Eine Rezension von Joachim Pampel

Verscherbelter Staat - Verschaukelte Bürger?

Erich Hauser/Harald Hotze: Der Abzockerstaat
Wie Politiker und Bürokraten uns in die Tasche greifen.
Econ-Verlag, Düsseldorf 1996, 253 S.

Wir kennen sie alle: die mit vermeintlichem Gemeinsinn legitimierten Geldforderungen aus dem Finanzamt; die beinahe uneigennützig daherkommenden und selbstverständlich „nur dem Wohl des Kunden“ dienenden Angebote der Versicherungen. Daß die Pfaffen heimlich Wein trinken und öffentlich Wasser predigen, ist ebenso eine auf Generationserfahrungen seit Jahrhunderten basierende Volksweisheit, wie jener vor eineinhalb Jahrhunderten von Karl Marx geprägte Satz absolut gegenwärtig ist, wonach die Kapitalisten nicht immer wüßten, was sie außerhalb des Geschäftes reden, wohl aber immer, was sie darinnen tun.

Zapfhahn Büro? Nun „decken“ Hauser und Hotze den normalen Alltag in deutschen Parlamenten vom „Diätenskandal 1995 über die unendlichen Wucherungen der Bürokratie bis zu Korruption & Klüngel in den Kommunen“ zwar nicht im enthüllenden Sinne „auf“, wie der „Waschzettel“ des Verlages werbend formuliert. Aber die 253-Seiten-Auflistung beeindruckt durch Fülle und Dichte des Materials. Mit 13 Kapiteln wird ein Instrumentarium geboten, durch das der Leser den in einem solchen Buch logischerweise zurückbleibenden News-Wert mit auskunftsfähigem Hintergrundwissen ausgleichen kann. Wer sich z. B. über den sogenannten Süssmuth-Skandal ein Meinungsbild erwerben will, das von Oberfächlichkeiten der Presselandschaft einigermaßen unabhängig und dennoch annähernd zutreffend ist, wird etwa im Kapitel 7 Hinweise zur „lehnsherrschaftlichen Basis der politischen Feudalklasse auf Kosten der Steuerzahler“ finden können. Ziemlich relativiert wird auch die derzeitige Empörung des Berliner Steuerzahlers über die 4 Millionen Mark, die er jährlich jenen 60 Beamten zu zahlen hat, die im vergangenen Jahr wegen Zusammenlegung von Verwaltungsstellen in den einstweiligen Ruhestand versetzt worden sind. Die jährlichen Kosten der etwa ebensovielen seit 1982 von der Regierung Kohl mit dem „Goldenen Spazierstock“ ausgestatteten Kollegen belaufen sich auf jährlich 30 Millionen Mark (S. 81). Und Peanuts der Pfründenwirtschaft in den Kommunen sind die kürzlich in Berlin-Steglitz vom dortigen Sozialstadtrat Johannes Rudolf (CDU) installierten Zapfhähne, die er offenbar auf Kosten des Steuerzahlers in seinem zur Bierbar umfunktionierten Büro anbringen ließ, allemal. Bei Hauser und Hotze erfährt man nämlich, daß ein „hessischer kommunaler Korruptionssumpf“ allein durch Manipulationen bei kommunalen und staatlichen Bauvorhaben jährlich zwischen 100 und 350 Millionen DM vom Steuerzahler abzockte.

Verkaufte Demokratie? Was wir alle schon ahnten oder zu wissen glaubten, regt in dieser unglaublichen Deutlichkeit zu allerlei Reaktionsvarianten zwischen weiterem Analysebedarf mit entsprechend rationalen Folgerungen über Sozialneid bis zu blindem Zorn an. Nach ebenso seriöser wie souveräner kritischer Durchleuchtung des skandalösen Alltags in deutschen Parlamenten, kündigen die Autoren das Aufzeigen von Lösungswegen an. Dies allerdings bewältigen sie nicht annähernd mit der gleichen Qualität.

