Eine Annotation von Hans-Rainer John
Norfolk, Lawrence:
Ein Nashorn für den Papst
Roman.
Aus dem Englischen von Gisbert u.
Hanswilhelm Haefs,Gerald Jung, Gisela Stege.
Albrecht Knaus Verlag, München 1996, 816 S.

Man schreibt das Jahr 1516. Im Vatikan regiert Leo X. Eine Bulle des Papstes kann einträgliche Handelswege öffnen, aber auch versperren. Leos Huld ist wichtig. Leo muß umworben werden. Die Botschafter von Spanien und Portugal sind Konkurrenten im Wettbewerb. Man kennt zum Beispiel sein Faible für Dickhäuter: Einen Elefanten besitzt er schon, nach einem Nashorn geht sein Verlangen. Beide Diplomaten setzen ihre Crews in Bewegung. In Indien wird die eine, in Afrika die andere fündig. Aber die Unbill der Meere ist zuviel für die seltenen Tiere: Beide verrecken im Orkan, und für die Sammlung des Papstes bleibt gerade mal ein Kadaver, der schließlich explodiert.

Das damalige Leben in Rom, die Fahrt der „Nossa Senhora da Ajuda“ vom Hafen von Goa bis zur Bucht von Benin, die Abenteuer bei einem Eingeborenenstamm im westafrikanischen Regenwald und die Rückkehr nach Italien werden breit geschildert. Die Geschichte des Nashorns soll als Spiegel der Phantasien und Obsessionen eines Zeitalters dienen, das seiner Krise entgegenrast: die Renaissance als Tanz auf dem Vulkan, die Reformation klopft schon an die Pforte. Das allerdings erschließt sich so zwingend nicht. Immerhin: Ein Papst mit anrüchiger Vergangenheit als wortbrüchig-verräterischer Giovanni de Medici, leichtlebige Kardinäle, intrigierende Botschafter, morbider Adel, brutale Landsknechte und verarmte Mönche spielen - blind gegenüber ihrem Schicksal - in einem undurchsichtigen Spiel. Ein Historienroman über Korruption und Dekadenz , nur das Einleitungskapitel - Salvestro sucht auf Usedom 165 Seiten lang nach der versunkenen Stadt Vineta - steht dazu in keinem erkennbaren Zusammenhang.

Lawrence Norfolk (33), in London geboren und dort lebend, nach seinem Erstling Lemprière's Wörterbuch hochgelobt und mit dem Somerset-Maugham-Preis ausgezeichnet (siehe „Berliner LeseZeichen“ 8/1995, S. 113), brilliert auch hier mit seinen Talenten: Wortgewaltig entwirft er in imponierenden sprachlichen Katarakten und mit einer überschäumenden, durch Literaturstudien enzyklopädisch gespeisten Phantasie historische und geographische Tableaus von enormer Wucht. Er verlebendigt große Vorgänge und aufregende Situationen in stimmig-dichter Atmosphäre. Und doch stellt sich bei der Lektüre nur selten Spannung und Anteilnahme ein.

Geistige Armut und literarische Dürftigkeit sind es keineswegs, woran der Roman leidet. Aber das Beziehungsgeflecht der Figuren im Konflikt und die Motivation der Charaktere sind nur andeutungsweise ausgearbeitet. Was im ersten Roman noch als Anfängerschwäche erschien, wird nun, verfestigt, zum eigentümlichen Schaffensmerkmal: Norfolk erzählt seine Fabel nicht über interessante Handlungsträger, deren Motive begreifbar und deren Probleme nachvollziehbar sind. Er entwirft große Bilder, in denen die Menschen klein erscheinen, als hilflos-treibende Objekte zumeist (der Geschichte?), und worauf ihr Handeln zielt, bleibt meist dunkel. Er verfolgt ihr Schicksal auch nicht durchgängig, sondern in Sprüngen. Nur - sie tauchen geheimnisvoll auf und werden auch schnell wieder fallen gelassen. Daß sie eine Vergangenheit haben, wird immer angedeutet, aber nie wirklich enthüllt. So liegt stets etwas Rätselhaftes, Undeutliches über Handlung und Figuren, und der Leser wird oft auf falsche Fährten gelockt. Manchmal überwuchert Rankenwerk (immer wieder Episoden, Figuren, Taten und Ereignisse, die nichts erhellen, nichts erklären) die Handlung, dafür bleibt andererseits Wesentliches im mystischen Nebel.

Ein anspruchsvolles Buch, dennoch kühn, originell und auf jeden Fall der Auseinandersetzung wert.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 01/97 (c) Edition Luisenstadt, 1997
www.berliner-lesezeichen.de

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