Eine Annotation von Bernd Heimberger
Held, Heinz-Georg:
Engel
Geschichte eines Bildmotivs.
DuMont Buchverlag, Köln 1995, 253 S.

Engel möchten wir wohl alle gerne sein, nur nicht werden. Also bleibt uns armseligen irdischen Wesen nichts anderes übrig, als reichlich Mythen um das Engelsein zu ranken. Wer voller Gottvertrauen ist, wird keine Zweifel hegen, daß die himmlischen Heerscharen seit Beginn der Schöpfung ihr rühmliches Werk tun. Wer zweifelt, muß sich entscheiden. Der Wissenschaftler Heinz-Georg Held hat es getan. Er lenkt alle Aufmerksamkeit auf jene vielgestaltigen Engel, die uns in der Kunst begegnen. Wen wundert es, daß die engelhaften Phantasiegestalten so intensiv und ausdauernd die Phantasie der Künstler beflügelten? Engel sind Symbolfiguren, die für die Welteinsichten und -ansichten der Künstler stehen und einstehen. Held spricht von „Reflexionsfiguren der bildenden Kunst“ und teilt mit: „Zu Beginn des 5. Jahrhunderts erscheint der Engel in der christlich-imperialen Bildpropaganda ...“. Das ist die Stilistik und Ausdrucksweise des Fachmanns, der es den Lesern nicht leicht macht, seinen Texten zu folgen. Wenn, dann fesselt das Thema des Buches Engel. Geschichte eines Bildmotivs den halbwegs Neugierigen oder Bildungsbeflissenen. Die von Held geschriebene Geschichte des Motivs ist substanzreich, wie ein Lehrbuch. Das wird dadurch annehmbarer, also akzeptabel, weil es mit 16 farbigen und 76 weiteren Abbildungen ausgestattet ist. Die Bild-Beigaben machen das Buch zur Anschauungslektüre, die informiert und erklärt, wie das Engelsmotiv im Laufe der Zeit- und Kunstgeschichte gewandelt und variiert wurde und sich so Gestalt und Bedeutung veränderten. Vom Todesboten zum „Offenbarungs- und Hoffungsträger“ von päpstlichen Gnaden avanciert, wurde der Engel zur Ikone der Verehrung, zur Gestalt der Gegenreformation, zum Sinnbild des Erotischen, der Spannung der Geschlechter und schließlich zum „Engel der Apokalypse“ im kriegskrebskranken 20. Jahrhundert. Eine harmlos-hübsche Engel-Geschichte ist die Geschichte der Engel in der bildenden Kunst nicht. Die Geschichte der Menschheit ist alles andere als harmlos und hübsch gewesen seit Engel im Bild erschienen und zu einem Bildnis der Menschheitsgeschichte wurden. Zu sehen ist die Geschichte des gefallenen Engels. Und der gefallenen Menschheit? Die sollte wirklich nicht länger nur auf ihren Schutzengel warten.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 01/97 (c) Edition Luisenstadt, 1997
www.berliner-lesezeichen.de

zurück zur vorherigen Seite