt“. „Die Einladung nach Berlin trug den Genehmigungsstempel der Partei oder der Stasi“ und so weiter und so weiter.

Wie gesagt, es ist mitunter ganz lehrreich zu lesen, was so im Ausland über das eigene Land veröffentlicht wird, und deshalb ist die Lektüre dieses Buches jedem zu empfehlen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 03/97 (c) Edition Luisenstadt, 1997
www.berliner-lesezeichen.de

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