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Rudolf Jürschik

Rosa Luxemburg
oder kein Ende der Visionen

Es ist das Zeitempfinden selbst, das Suchende, Antwort-Suchende hellhörig macht beim Wortsignal „Luxemburg“.

„Sozialismus oder Barbarei“ - sie hatte hinreichend Grund, diese Alternative zu denken, entsprechend zu streiten und zu handeln - ist nach dem gescheiterten Sozialismus doppelt aktuell. Wer lebte schon gern mit Barbarei als Perspektive - und die Wirklichkeit des obsiegenden Kapitalismus legt die Suche nach Alternativen durchaus nahe. Der erfahrene - reale - Sozialismus kann es nicht sein. Daran ändert sich auch nichts, wenn sein Scheitern durch das Beiwort „vorerst“ oder durch die territoriale Einschränkung auf die Sowjetunion und Osteuropa relativiert wird. Menschen, die Sozialismus als eine gelebte Wertvorstellung nicht von sich trennen können, gerade sie sind in der Pflicht, in ihrem suchenden Denken auch soziale Utopie und weltliche Wirklichkeit nicht zu trennen. Auch wem der Begriff der Utopie wegen des Utopischen suspekt ist, kann doch nicht leugnen, daß ein Leben ohne Vision schrecklich verarmt.

Nicht um den Tausch von Wörtern, nicht um Ideen an sich geht es - ans Leben, an die Individualität gebunden sind Visionen real. In solcher Nachdenklichkeit über das Werden der Idee zur Wirklichkeit, die Geschichte des Sozialismus, machten und machen zunehmend viele bei Rosa Luxemburg fest, sich fragend, war dieser Weg so programmiert oder offen auch für andere mögliche reale Entwicklungen. Die besondere Resonanz des Films von Margarethe von Trotta in der DDR, das „provozierende“ Transparent mit dem Luxemburg-Wort von der „Freiheit der anders Denkenden“ während der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration im Januar 1988 waren spät-frühe Anzeichen dafür. Daher kann - weil eben nicht nur der Gedanke zur Wirklichkeit, sondern auch die Wirklichkeit zum Gedanken drängt (Marx) - sich jede Publikation zu Rosa Luxemburg eines besonderen Interesses sicher sein. Wer zu ihr greift, geht so oder so mit einem alternativen Denken um. So ging es mir, so wird es anderen gehen - zum Beispiel mit dem 1995 von Kristine von Soden herausgegebenen Titel Rosa Luxemburg, einer aktualisierten Neuausgabe des 1988 bei ELEFANTEN PRESS erschienenen BilderLeseBuches Zeitmontage: Rosa Luxemburg.

Wer zu diesem großformatigen Paperback greift, wird einer Gewohnheit folgend erst einmal über den Daumen blättern, um sich ein „Bild“ zu machen. Schon dieser „Überblick“ - von hinten nach vorn - beeindruckt. Der Auftakt, das letzte ganzseitige Bild: ein seilspringendes lachendes Mädchen - darunter: „Die Revolution ist großartig, alles andere ist Quark“, Rosa Luxemburg 1906 (Plakat für eine alternative Maidemo Berlin Kreuzberg 1988), dann grafische, fotografische Bilder von ihr, vom Mahnmal im Tiergarten, dem von Mies van der Rohe in Friedrichsfelde 1926, von der Leiche ...., aus den Novembertagen 1918 in Berlin, Lenin, die Zetkin, Alltag der Frauen um 1900, Leo Jogiches, jüdischer Alltag in Polen, die Pariser Kommune, die alten Herren der Sozialdemokratie, dazwischen immer wieder Rosa, zuletzt als Schulmädchen.

Ein Bilder-Bogen durch Geschichte als Personen- und Ereignisgeschichte in ihrer unauflösbaren Einheit in einem vorzüglichen Layout Texten zweierlei Art zugeordnet: Ausschnitte aus Werken und Briefen von Rosa Luxemburg (aber auch anderer Zeitzeugen) und Beiträge zu sehr verschiedenen Themen, klar unterschieden zueinander gesetzt. Nun erst entdeckt man auf dem Einband so klein wie zutreffend den Gattungsvermerk: „BilderLeseBuch“. Das läßt einen spielerisch freien Zugang assoziieren, erst recht, wenn auf der Rückseite für ein „Kaleidoskop aus analytischen und erzählenden Beiträgen, Zitaten ...“ usw., wie beschrieben, geworben wird. Also ist man zum Durch-Schauen aufgefordert, die durch Spiegelung und Verschiebung farbiger (Glas-)Teil-Stücke wechselnden (Muster) Strukturen wahrzunehmen.

