Eine Rezension von Bernhard Meyer

Gewalt als gesellschaftliches Problem

R. Egger/E. Fröscht/L. Lercher u.a.:
Gewalt gegen Frauen in der Familie
Verlag für Gesellschaftskritik, Wien 1995, 309 S.

Gewalt nimmt überall und in den unterschiedlichsten Formen zu. Die Hemmschwelle zur Gewaltanwendung sinkt unablässig. Mißhandlung und Mißbrauch von Frauen und Kindern in der Familie werden häufiger. Sie traten in den letzten beiden Jahrzehnten verstärkt aus der familiären Abgeschlossenheit heraus und gewannen Öffentlichkeit. Eine Gruppe engagierter Frauen aus Österreich legt nun eine gründliche Studie zu dieser Problematik vor. Finanziell gefördert durch das zuständige Bundesministerium und die Österreichische Nationalbank, beschäftigt sich ihre Forschungsgruppe mit „Österreichischen und internationalen Strategien zur Bekämpfung familiärer Gewalt“. Die vorgenommene Analyse der Situation und die begonnenen Maßnahmen können sich sehen lassen.

Bemerkenswert der Forschungsansatz, der im Herangehen an die Problematik durch die Studie hinweg verfolgt werden kann. Er geht davon aus, daß Gewalt gegen Frauen „keine zufällige Störung oder Dysfunktion“ vorübergehender Art, sondern „tief in den Strukturen der patriarchalischen Gesellschaften verankert“ sei. (S. 11) Die Dominanz der Männer und die Unterordnung der Frauen gehöre noch immer zur gesellschaftlich praktizierten Norm. So seien zwar soziale Struktur und intellektuelle Atmosphäre in der Familie oftmals Auslöser, aber nicht die letztliche Ursache für Gewalt. Daraus leitet sich ihre Definition der Gewalt von Männern ab, die damit das von der Gesellschaft suggerierte Ziel verfolgen, „Frauen zu kontrollieren und Macht über sie auszuüben oder herzustellen“. (S. 13) Körperliche Mißhandlungen, Verfügungsgewalt und Mißbrauch werden als brutalste Formen zur Verfolgung männlich-egoistischer Zielsetzungen eingesetzt.

Die Studie vereint in übersichtlicher und verständlicher Form eigene Forschungsergebnisse zur Situation und Erfahrungen bei der Begegnung und Abwehr von Gewalt in Österreich mit der Information über internationale Erfahrungen und einer umfänglichen Interpretation der Fachliteratur. Einführend ein theoretischer Überblick zur Frage, warum Männer gewalttätig sind. Der Schwerpunkt liegt hier gewollt bei der differenzierten Aufschlüsselung der sozialen (und damit weniger der biologischen) Konstruktion männlicher Gewalt. Ausführlich dann die Darstellung der Frauenhäuser als Schutz, Widerstand und Veränderung, als eine „politische Bewegung“. (S. 41) Die Autorinnen lehnen individuelle und soziale Deutungsmuster als Erklärung für Gewalt gegen Frauen als Vorurteile oder als unzureichend ab und rücken „die gesellschaftspolitische Dimension“ in den Vordergrund. Es folgen Kapitel über die medizinische Versorung mißhandelter Frauen, über staatliche Gesetze und ihre Anwendung zum Schutz vor Gewalt sowie die Funktion der Polizei. Schließlich die Vorstellung des interdisziplinären Projekts „Domestic Abuse Intervention Project“ (DAIP) und die Auswertung einer internationalen Fragebogenerhebung.

Zusammen mit den immer wieder eingefügten Originalberichten von Betroffenen entsteht ein plastisches Bild vom komplexen Bedingungsgefüge für Gewalt gegen Frauen. Die Autorinnen führen die Gewaltbereitschaft auf die überhöhte Funktion des Mannes in der Gesellschaft zurück, auf die unablässig propagierten Prinzipien erfolgreicher Männlichkeit, die durch die Medien heutzutage eine massenhafte Verbreitung finden. Defizite bei der geistigen und sozialen Umsetzung des so geprägten Bildes entladen sich in einer breiten Skala von Gewalt in der Familie, die wegen der Drohung der Männer und Ängstlichkeit der Frauen sowie spröder Gesetzlichkeit nur bedingt verfolgt werden kann. Verständlich und nachvollziehbar die Schlußfolgerungen der Autorinnen, deren engagiert feministische Haltung keineswegs zu einseitiger oder gar frauenfanatischer Sicht führt. „Gewalt gegen Frauen muß auf individueller, sozialer und gesellschaftlicher Ebene bekämpft werden“, so lautet dann auch eine ihrer wesentlichen Schlußfolgerungen. (S. 272) Alle Überlegungen, Denkrichtungen und Maßnahmen, die der Gleichberechtigung der Frau in der Gesellschaft dienen, wirken dem Gewaltpotential direkt entgegen.

Die Studie offenbart unzweideutig, wie schwer es ist, die Wurzeln von Gewalt aufzudecken, fast unmöglich, sie zu beseitigen. Gegen Widerstände und Trägheit gelang es, einige Maßnahmen zur Hilfe und Unterstützung von mißhandelten Frauen auf den Weg zu bringen. Sie sind allerdings nur eine zwar wichtige, aber letztlich nachträgliche Reaktion auf bereits angewendete Gewalt und Linderung der Folgen bei der jeweils betroffenen Frau. Sie enthalten wenig Prävention. Appelle an Obrigkeiten und Bestrebungen zur Reform restriktiver Akte werden den erhofften Fortschritt nicht erbringen. Das wissen auch die Autorinnen. Den Schlüssel zur Aufhebung der von ihnen analysierten frauenfeindlichen Potentiale der Marktwirtschaft besitzen sie (noch?) nicht.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 03/97 (c) Edition Luisenstadt, 1997
www.berliner-lesezeichen.de

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