Eine Annotation von Horst Wagner
Ditfurth , Hoimar von:
Die Sterne leuchten, auch wenn wir sie nicht sehen
Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1996, 351 S.

Daß Sterne leuchten, auch wenn wir sie (bei Tage oder wegen zu großer Entfernung) nicht sehen, dürfte keine neue Erkenntnis sein. Aber Hoimar von Ditfurth knüpft in seinem titelgebenden Aufsatz an einfache, fast schon ins Alltagsbewußtsein eingegangene Tatsachen interessante Überlegungen über die Relativität menschlichen Erkenntnisvermögens und über das Verhältnis von Naturwissenschaft und Religion. In einem anderen Beitrag unter dem Titel „Affen empfinden keine Langeweile“, der eigentlich psychischen Erkrankungen gewidmet ist, stellt er anregende philosophische Betrachtungen über den Zeitbegriff im physikalisch-astronomischen und im menschlich-psychologischen Sinn an. Diese Methodik macht den Reiz des Sammelbandes aus, zu dem der Deutsche Taschenbuch Verlag 40 Aufsätze und Vorträge des 1989 verstorbenen Wissenschaftspublizisten aus den Jahren 1947-1987 zusammengefaßt hat. Berücksichtigt man den Zeitpunkt der jeweiligen Erstveröffentlichung, so ist klar, daß die seinerzeit als neu beschriebenen Fakten, z. B. zu den „Rätseln des Vogelfluges“ oder zur Frage „Warum wir Farben sehen“, durch neue Forschungen überholt sind. Aktuell und lehrreich aber bleibt die populärwissenschaftliche Darstellungsweise Ditfurths: Einzelne Erkenntnisse in einen größeren, oft überraschend neuen Zusammenhang zu stellen und die Frage „Was kann ich wissen?“ mit den drei anderen zu verbinden: „Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Was ist der Mensch?“, in deren Einheit ja nach Kant das „Feld der Philosophie“ besteht. Daß manche der Ditfurthschen Ableitungen zum Widerspruch reizen, ist sicher kein Manko. So werden sowohl Theologen als auch Anhänger des dialektischen Materialismus ihre Einwände vorbringen, wenn Ditfurth, gleichsam im Sinne eines Pantheismus, die äußere Natur beseelt und Gott sozusagen in der Evolution der Materie sieht. Läßt sich der wiederholt vorkommenden These: Wissenschaft und Technik sind an sich weder gut noch schlecht; der Mensch, der sie entwickelt, ist beides zugleich ... kaum widersprechen, so dürfte Ditfurths Auffassung, daß das „Gute“ beziehungsweise „Schlechte“ im Menschen fast ausschließlich genetisch bedingt ist und so gut wie keine Willensfreiheit besteht, doch Widerspruch auslösen. Zu den aktuell bleibenden Schlußfolgerungen Ditfurths jedenfalls gehört, „daß der Besitz letztgültiger Wahrheiten nicht zu den Möglichkeiten des Menschen zählt ... Uns allen wäre geholfen, wenn sich auch im gesellschaftlichen Raum die Einsicht durchsetzte, daß eine von keinerlei selbstkritischem Zweifel angekränkelte Selbstgewißheit eine Haltung verrät, der gegenüber äußerstes Mißtrauen am Platze, angesichts derer jede Befürchtung berechtigt ist.“ (S. 98)


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 10+11/96 (c) Edition Luisenstadt, 1996
www.berliner-lesezeichen.de

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