Eine Rezension von Eberhard Fromm

Persönlichkeit und Werk

Cordula Koepcke: Ricarda Huch
Ihr Leben und Wirken.
Insel Verlag, Frankfurt/M. 1996, 321 S.

Es war ein gelungener Einfall des Verlages, die Biographie der Ricarda Huch nicht mit dem allseits bekannten Greisinnenbild zu schmücken, sondern mit der weitgehend unbekannten Fotografie der dreißigjährigen Ricarda. Der potientielle Leser wird so nicht bereits am Anfang mit dem Ergebnis des Lebenskampfes, dem ausdrucksstarken Gesicht einer Achtzigjährigen konfrontiert, sondern ihn erwartet eine romantische junge Dame, die er auf ihrem Weg in das und durch das Leben begleiten wird.

So will wohl auch die Autorin Cordula Koepcke (1931) verstanden sein, die bereits mit mehreren biographischen Arbeiten, vorwiegend zu Frauenpersönlichkeiten wie Louise Otto-Peters, Lou Andreas-Salomé und Edith Stein, hervorgetreten ist. Sie weist im Vorwort darauf hin, daß offensichtlich dem Leben der Schriftstellerin stets mehr Aufmerksamkeit gewidmet wurde als ihren Werken. Davon zeugen nicht zuletzt die mehr als zehn Biographien zu Ricarda Huch, die im Literaturverzeichnis des vorliegenden Buches enthalten sind. Die Autorin will nun dieses Interesse am Lebenslauf ganz eng mit den Resultaten dieses Lebens verknüpfen: „Die Frucht des Lebens von Ricarda Huch sind Persönlichkeit und Werk - ein Werk, das glühende Lyrik, epische Dramen, leidenschaftliche Romane, hochaktuelle weltanschaulich-religiöse und philosophische Schriften, literaturwissenschaftliche Abhandlungen, einzigartig in Form und Inhalt, Monographien und historische Darstellungen von ungewöhnlicher Aussagekraft umfaßt.“ (S. 10 f.)

Ricarda Huch, am 18. Juli 1864 in Braunschweig in der Familie eines Kaufmanns geboren, dessen Unternehmen vor allem in Südamerika tätig ist, wuchs in gutbürgerlichen Verhältnissen in einer Zeit auf, die durch die Reichsgründung und den schnellen Aufstieg des deutschen Reiches geprägt war. Doch bereits sehr früh, mit neunzehn Jahren, entstand eine komplizierte Liebesbeziehung zu Richard Huch, ihrem Vetter und Ehemann ihrer älteren Schwester Lilly. Diese Beziehung sollte das ganze weitere Leben der künftigen Schriftstellerin prägen. Zunächst verließ sie Braunschweig, um in der Schweiz zu studieren. In Zürich widmete sie sich dem Geschichtsstudium, begann aber auch Gedichte zu schreiben und veröffentlichte 1891 ihren ersten Gedichtband sowie ihre erste Erzählung Die Goldinsel. Im gleichen Jahr bestand sie ihr Diplom-Examen und erarbeitete ihre Doktorarbeit. Ihren Lebensunterhalt verdiente sie sich zuerst als Angestellte der Züricher Stadtbibliothek und als Lehrerin einer Privatschule, später als Lehrerin einer höheren Töchterschule. 1893 erschien ihr erster Roman Die Erinnerungen von Ludolf Ursleu dem Jüngeren, der eine recht günstige Aufnahme fand. 1896 verließ sie Zürich, um in Bremen zu leben, wohl auch mit dem Ziel, dem geliebten Richard näher zu sein. Denn über die ganze Zeit hinweg - und das belegt die Autorin mit hoher Intensität, vor allem mit dem Briefwechsel - hat die Liebe Ricardas zu Richard Bestand, ja sie drängt auf Entscheidungen. Als Richard eine Ehe mit ihr ablehnte, brach sie 1897 alle Beziehungen zu ihm ab und ging über Zürich nach Wien. Hier lernte sie den Zahnarzt Ermanno Ceconi kennen, den sie 1898 heiratete. Es folgten schwierige Jahre in Triest und München, sowohl was die Beziehung der beiden betraf, als auch in sozialer Hinsicht. 1899 wurde ihre Tochter Marietta geboren, 1906 erfolgte die Scheidung. Seit 1905 hatte Ricarda Huch - wiederum detailliert durch Briefe belegt - ihre Beziehung zu Richard Huch wieder aufgenommen; 1907 heiraten die beiden in Braunschweig. Aber bereits 1910 wurde die Ehe wieder geschieden. Richard Huch starb 1914. Aus der Sicht Ricardas war es ein totales Scheitern. „Hier brach ein seit langem, wohl seit Jahrzehnten, mühsam aufrechterhaltenes Gebäude zusammen, in das unendlich viele Energien eingegangen waren, um es vor dem Einsturz zu bewahren.“ (S. 185)

