Eine Rezension von Horst Wagner

Die Herrmänner und die Bachmänner

Ralf Bachmann: Ich bin der Herr. Und wer bist Du?
Ein deutsches Journalistenleben.
edition reiher im Dietz Verlag, Berlin 1995, 398 S.

Der Titel dieses Buches bezieht sich auf ein vom Autor anekdotenhaft geschildertes Telefongespräch mit dem obersten Medienchef der DDR, Politbüromitglied Joachim Herrmann. „Ich will dir mal was sagen. Wir sind beide Mann, aber ich bin der Herr und du der Bach, merk dir das.“ Mit diesen Worten rief Herrmann den bei ADN Chefdienst habenden Bachmann zurecht, als dieser leichte Kritik am Stil einer von Honecker persönlich verfaßten Meldung für die Nachrichtenagentur übte. (S. 293) Die Mischung anekdotenhafter, oft humorvoller Erlebnisschilderungen mit interessanten Insiderinformationen und kritischer, zum Teil selbstkritischer Analyse macht diese Autobiographie eines leitenden DDR-Journalisten zu einer gleichermaßen vergnüglichen wie Erkenntnisgewinn bringenden Lektüre.

Äußerlich erscheint die geschilderte Karriere wie eine aus dem Bilderbuch: vom Volontär bei den „Nachrichten für Grimma“ über verschiedene Redakteurs- und Abteilungsleiter-stellungen bis zum Auslandskorrespondenten an politischen Brennpunkten (je fünfeinhalb Jahre in Prag und in Bonn) und zum stellvertretenden Generaldirektor der DDR-amtlichen Nachrichtenagentur. Aber es werden auch Hintergründe, Verletzungen, Enttäuschungen sichtbar. Da wird 1947 Ralf Bachmanns Vater wegen „Teilnahme an einer sozialdemokratischen Verschwörung“ vom NKWD verhaftet und kommt später in Bautzen zu Tode. (S.73 ff.) Da „verschwindet“ ein Chefredakteur der „Leipziger Volkszeitung“, ein bewährter Antifaschist, auf vier Jahre, weil er wegen seiner „Westemigration“ der „Verbindung zu imperialistischen Agenten“ beschuldigt wird. (S. 116 ff.) Da kommt Bachmann selbst mit einer strengen Rüge gerade noch vom karrierebeendenden Parteiausschluß davon. Einer der Vorwürfe gegen ihn: eine goldene Kette mit Davidstern, ein Erinnerungsstück an seine jüdische Mutter, die er „lange Zeit demonstrativ getragen“ habe. (S. 122) Was ihn offenbar noch stärker frustriert, ist der auch ihm immer deutlicher werdende Widerspruch zwischen sozialistischem Ideal und realsozialistischer Wirklichkeit, zwischen verordneter Schönfärberei in den Medien und tatsächlichem Alltag. Es ist die Tatsache, daß die Gängelei durch die „Herrmänner“ immer beschränkter und beschränkender wird und „wir Journalisten aus den von uns beobachteten Tatsachen nicht ein Mosaikbild gestalten, sondern nur Steine für ein bereits ideologisch vorgeformtes Mosaikmuster sammeln“ sollten. (S. 17) So gelingt es Bachmann, am individuellen Erlebnis ein stimmiges Bild vom Zustand der DDR-Medien, der Befindlichkeit von DDR-Journalisten zu zeichnen. Bleibt die Frage: Warum hat er das Spiel bis zum bitteren Ende mitgespielt? „Rücktritt ... wem hätte ich damit gedient, und was hätte mein Nachfolger anders machen können?“ (S. 296) Diese Antwort, so einleuchtend sie ist, wird wohl nicht jeden befriedigen. Eher taugt da wohl die Auskunft: „Vielleicht weil mir die Treue zur Partei und ihrer Lehre zur Pseudoreligion geworden war? Vielleicht weil ich nicht kaputt machen lassen wollte, was ich für den Inhalt meines Lebens und meiner jahrzehntelangen Arbeit hielt.“ (S. 397)

Auch wenn man darin keine gültigen Wertungen sehen kann, so ist es doch nicht uninteressant, wie Bachmann den Unterschied zwischen Ulbricht und Honecker, zwischen den Agitationssekretären Lamberz und Herrmann beschreibt, wie er Sindermann und Mittag schildert, wie er von seinen Begegnungen mit Ludwig Renn, Bruno Apitz und Erich Loest erzählt. Spannend und aufschlußreich sein Erlebnisbericht von der Nacht des 21. zum 22. August 1968, als der Einmarsch sowjetischer Truppen den „Prager Frühling“ beendete. Einen Höhepunkt des Buches stellt sicher das Kapitel über seine Korrespondentenzeit in Bonn dar, wo er natürlich auch in die Mühlen der Geheimdienste beider Seiten gerät (was schließlich zu seiner Abberufung führt) und wo er immer mal wieder erleben muß, daß unter seinem Namen im ADN-Dienst Beiträge erscheinen, die nicht von ihm, sondern im ZK der SED geschrieben worden sind. Hier in Bonn werden für ihn und seine Frau aber auch „aus ‚Soldschreibern des Großkapitals‘ unsere guten Freunde“. (S. 247) Bekanntschaften, die ihm von Nutzen sind, als er nach der „Wende“ in der Modrow-Regierung als stellvertretender Regierungssprecher und unter de Maizière als Abteilungsleiter im Medienministerium arbeitet.

Daß Bachmann weit lebendiger schreiben kann, als es ihm seine früheren ADN-Berichte gestatteten, zeigen auch die im Buch eingestreuten kurzen Reiseberichte aus Chile und Mexiko, Peru und Argentinien, Brasilien und anderen Ländern Lateinamerikas. Ein deutsches Journalistenleben? Sicher kein durchschnittliches, aber doch ein DDR-typisches. Und man versteht Bachmanns Anliegen, daß er mit seinem Buch „um Gerechtigkeit und Ausgewogenheit im Urteil über DDR-Journalisten ersuchen“ will. „Man macht es sich zu einfach, wenn man uns nur als die kläffende Meute im Jagdzug der roten Herrscher abtut ... Besser als leider zu oft unsere Produkte waren wir schon.“ (S. 391)


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 01/97 (c) Edition Luisenstadt, 1997
www.berliner-lesezeichen.de

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