Mit der Beschreibung der Erscheinung der Publikation sei versucht, ihren ausgesprochen kommunikativ-freundlichen, ihren einladenden Charakter hervorzuheben. Denn der ist konzeptionell, gehört zur Intention von Verlag/Herausgeber: in der heutigen Medienlandschaft für Rosa Luxemburg, für Geschichts- und Zeiterfahrung mit ihr zu interessieren, möglichst viele, und Interessierte zu neuem Denken im weiten Spektrum bleibender, so visionärer wie realer Lebensfragen zu ermutigen. Und das gelingt! Es sind auch Texte von auffallend vielen - neunzehn - wissenschaftlich und/oder journalistisch tätigen Autorinnen und Autoren zusammengeführt: 12 von Frauen und 7 von Männern, ein Verhältnis, das aufmerken läßt.

Egal, ob der Leser nun ganz traditionell von vorn nach hinten liest - Gegenstand und Anordnung der Beiträge haben natürlich ihre (beinah) chronologische Logik - oder „beliebig“, was hier nur heißen soll: von verschieden orientierten Interessen ausgehend: Er kommt zu dem Ende, nun manches genauer wissen zu wollen. Wer nun vermutet, damit sei ein Einwand nur „positiv formuliert“, der irrt. Ein Bedürfnis als Surplus nach der Lektüre - das ist eine Empfehlung. Und ich bin auch gleich noch so frei, jedem zu empfehlen, zuerst doch den ersten Beitrag zu lesen, den Essay von Walter Jens „Rosa Luxemburg: Weder Poetin noch Petroleuse“. Denn Texte, die uns eine geschichtliche Gestalt, einen Menschen so zu öffnen vermögen, daß uns seine Individualität, sein deshalb gänzlich unaustauschbarer Bezug zur Welt und also auch diese mit dem Riß, der durch sie geht, und wie der erlebt, gelebt, ausgehalten wurde, so nahe kommt, daß es einem „unter die Haut“ geht, sind äußerst selten, kostbar.

Jens setzt uns gleichsam in den Stand, hier und fürderhin die Schriften der Luxemburg, nicht nur ihre Briefe, auch die theoretischen, im tiefsten Sinne des Wortes „Selbstäußerung“ als eine Äußerung ihres Selbst zu lesen. Seiner Auswahl signifikanter Zitate, seinen aus Betroffenheit und analytischer Schärfe entwickelten erhellenden Gedanken ist ein Psychogramm der Rosa Luxemburg immanent, das uns zu einem (besser) verstehenden Leser auch der folgenden Beiträge zu machen vermag. Weil wir mit ihm eben nicht nur nach- sondern mitvollzogen haben, „wie im Falle Rosa Luxemburgs ein Maximum an Ich-Analyse identisch ist mit einem Höchstmaß an verläßlicher Erkundung jener äußeren Welt, deren soziale, ...“ (S. 17) Er charakterisiert „dieses Miteinander von Erfahrung und Wissen, das ihr Glaubwürdigkeit gab“, (S. 12) in allem, aber insbesondere als Rednerin, als eine „Doppelheit“, die wesentlich, ihr wesens-eigen ist: „Rosa Luxemburg war eine Frau, deren Existenz sich im Spannungsbezug zwischen solitaire und solidaire (einsam und gemeinsam) realisierte.“ (S. 12)

