Eine Rezension von Bert Besam

Und ewig lockt das Weib...

Robert Olen Butler: Sie flüstern
Goldmann Verlag, München 1996, 446 S.

Butler, Pulitzer-Preisträger, hat mit seinem Roman Sie flüstern einen amerikanischen Bestseller vorgelegt, der eine einzigartige Ode an die Weiblichkeit, eine Hymne auf das Weib ist.

Der Autor erzählt das Buch in der Ich-Form. Ira Holloway fehlte lange die Sprache, seine Gefühle, seine Schwäche für das weibliche Geschlecht auszudrücken. Erst als 35jähriger überkommen ihn die Erinnerungen, die ihn in eine Welt der poetischen Leidenschaften führen. „Mein ganzes Leben habe ich an dieser peinlichen Begierde nach Frauen gelitten, die mich aus unzähligen Gründen überkam - weil eine Frau klug, witzig oder stark war, unglaublich braune Augen oder sonstwas hatte -, und ich fand nie die Worte, von meiner Leidenschaft zu sprechen ... Die Frauen, die ich geliebt habe - sei es inniglich oder weniger innig -, sind immer in mir. Diese Geschichte handelt von ihnen allen“, sagt Ira.

In seinen Gedanken und Erinnerungen verweben sich alle Frauen mit denen er leidenschaftlich verbunden war zu einer, und die eine zu allen. Sie flüstern gewissermaßen mit ihm; sie erzählen ihm und er ihnen von der Erfüllung der Begierden und der Sanftheit der Liebkosungen.

Für ihn sind alle Frauen und alles an den Frauen schön: „Mich können sogar die Ellenbogen, die Handgelenke, die Fingerknöchel oder die Knie einer Frau vor Verlangen niederschmettern.“ Und: „Auf mir ruhte in gewisser Weise ein Segen, weil die große Sanftheit des Fleisches der Frauen in meiner inneren Landschaft lebendig war, jene Sanftheit und jener Friede, die diese Frauen geben, die alles Verstehen übersteigen, einen Frieden, der aus ihnen selbst kommt ... aus dem süßen feuchten Zentrum des Universums ...“ Faszinierend für ihn sind die feuchten roten Lippen, die Nase, die Zehen, der Spann, die Beuge unter den Armen, von gekräuseltem Haar umgeben, und natürlich die Intimstellen, die so gut riechen, wunderschön anzusehen und herrlich anzufassen sind.

Ach, so könnte man meinen, ist der männliche Körper schwach, nachgiebig und dennoch fordernd gegenüber den weiblichen Reizen - eben diesen Herausforderungen. Butler macht mit diesem Buch deutlich: Ein Mann ist ohne Frauen ein Nichts, ein Mann, der Freuden und Leidenschaften nie erlebt hat.

Ira ist ein Mann von schier unermüdlicher Sinnes- und Leibeslust, ein in dieser Hinsicht begnadeter Mann. Er empfängt nicht nur Lust und Leidenschaft, sondern er gibt sie auch in reichlichem Maß. Und nicht nur er, auch die Frauen drücken zärtlich-erotisch ihre Empfindungen aus, so Kesree, eine Vietnamesin, ... „wenn ich ihn küsse, kann ich meine eigene Pussy auf seinem Mund schmecken, und weil sie auf seinem Mund ist, und weil er aus mir getrunken hat, und weil er mich schön fand, kann ich schmecken, wie köstlich sie ist: Milder Curry und Kokosmilch, Baumrinde, nasse Erde vom Feld meines Vaters. Durch seinen Mund weiß ich, daß ich schön bin, um einfach ich selbst sein zu können, und nichts, was ich sage oder tue, kann diesen köstlichen Geschmack verändern.“

Es ist eine schöne Sprache, in der der Autor schreibt, poetisch und in den Gedankengängen und der Beschreibung nachvollziehbar. Selbst Sätze, die sich teilweise auf über mehr als vierzig Zeilen hinziehen, stören dabei nicht.

Sie flüstern ist ein erotischer Roman ohne jegliche Tabus. Fast ist man als männlicher Leser geneigt, sich zusammen mit dem Autor demutsvoll vor der Schönheit des Weibes und iher hingebungsvollen Erfüllungsgabe hinzuknien und um Erlösung der körperlichen Anspannung zu bitten, jener Vollendung, ohne die es die Menschheit nicht gäbe.

Es ist ein gutes Buch. Schade, daß ich es nicht geschrieben habe, sofern ich es gekonnt hätte, dann aber wäre ich sehr stolz auf mich.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 01/97 (c) Edition Luisenstadt, 1997
www.berliner-lesezeichen.de

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