Als eine der 4 Krisen, die zu jenem „Feudalsystem“ geführt hat, das den Namen „Demokratie nur noch als Etikette trägt“, identifizieren Hauser und Hotze die „Krise der politischen Moral“ (S. 220 ff.). Aber die moralisierende Entrüstung über den abzockenden Vater Staat, die der Betrachtung offenbar auf fast allen Seiten Pate stand, mag ich meinen in den alten Bundesländern über Jahrzehnte hinweg gestandenen Kollegen nicht so ohne weiteres abnehmen. Tatsächlich lugt hier und da auch ein Ansatz hervor, der dem Erfahrungshorizont zu entsprechen scheint. Beispielsweise, wenn auf S. 177 anklingt, daß „natürlich der Bundestag nicht an allem und nie ganz allein schuld“ sei, „denn er ist nur Abbild einer in Besitzständen ... verkrusteten Gesellschaft“.

Na also. Warum dann aber erwarten die Autoren von diesem Staat etwas anderes, als ohnehin wirtschaftliches Wirkprinzip in der Gesellschaft ist: Abzocken eben. Dieser Tatsache ins Auge zu blicken hätte den beiden Kollegen vom Fach sicherlich nicht nur zur Ehre gereicht, sondern wäre dem Analyse- und Aussagewert ihres Buches wesentlich zugute gekommen.

Politikangebot. „Wer einmal die kleinen Leute befragt, wird feststellen, daß diese sich betrogen fühlen“, heißt es in einem Leserbrief von Christian Balzer aus Duisburg an die „Süddeutsche Zeitung“ (15. 01. 1997, S. 11). Betrogen „nicht durch hohe Diäten oder durch Dienstflüge, sondern durch eine Politik, die ihnen falsch erscheint.“ Nur einmal findet sich auf den Seiten der Abzockerdokumentation ein Hinweis auf diese Grundweisheit (S. 73). Ein taz-Zitat: „Das Volk regt sich über Briefbögen und Werbebriefe auf ... nach der Politik fragt keiner mehr.“

Und wenn jetzt die sozialdemokratische Grundsatzkommission, deren Vorsitzender Oskar Lafontaine ja in Abzockfragen auch nicht gerade ein Waisenknabe zu sein scheint, der Partei empfiehlt, den Staat und dessen vom Volke bezahlte Fürsorgepflicht u. a. künftig auf betriebswirtschaftlich sich rechnende Serviceleistungen abzuspecken, dann ist der Abzocker reif für eine Antwort auf die Frage: Wofür wird unser Geld verwendet? Was bekommen wir eigentlich dafür?

Weil sie diese Frage nicht einmal annähernd ins Kalkül gezogen haben, sind die Lösungswege, die Hauser und Hotze aufzeigen, „um das Steuer noch herumzureißen“, auch recht fragwürdig.

Warum direkt gewählte Volksvertreter auf die Dauer weniger korruptionsunanfällig sein sollten als ihre über Parteilisten ins Parlament eingezogenen Kollegen, beantworten sie nicht. Abgesehen von der Tatsache, daß „Direktwahl ... und Volksentscheide der zunehmenden Komplexität und Sachgesetzlichkeit der Politik nicht gerecht werden können“. (Gerd Hepp: „Wertewandel und Bürgergesellschaft“ in „Aus Politik und Zeitgeschichte“-Beilage zur Wochenzeitung „Das Parlament“ 52/53 1996 vom 20. 12. 1996, S. 10)

Wenn es allerdings gelänge, „zahlreiche Gemeinschaftsaufgaben und soziale Dienste, die seit längerem geradezu reflexartig an den Staat, die Verbände oder den Markt verwiesen werden“ (ebenda S. 12), mittels einer Demokratisierung der politischen Willensbildung und Stärkung der bezirklichen Selbstverwaltung - wie sie derzeit im Zusammenhang mit den Sparzwängen in Berlin zur Diskussion stehen - „an den Bürger zurückgegeben“, dann macht direktes Personenmehrheitswahlrecht vielleicht sogar als weitere Sperre contra die „Verschwörung der sogen. Demokraten gegen den Staat“ (Hause/Hotze S. 78) einen Sinn. Aber das wäre wohl ein anderes Buch und würde von den beiden kaum geschrieben werden ...


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 03/97 (c) Edition Luisenstadt, 1997
www.berliner-lesezeichen.de

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