Eine Rezension von Kathrin Chod

Baker's World

James A. Baker: Drei Jahre, die die Welt veränderten
Erinnerungen.
Aus dem Englischen von Yvonne Badal.
Wolf Jobst Siedler Verlag, Berlin 1996, 703 S.

So hat sich Lieschen Müller die große Politik immer vorgestellt. Eine gemeinsame Erklärung der Sowjetunion und der USA kommt eigentlich nur zustande, weil zwei Beamte schneller bei ihren Lieben daheim sein wollen. Sie fliegen nicht mit ihrem Außenminister in die Mongolei, wählen die Abkürzung über Moskau und initiieren dabei ein Kommuniqué gegen den irakischen Einmarsch in Kuwait.

Ein Gipfeltreffen dauert und dauert und findet kein Ende, nicht etwa, weil schier unlösbare Probleme verhandelt werden. Nein, der Präsident mochte unbedingt wie weiland Roosevelt ausländische Staatschefs an Bord von Schiffen empfangen. Unglücklicherweise stürmt es nun derart, daß sechs Meter hohe Wellen die amerikanische Delegation zwingen, auf ihrem Kreuzer abzuwarten und mehrere Sitzungen zu verschieben.

Und erst Saddam Hussein. Der marschiert doch tatsächlich zur denkbar ungünstigsten Zeit in Kuwait ein. Baker vermutet: „Wäre Saddam schlau genug gewesen, nur drei Wochen zu warten, bis die meisten Regierungen und ihre Chefs rund um die Welt verstreut in ihren Feriendomizilen gewesen wären, hätten die Dinge einen ganz anderen Verlauf nehmen können.“

Im Nationalen Sicherheitsrat ging es unter einigen US-Präsidenten scheinbar zu wie bei Zicken-Schulze in Bernau. Da ist die Rede von „Schlachtfesten“, „verleumderischen Formen“ und „Anpöbelungen“ in den Amtszeiten von Carter und Reagan. Baker führt aus, er könne sich „an keine einzige längere Zeitspanne erinnern, in der nicht ein Mitglied der nationalen Sicherheitsgruppe einem anderen an die Kehle wollte“. Unter ihm als Außenminister, so erfahren wir, zog dann wieder etwas gesunder Menschenverstand und Zusammenhang in die Politik ein.

Eine andere Frage: Wie werden wichtige Probleme der NATO ausgehandelt? Das geht so: Bei einem formellen Abendessen mit den Regierungschefs und „berüchtigten Käsesandwiches aus der NATO-Kantine“ geht Baker „während der offiziellen Reden der Anwesenden zu Genscher, um ihn zu einem Tete-à-tete beiseite zu nehmen.“ Dann, so der US-Außenminister weiter, „steckten Howe und ich die Köpfe zusammen, um zu besprechen, was zwischen Genscher und mir besprochen worden war. Zwischendurch gesellte sich wiederholt Van Den Broek zu uns, und wie immer hatte er eine Lösung des Problems parat.“

Wer nun dieses Buch zur Hand nimmt, erwartet mehr als Geplauder aus dem Nähkästchen. Immerhin war James Baker ab Januar 1989 Außenminister der USA, und das 43 ereignisreiche Monate lang. Mehr als „drei Jahre, die die Welt veränderten“. Der Fall der Mauer und die deutsche Einheit, der Niedergang der Sowjetunion, der Golfkrieg, der Zerfall Jugoslawiens und der Beginn des Bosnienkrieges sind wichtige Vorgänge, die während seiner Amtszeit die internationale Politik bestimmmten. So hofft der Leser auf Hintergrundinformationen und wird hier auch fündig. James Baker veranschaulicht etwa die aufreibenden Bemühungen um eine Friedensregelung im Nahen Osten. Aus den wiedergegebenen Gesprächen wird deutlich, wie kompliziert es war, Israelis und Palästinenser überhaupt an einen Tisch zu bekommen. Sympathisch, der oft persönliche Ton der Erinnerungen.

