Eine Annotation von Klaus M. Fiedler
Buggenhagen, Marianne:
Ich bin von Kopf bis Fuß auf Leben eingestellt
Autobiographie.
Sport und Gesundheit Verlag, Berlin 1996, 160 S.

Marianne Buggenhagen, 1953 in Ueckermünde geboren, ist nach einer aufsteigenden Querschnittslähmung, ausgelöst durch einen Bandscheibenvorfall, seit rund zwanzig Jahren Rollstuhlfahrerin. „Wenn ich den Sport nicht gehabt hätte“, stellt sie zum Schluß ihrer Autobiographie „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Leben eingestellt“ fest, „wäre ich im Pflegeheim gelandet oder asozial geworden.“ Die nüchterne Selbsteinschätzung eines Menschen, der sich kennt, der in sich hineinhorcht und Stärken und Schwächen abzuwägen versteht. Marianne Buggenhagens Bilanz als Rollstuhl-Athletin ist beeindruckend: Die gelernte und praktizierende Krankenschwester gewann sechs Goldmedaillen bei den Paralympics, den Olympischen Spielen der Behinderten, und war sieben Mal Weltmeisterin in der Leichtathletik. Von diesen Stunden des Sieges erzählt die Autorin, doch auch von den Stunden der Niederlagen, von Tränen, Verzweiflung, Mutlosigkeit. Und von der Ignoranz der nichtbehinderten Umwelt, die sich im Weg-Sehen, geboren aus Unwissenheit, übt. „Behindert ist man nicht“, urteilt Marianne Buggenhagen, „behindert wird man gemacht. Durch Architektur, durch andere Menschen, durch Gedankenlosigkeit und Diskriminierung.“

Aus den Nicht-Wissenden Wissende machen - auch dies ist ein Anliegen des Buches, das uns mitnimmt in den Alltag einer Frau, die liebt und geliebt wird, die über Sexualität spricht und über das Einkaufen, über das Training mit Gewichten und übers Autofahren, über das Früher, als sie noch Volleyballerin beim SC Dynamo Berlin war, und über das Danach, das Leben im und mit dem Rollstuhl: „Der Rollstuhl, den ich so gefürchtet hatte, war am Ende so etwas wie eine Erlösung, eine Befreiung für mich. Damit begann mein zweites, bewußtes Leben.“ Mit diesem Leben will Marianne Buggenhagen anderen Mut machen. Ihren Patienten in Berlin-Buch ohnehin, Männern, Frauen, Jugendlichen, die durch einen Unfall für immer ans Bett gefesselt scheinen und mit denen sie in oft mühsamer, geduldiger Arbeit erste Schritte zur Selbständigkeit übt. Sie will aber auch anderen Mut machen, denen das Schicksal zu übermächtig erscheint und die sich aufgeben möchten. Für die Autorin war der Sport der Motor gegen das Verzagen: „Seit ich aktiv Sport treibe, werde ich mit meiner Behinderung besser fertig. Der Sport hilft mir, mit jederzeit möglichen Krankheitsschüben anders umzugehen: Ich beginne zu kämpfen.“

Klaus Weise, der die Autobiographie der Marianne Buggenhagen aufgeschrieben hat, macht aus seiner Bewunderung für die deutsche „Sportlerin des Jahres 1994“ (damals belegten Franziska van Almsick und Steffi Graf die folgenden Plätze) kein Hehl. Nachvollziehbar seine anfängliche Scheu, sich den anscheinend diffizielen Themen zu nähern, ohne in den Ruf eine Voyeurs zu gelangen. Doch das Ehepaar Buggenhagen - auch Gatte Jürgen ist querschnittsgelähmt - nahm ihm die Scheu. Dem Buch ist die unverkrampfte Atmosphäre zwischen der Ich-Erzählerin und dem Aufschreibenden anzumerken.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 01/97 (c) Edition Luisenstadt, 1997
www.berliner-lesezeichen.de

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