Eine Rezension von Kathrin Chod

Dollfuß - ein österreichischer Patriot?

Eva Dollfuß: Mein Vater
Hitlers erstes Opfer.
Amalthea/ F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung, München 1994, 368 S.

Lebensgeschichte und Zeitgeschichte in dramatischer Weise verwoben, präsentiert uns hier Eva Dollfuß mit der Biographie ihres Vaters. Engelbert Dollfuß (1892-1934) seit 1933 christlichsozialer Bundeskanzler der Republik Österreich, wird am 25. Juli 1934 bei einem nationalsozialistischen Putschversuch in Wien ermordet, geht in die Geschichte vor allem unter dem Stichwort Austrofaschist ein. Eva Dollfuß, zum Zeitpunkt des Attentats keine 6 Jahre, geht mit einer sehr persönlichen Sicht an die Dinge, geprägt von der Intention, ihren Vater von genanntem Etikett zu befreien, als liebevollen Vater und österreichischen Patrioten zu zeigen, der mutig gegen die drohende Vereinnahmung durch den schier übermächtigen Nachbarn im Norden kämpfte. Um ihre Thesen zu stützen, führt sie ihre spärlichen Erinnerungen mit denen von anderen Menschen aus dem persönlichen Umfeld von Engelbert Dollfuß an und verbindet sie mit oft seitenlangen Zitaten aus der politischen Memoirenliteratur. Die Auswahl erfolgt kategorisch nach der Nützlichkeit für ihr Anliegen. Ihr eigener Beitrag ist dabei meist beschreibend. Hier konstatiert sie für ein Verständnis der damaligen Zeit wichtige Stimmungen und Haltungen, wie die weit verbreiteten Zweifel in die Überlebensfähigkeit eines eigenen Staates und daraus folgend einen starken Vereinigungsgedanken. So streichen auch die Sozialdemokraten erst unter dem Eindruck der nationalsozialistischen Machtübernahme in Deutschland den Anschlußparagraphen aus ihrem Parteiprogramm. Karl Renner (sozialdemokratischer Bundespräsident nach 1945) und Kardinal Innitzer rufen selbst 1938 noch ihre Landsleute dazu auf, für den Anschluß an Deutschland zu stimmen. Daß nun Dollfuß für einen eigenständigen „deutschen Staat Österreich“ kämpft, ist nicht nur seiner Abneigung gegenüber dem Nationalsozialismus, sondern vor allem der Angst geschuldet, in einem gemeinsamen Staat an den Rand gedrängt und gerade mal den „Einfluß Hessens“ zu haben.

Die von der Autorin angeführten Selbsteinschätzungen des bürgerlichen Lagers erhellen die dramatische Lage jener Zeit, wenn beispielsweise christlichsoziale Führer feststellen, daß die nationalsozialistische Bewegung bereits mitten in der Partei ist. Die Ursachen für die politische und wirtschaftliche Krise im Österreich der Zwischenkriegszeit analysiert die Autorin leider nicht. Auch wird sozialdemokratischen Führern eine schier vom Himmel gefallene Böswilligkeit unterstellt, während Dollfuß selbst und auch seinen Freunden a priori immer die besten Absichten attestiert werden. Das gipfelt dann in Wertungen wie zu Äußerungen des rechtsradikalen Heimwehrführers Fürst von Starhemberg: „Er meint es meist gar nicht ernst.“

Eva Dollfuß versucht herauszuarbeiten, daß ihr Vater ehrlich an einer Versöhnung mit der Sozialdemokratie interessiert war und alle innenpolitischen Maßnahmen nur allein der Abwehr des Nationalsozialismus dienten. Nur wurde in der Regierungszeit von Dollfuß alles unternommen, um potentielle Bündnispartner gegen den Nationalsozialismus auszuschalten: Auflösung des Parlaments, Verbot aller Parteien und Versammlungen, Notverordnungen, Anhaltelager (Internierungslager), Einführung des Standrechts und der Todesstrafe. Letztlich bereitet er für die Herrschaft, die er bekämpfen will, durch seinen autoritären Ständestaat nur den Boden. Das ist sicherlich auch seine Tragik. Die Biographie macht allerdings auch deutlich, und hier liegt in jedem Fall ihr Verdienst, daß Dollfuß natürlich nicht ganz allein für diese Entwicklung verantwortlich ist, vorsichtigste Versuche einer Annäherung zur Sozialdemokratie werden von der Heimwehr und christlichsozialen Politikern torpediert.

Insgesamt trägt Eva Dollfuß so tatsächlich zum Verständnis der damaligen Zeit bei, die Lektüre sollte aber im Zusammenhang mit anderen Werken zur österreichischen Geschichte erfolgen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 01/97 (c) Edition Luisenstadt, 1997
www.berliner-lesezeichen.de

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