Ist damit nicht zugleich ein Befinden nicht weniger politisch Engagierter heute, die Weise der benannten Nachdenklichkeit chrakterisiert? Auf sie selbst bezogen, liest sich der folgende Beitrag von Corinne Bouillot, sehr gerichtet überschrieben mit dem Luxemburg-Zitat „Man muß Bebel und die anderen Greise vorwärtsstoßen ...“, Die Altväter der SPD, auch wie ein Beleg dafür. Denn neben der Sachinformation über eine „angesehene Partei und ihre etablierten Führer“ (S. 18) und die zentrale Frage ihrer Politik - Sozialreform oder Revolution? - wird, verbunden mit den Positionen der Luxemburg, die Rolle einer Frau in der „patriarchalischen Welt der SPD“ (S. 21) erörtert. Damit ist ein Akzent gesetzt, der einige der weiteren Darlegungen wesentlich prägt: die Frauenfrage. Als sozial-geschichtliche, was nahe liegt, aber auch als Frage an den „Stil“ von Politik generell, was man assoziiert. In den Beiträgen Das großartige Schauspiel, der heroische Kampf..., Rosa Luxemburg und die Pariser Kommune, von Stephan Padberg, Das Vaterland der Polen von Marina Achenbach, Jüdischer Alltag in Polen von Micha Brumlik, Leo Jogiches und Rosa Luxemburg, Bemerkungen zu einer schwierigen Liebe, von Frederik Hetmann und Universität Zürich: Frauen, Russen, Luxemburg von Verena Stadler-Labhart werden Geschichtliches, lebensweltliche Bezüge und solche zur soziokulturellen Tradition sowie Biographisches so anschaulich vermittelt, daß sich der Leser sehr gut vorstellen kann, wer da mit welcher Erfahrung, welchem Denken, Fühlen und Wollen am 12. Mai 1898 in Berlin eintrifft.

Nach dieser „Rückblende“ erscheint einem die Begegnung mit den alten Herren der Sozialdemokratie in einem etwas veränderten Licht - Stichwort: Kaleidoskop -, der politische Stil von Parteien im Licht ihrer Chancen, ihrer Zukunft. Und die Hinweise auf ihre schwierige Liebe zu Leo Jogiches ließen uns in ihrer Biographie, in der Geschichte schon einmal vorausschauen.

Ist der Beitrag von Kristine von Soden, Station Berlin, noch ganz auf Rosa Luxemburg konzentriert, darauf angelegt, im Überblick die Fakten und aus Selbstzeugnissen ihr Befinden mitzuteilen - methodisch aufschlußreich, weil so ein Rahmen aufgemacht wird, der im weiteren auszufüllen sein wird -, rücken in den folgenden drei
... wird das Leben zu einem aufreibenden Vielerlei, Frauenalltag in Berlin um 1900, von Rosemarie Beier,
Frühe Feministinnen - Frühe Sozialistinnen, Die Frauenbewegung im Kampf um ihre politischen Rechte, von Herrad U. Bussemer und
Soldaten für die Revolution?, Die Gebärstreikdebatte der SPD im Jahre 1913, von Anna Bergmann, spezifische Fragen soziologischer und anderer Art der Frauenbewegung in dieser Zeit ins Blickfeld. Wobei uns insbesondere aus dem von Anna Bergmann das in Theorie und Praxis so spannungsvolle Verhältnis von Frauenfrage und Klassenfrage bewußt wird. Auch wer in den derzeit hier zu erfahrenden Sozialstrukturen mit der K l a s s e n-Frage nur noch wenig anfangen kann, wird die weite Dimension dieser Frage, die der menschlichen Emanzipation überhaupt, nicht leugnen können bzw. als eine seines Denkens in die Lektüre einbringen.

In Clara und Rosa versteht es die Autorin Marianne Walle auf wenigen Seiten das Besondere dieser „politischen Freundschaft“ und ganz tief „persönlichen Freundschaft“ zu verdeutlichen. Hier scheint wieder auf, was Jens zur „Doppelheit“ reflektierte - , so daß man versteht, warum sie das Wort „Frauenfreundschaft“ wegen seiner etwas abschätzigen Konnotation vorsätzlich nicht gebraucht. Die Aufforderung, die in ihrem abschließenden Satz steckt, sollte bei jeder Gelegenheit weitergesagt werden: „Und weil es für viele Historiker und Publizisten ‚nur eine Frauenfreundschaft‘ war und ist, wurde die Korrespondenz zwischen den beiden wohl bislang nicht veröffentlicht.“ (S. 102)