Zur deutschen Frage. Wie war es wirklich? Wie kam es beispielsweise zu den Zwei-plus-vier-Verhandlungen? Oft wird Hans Dietrich Genscher als ihr „Erfinder“ gerühmt. Da ist James Baker aber ganz anderer Meinung. Januar 1990: „Der Vereinigungszug war bereits in rasendem Tempo unterwegs“, und James Baker fragt sich ganz besorgt, „ob Moskau, und eventuell sogar London und Paris versuchen würden, sich ihm in die Quere zu stellen und ihn aufzuhalten ... Es den beiden deutschen Staaten unter diesen Umständen zu ermöglichen, selbst das Steuer in die Hand zu nehmen, konnte nur zu einem Zugunglück führen.“ Um selbiges zu verhindern schwingt sich Baker beherzt in den Führerstand der Lokomotive. Er findet auch bald die Lösung, besagte Zwei-plus-Vier-Formel. „Sie würde den Deutschen (den „Zwei“) die Kontrolle über ihre inneren Angelegenheiten überlassen und zugleich den vier Siegermächten gestatten, im Hinblick auf die außenpolitischen Aspekte der Vereinigung eine Rolle zu spielen.“

Was „eine Rolle zu spielen“ heißt, erklärt Baker an einigen Stellen des Buches sehr deutlich. Eine Vereinigung durfte nur unter der Bedingung der vollen Mitgliedschaft Deutschlands in der NATO stattfinden. Ohne die Kontrolle durch Washington sah Baker die Gefahr, „daß sich die Deutschen und die Sowjets selbständig machten und gemeinsam einen Deal aushandelten (wie sie es 1918 in Brest-Litowsk, 1922 in Rapallo und 1939 mit dem Molotow-Ribbentrop-Nichtangriffspakt getan hatten), der den westlichen Interessen nicht gut bekommen würde“. Damit es „den westlichen Interessen“ nun gut bekomme, wurde besagte Zwei-plus-Vier-Formel erst den Deutschen verkauft. „Genscher gefiel das Konzept“, und auch Schewardnadse und die Briten und Franzosen waren mit diesem Modus einverstanden. Andere Bündnispartner bügelte Genscher kurz ab, wie den italienischen Außenminister: „Sie spielen nicht mit!“

Nun mußte Moskau weiter unter Druck gesetzt werden, die NATO-Mitgliedschaft des vereinten Deutschlands hinzunehmen. Denn wie meinte Präsident Bush doch in einem Gespräch mit Bundeskanzler Kohl so schön offenherzig: „Die sagen, Deutschland dürfe nicht in der NATO bleiben. Zur Hölle damit. Wir haben uns durchgesetzt und nicht Sie. Wir können nicht zulassen, daß sich die Sowjets aus dem Keller der Niederlage den Sieg schnappen.“ Damit die Sowjets sich nicht den Sieg schnappen, sondern lieber etwas anderes, erkannte nun Helmut Kohl: „... das könnte auf eine Frage von Cash hinauslaufen. Sie brauchen Geld ...“ „Ihre Taschen sind tief“, wußte Präsident Bush zu bemerken.

Sehr bald sollte Helmut Kohl erfahren, daß hiermit nicht nur die Taschen der Sowjets gemeint waren. Schon im September des gleichen Jahres trifft Baker mit Kohl zusammen, um Geld für den Golfkrieg zu fordern. „Wir haben im vergangenen Jahr sehr viel getan, um Ihren Bedürfnissen entgegenzukommen“, meint also Baker zu Kohl. Der amerikanische Außenminister weiter: „Was erreicht wurde, finden wir alle großartig, aber nun haben wir ein paar Bedürfnisse.“ Wie diese aussehen, erläutert er weiter: „Sie werden keine Soldaten schicken, weil Ihre Verfassung das nicht zuläßt; aber wenn es so aussehen sollte, als knauserten Sie mit Geld, könnte das den Anschein erwecken, als wollten Sie von allem nur profitieren, ohne selbst einen Beitrag zu leisten.“ Helmut Kohl knauserte nicht und überwies zwei Milliarden Dollar.

Nicht immer ist das Buch so aufschlußreich. Auf jeden Fall eine interessante Lektüre. Auch wenn ich an einigen Stellen gern mehr erfahren hätte. So läßt Baker ausführlichst die Vorbereitung des Golfkrieges Revue passieren, wie langwierig es war, etwa den Kongreß von der Notwendigkeit des Waffenganges zu überzeugen. Völlig ausgeblendet bleibt dagegen die Aussage von präparierten Zeugen über angebliche Babymorde, die viele schwankende Abgeordnete und Senatoren schließlich überzeugte. Dabei nahm beispielsweise Präsident Bush diese Behauptungen mehrmals in seine Reden auf. Oder die geheimdienstliche Hilfe für Osteuropa. Baker sicherte etwa Präsident Havel zu „... mittels unserer eigenen Kontakte diesen neuen Regierungen zu helfen, die Kontrolle über ihre eigenen Nachrichtendienste zu etablieren“. Wie das wohl ablief?


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 03/97 (c) Edition Luisenstadt, 1997
www.berliner-lesezeichen.de

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