Die zurückliegenden Jahre brachten der Schriftstellerin aber nicht nur private Nöte und Niederlagen. Mit ihren Romanen Aus der Triumphgasse, Michael Unger und Von den Königen und der Krone sowie vor allem mit ihrer zweibändigen Arbeit zur Romantik und einer Studie über Gottfried Keller, aber auch mit dem Buch über Garibaldi festigte sie ihren Ruf als erfolgreiche Schriftstellerin und Literaturwissenschaftlerin.

Die nächsten Jahre lebte Ricarda Huch vorwiegend in München. Geldnöte veranlaßten sie, Kriminalromane (Der letzte Sommer, Der Fall Deruga) zu schreiben, ihre ganze Konzentration gehörte jedoch der Arbeit an einer Geschichte des Dreißigjährigen Krieges und über Martin Luther (Luthers Glaube). Das Ende des Ersten Weltkrieges veranlaßte sie zu der bitteren Bemerkung: „Alles, was jetzt untergeht, muß zweifelsohne untergehen, und es ist gut, daß etwas Neues kommt; das hindert aber nicht, daß dies alles furchtbar schmerzlich ist.“ (S. 223) Sie trat jetzt häufiger an die Öffentlichkeit, wurde 1926 in die Preußische Akademie der Künste gewählt und zog 1927 nach Berlin. 1931 wurde sie mit dem Goethepreis der Stadt Frankfurt ausgezeichnet. In der Folgezeit lebte sie bis 1947 in Heidelberg bzw. in Jena. 1933 stellte sie sich mutig gegen alle Versuche, sie nach dem Austritt von Heinrich Mann, Döblin, Wagner und Kollwitz in der Preußischen Akademie der Künste zu halten: „Was die jetzige Regierung als nationale Gesinnung vorschreibt, ist nicht mein Deutschtum. Die Zentralisierung, den Zwang, die brutalen Methoden, die Diffamierung Andersdenkender, das prahlerische Selbstlob halte ich für undeutsch und unheilvoll.“ (S. 248 f.)

In den folgenden Jahren arbeitete sie an ihrer dreibändigen Deutschen Geschichte. 1947 wirkte sie noch einmal öffentlich als Ehrenpräsidentin des Ersten deutschen Schriftstellerkongresses in Berlin. Von Berlin aus gelangte sie Ende Oktober nach Frankfurt am Main. Am 17. November 1947 starb Ricarda Huch in Schönberg am Taunus.

Bei der Darstellung dieses so wechselvollen Lebens hat die Autorin in allen wichtigen persönlichen Dingen Ricarda Huch selbst zu Wort kommen lassen: autobiographische Schriften, Briefe und Erinnerungen boten dafür ein reichhaltiges Material. Auch die vielfältigen Beziehungen zu anderen Persönlichkeiten ihrer Zeit werden benannt, obwohl hier offensichtlich der Platz fehlte, um manches ausführlicher darzustellen. In der eigenen Wertung zurückhaltend, werden die wichtigsten Arbeiten nicht nur benannt, sondern - wenn auch nur knapp - vorgestellt und in den inneren Zusammenhang mit der jeweiligen Lebensphase gestellt. Das ist der Autorin besonders gut gelungen, so daß das Hauptanliegen - Leben und Werk zu verknüpfen - tatsächlich gelungen ist.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 01/97 (c) Edition Luisenstadt, 1997
www.berliner-lesezeichen.de

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