Wie Rosa Luxemburg in die politische Geschichte „verstrickt“ ist - wenn wir „Verstrickung“ als Metapher im Sinne von Hannah Arendt als selbstverständliche Bedingungen des Handelns, als „Hineinhandeln“ in vorhandene Gewebe fassen -, signalisieren schon die Titel der nächsten Texte:
Revolution in Rußland, Rosa Luxemburgs Kontroverse mit Lenin, von Elvira Högemann-Ledwohn, Die unvollendete Partei, Die Vorgeschichte der KPD, von Georg Füllbert und Die Novemberrevolution von Ulrike Hörster-Philipps. Bemerkenswert, wie es den beiden Autorinnen und dem Autor gelang, in den kurzen Abrissen die Ereignisse zu erinnern und das entsprechende Biographisch-Faktische zu vermitteln; vor allem aber verbunden damit aufzuzeigen, daß und welche grundlegenden, das Geschichtsverständnis und die Geschichtsgestaltung und also die menschliche Emanzipation selbst betreffende Fragen der reale Prozeß erzwingt, und von welcherart persönlicher Konflikte die Verständigung darüber notwendig begleitet ist.

Stichworte dazu: Basisdynamik der Revolution zu Organisation und Zentralismus; Massenchauvinismus zu Selbstbestimmungsrecht der Nation; „politisches Leben“ zu „freier Meinungskampf“; „sozialistische Jakobinerherrschaft“ zu „Sozialismus und Demokratie“ und weitere andere.

Keine dieser Fragen ist inzwischen geschichtlich „erledigt“ und natürlich auch in dieser Publikation nicht ausgestritten; aber präzis gestellt und so nahegebracht, daß es der Leser eben „genauer wissen will“. Vor allem von diesen Beiträgen wird denn auch ihr einladender Charakter inhaltlich bestimmt. Sie reichen gewissermaßen direkt in die Rückfragen von heute hinein. Worauf da im Geschichtlichen verwiesen ist und unsere Nachdenklichkeit jetzt treffen sich in einem Impuls, mit Blick auf den Sozialismus durch die alte Debatte über Weg (Bewegung) und Ziel hindurch die unauflösbare Einheit im Verständnis von Wesen und Weg zu fassen. Das heißt letztlich, Demokratie nicht erst dem Weg zuzuordnen gleichsam als Politisch-Methodisches zur „Ausführung“, sondern mit aller Konsequenz als zum Wesen gehörend zu verstehen, wie auch die Staats-Rechts-Fragen. In diesbezüglich bequemen Vereinfachungen ist hinsichtlich rück- und vorausschauender Verständigung für die Beteiligten noch hinreichend Konfliktstoff versammelt, ist noch manches auszustreiten.

Der Mord von Elisabeth Hannover - quasi ein Gerichts-Rapport, eine so klare Sprache der Fakten dieser Hinrichtung im Januar 1919 bei einer Mitwisserschaft in der von der SPD gestellten Regierung und die Spur bis zu den Gerichtsverhandlungen 1969 - beides macht gleichermaßen immer wieder zutiefst betroffen.

Wirkungsgeschichtliche Aspekte zeigt vor allem Peter Geide auf: Rosa Luxemburg und die Weimarer Linke. Auch hier steckt die Aktualität - noch einmal Stichwort Kaleidoskop - im Muster: etwas erst zur „Denkfigur“ zu machen, um es dann als zentrale Frage, als Gegenstand einer ideologischen Auseinandersetzung und/oder geschichtlichen Aufarbeitung zu behandeln. Hier der „Luxemburgismus“ und die KPD. Eine „Denkfigur“ auch mit geschichtlicher Nachwirkung.

Zu lesen ist, wie Rosa Luxemburg gerade bei Künstlern zu einer „Leitfigur bei der Suche nach realen Utopien“ (S. 138) wurde - ein Gedanke, der weiterführende eigene Überlegungen geradezu erheischt.

Bevor, die Publikation abschließend, Urte Sperling darstellt und problematisiert,
Was die rote Rosa der Neuen Frauenbewegung bedeutet, und dabei zum Schluß kommt: „Auch für Feministinnen ist Rosa Luxemburg ohne Marx nicht zu haben.“ (S. 158) - eine Feststellung von besonderem Belang, zumal im Zusammenhang mit der Gründung der KPD die theoretisch-politisch orientierende Äußerung von Rosa Luxemburg, „Wir sind wieder bei Marx“, nicht aufgenommen und/oder problematisiert wurde -, erhellt der bemerkenswerte Essay von Jürgen Elsässer
Eine Jüdin in Polen, Das ‚jüdisch-internationale‘ Denken der Rosa Luxemburg, eine Problematik besonders sensibler Natur: „Gerade der Antisemitismus zeigte ihr ..., daß nicht nur die ‚herrschenden‘ Nationen das Gift von Intoleranz und Ausgrenzung in sich trugen, sondern auch ‚beherrschte‘ Nationen wie die polnische.“ (S. 146)

