Eine Rezension von Bernd Heimberger

Verherrlichtes Verhältnis

Dieter Borchmeyer/Jörg Salaquarda (Hrsg.): Nietzsche und Wagner
Stationen einer epochalen Begegnung.
Insel Verlag, Frankfurt/M. 1994, 1418 Seiten

Sind „große Männer“ keiner großen Freundschaft mehr fähig? Es schaut schlimm aus in der jüngeren deutschen Kultur- und Geistesgeschichte. Daß die Freundschaft bekannter Männer zu Buche schlägt wie die Begegnungs-Beziehungen Goethe und Schiller, Engels und Marx, Nietzsche und Wagner ist nicht zu erwarten. Nicht nur, weil die Zweitgenannten derzeit bei den Publizisten wenig populär sind.

Seit mehr als einem Jahrhundert halten der musische Philosoph und der philosophische Musiker nicht nur deutsche Gemüter wach und auch in Schach. Der fesselnden Faszination unterlagen offensichtlich auch die Herausgeber der zweibändigen Publikation Stationen einer epochalen Begegnung. Kleiner gings nimmer! Das Über-Menschen-Maß mußte sein, obwohl in der Beziehung manches menschlichem Maß entbehrte. Daran ändert nichts das geradezu hemmungslose Freundschaft-Liebe-Bekenntnis, das Wagner in einem Brief vom 25. Juni 1872 dem 28jährigen Nietzsche bekundete: „O Freund! Nun machen Sie mir eigentlich nur noch Sorge, und zwar weil ich soviel auf Sie gebe! Genau genommen sind Sie, nach meiner Frau, der einzige Gewinn, den mir das Leben zugeführt ...“ Dem Philosophen blieb nichts anderes übrig, als mit „Geliebter Meister“ zu antworten. Der gemeinsam erzeugte Weihrauchnebel stahl Wagner die Sicht auf Nietzsche, Nietzsche die auf Wagner. Der anschwellende und abklingende Briefwechsel zwischen Cosima und Richard Wagner sowie Friedrich Nietzsche, mit dem die Dokumentation der Beziehung beginnt, ist eine lebhafte Darstellung gegenseitiger Gedanken. Die in der Bewunderung füreinander kaum zu überbietenden Briefschreiber dezimierten in ihren Essays den Überschwang durch differenzierte Erkenntnisse. Wagner schützend, ersparte sich Nietzsche nicht die kritischen Feststellungen, daß „der Wortdramatiker in die Versuchung“ geriet, „Sprache und Gedanken ungewöhnlich aufzufärben“ und durch „eine gewisse auffallende Gleichartigkeit der Form ... den Zuhörer zur Deutung dieser Musik zu nöthigen ...“ Beklagt Nietzsche 1877 Wagners Mangel an Duldsamkeit und Geduld, entspricht das wieder dem unmittelbaren, persönlichen Ton früherer Briefe. Derartige Äußerungen tauchen aber nicht mehr in den Korrespondenzen an Wagner auf.

Umfangreicher und substantieller als die Briefschaften an den gewonnenen und verlorenen Freund sind die Bemerkungen Nietzsches über Wagner. Die Herausgeber Dieter Borchmeyer und Jörg Salaquarda destillierten aus dem schriftlichen Nietzsche-Nachlaß, was der Denker zu und über Wagner und dessen Musik dachte. Die Frage stellt sich: Kreiste Nietzsche um den Stern Wagner, oder leuchtete in Nietzsche Wagnersches Licht? Es ist enorm, was Nietzsche während zweier Jahrzehnte in postalischen Passagen und essayistischen Aufsätzen über den in Venedig verstorbenen Meister aus Leipzig äußerte. Enorm ist ebenfalls die Intimität und Intensität der Schriftsätze. In der Summe bleiben sie die beste philosophische Würdigung und Wertung Wagners. Zu der war ein Schriftsteller fähig, der als Philosoph dominierte und der die Macht der Musik nicht nur spürte. Die Ausübung der musikalischen Macht mußte er einem anderen überlassen. Das sagt alles über Annäherung und Distanz zwischen Richard Wagner und Friedrich Nietzsche. Wenn eine Publikation des Nietzsche-Jubiläum-Jahres Bestand hat, dann die Dokumentation. Sie bringt alles, was wir längst einmal über das verherrlichte Verhältnis wissen wollten!


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 01/97 (c) Edition Luisenstadt, 1997
www.berliner-lesezeichen.de

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