Aus Erfahrung und im Wissen um das immer wieder einsetzende „Kesseltreiben“ gegen die Juden und die Tatsache, daß sich darin auch Teile der Linken befleißigen, machte Rosa Luxemburg, wie der Autor hervorhebt, deutlich, daß sie unter „Freiheit der anders Denkenden“ kein Laissez-faire für solche Debatten verstand: „Das ist ein Ausbruch eines ... grundsätzlichen Antagonismus zwischen der sozialen Reaktion und der wahren Kultur ...“ (S. 146) Wie diese Problematik, oft gebunden an die Forderung nach „nationaler Selbstbestimmung“ bzw. „nationaler Identität“, durch die Geschichte und die in ihr streitenden Parteien geht, wird aufgezeigt und macht sie unabweisbar, denn es wird deutlich, daß „die verschüttete ‚jüdisch-internationale‘ Tradition der Rosa Luxemburg von verzweifelter Aktualität“ (S. 149) ist. (Insbesondere durch diesen Beitrag wurde die Neuausgabe erweitert und aktualisiert.)

Versucht sollte werden, im Draufblick anzuzeigen, zu welchem Spektrum von mit Leben und Werk von Rosa Luxemburg verbundenen Fragen dieses Kompendium (kurzgefaßtes Handbuch) einläd, Wissen vermittelt und orientierende Anregungen uns „in die Hand“, in Kopf und Herz, gibt, die sich unter der Leitvokabel Demokratie subsumieren lassen.

Natürlich kann eine solche Publikation weder die Ansprüche einer Biographie abdecken noch die der systematischen wissenschaftlichen Arbeit zur Geschichte der Arbeiterbewegung und zur Strategie und Taktik der Parteien in dieser Geschichte ersetzen. Solche würde auch die eine oder andere allzu kurz geschlossene und daher vereinfachte, generalisierend formulierte Verallgemeinerung in manchen Texten aufdecken. Das sei wissenschaftlichem Meinungsstreit unbenommen. Und ganz gewiß werden Leser auch Lücken schmerzlich verspüren. So bedauere ich zum Beispiel sehr, daß, bedenkt man ihre „Schriften über Kunst und Literatur“ (in der verdienstvollen Fundus-Reihe des Verlags der Kunst Dresden 1972 erschienen) - welch glänzendes „Bild“ eines Kaleidoskop - kein den anderen vergleichbar intentierter Beitrag dazu einläd. Sehr gut denkbar auch ein vergleichender, gewiß brisanter Text über Luxemburg-Rezeption in der „alten“ BRD und in der DDR u. ä. m. Auch ein Werkverzeichnis, ein „tabellarischer Lebenslauf“, eine Chronik der Zeitgeschichte etc. kann, wer will, vermissen.

Der unanfechtbare Wert der Publikation liegt in der vielseitigen Eröffnung eines Zugangs zu Rosa Luxemburg, in der Vermittlung eines soliden Wissens und insbesondere in der Einladung zu ihrem Denken.

Sollte man vom „Gestus“ einer Publikation sprechen können, dann möchte ich ebendiesen hervorheben, weil man sich doch nichts vormachen sollte darüber, wie verbreitet ihr Gedankengut - um im eigenen Land zu bleiben - in Deutschland wirklich ist, und weil insbesondere nach geschichtlichen Brüchen gilt, was Peter Geide schon mit Blick auf die verschiedenen politischen Strömungen der Weimarer Linken feststellte: offensichtlich ist ihnen dieses eine - das bleibt - gemeinsam:
„Rosa Luxemburg verkörpert das ungebrochene Ideal einer Revolution im Namen der sozialen Gerechtigkeit.“ (S. 138)


Kristine von Soden (Hrsg.):
Zeitmontage: Rosa Luxemburg
Elefanten Press, Berlin 1995, akt. Neuausg.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 01/97 (c) Edition Luisenstadt, 1997
www.berliner-lesezeichen.de

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