Eine Annotation von Hans-Rainer John
Daiber, Hans
Schaufenster der Diktatur
Theater im Machtbereich Hitlers.
Günther Neske Verlag, Stuttgart 1995, 408 Seiten

Über das Theaterleben unter dem Hakenkreuz geben bereits einige Bücher Auskunft, unerforscht ist das Terrain keineswegs. Wenn Hans Daiber (69), Hörfunkredakteur, Fernsehdramaturg und Theaterkritiker, erst jetzt nachzieht, fünfzig Jahre nach Ende des braunen Spuks, so hat der Verzug nicht nur Nachteile. Er konnte in Ruhe studieren, was bisher über Teilbereiche publiziert wurde, er konnte zusätzlich recherchieren, und die zeitliche Entfernung schärfte zudem seinen historisierenden Blick. Kurz: Was er nun bietet, ist die umfassendste, das Bisherige zusammenfassende Darstellung, die es zum Thema gibt, und eine überlegen wertende zudem.

Natürlich schildert Daiber den Ausgangspunkt - wie war das deutsche Theater Ende 1932 organisiert - und die Machtübernahme: die Auswechslung der Führungskader, die Eliminierung aller Juden, die ideologische Gleichschaltung. Theater wurde nun Kulturfassade des Nazi-Reiches, Schaufenster einer Diktatur, Mittel zur Repräsentation einer Elite und zur Unterhaltung und Erziehung des Volkes, Instrument zur Propagierung des NS-Mythos. Die Theaterkritik wurde abgeschafft (dafür gab's nur noch die Kunstbetrachtung - kein Rezensent durfte der Kritik der Parteiführung vorgreifen), es wurde ein eigenes Vokabular entwickelt (Spielwart statt Regisseur, Stabführung statt Musikalische Leitung, Schriftleitung statt Chefredaktion usw.), und die Darsteller hatten sich nach getaner Arbeit, sofern der Gröfaz im Hause war, nicht zu verbeugen, sondern mit Hitler-Gruß zur Führerloge zu wenden.

Nie vorher, nie nachher hat sich eine Regierung so um ihre Theater gekümmert wie die faschistische, Geld spielte praktisch keine Rolle. Quantitativ wuchs die Theaterwelt in die Breite - 1933 gab es 147 Theaterunternehmen mit 22 000 Beschäftigten, 1942 waren es 362 Theatergebäude mit fast 50 000 Beschäftigten - über die Qualität äußert sich Daiber kaum. Auf jeden Fall reiften nicht alle Blütenträume: Die nachdrücklich geförderte NS-Dramatik sproß nur spärlich und gebar nur Tagesware, und die zum „Thing-Theater“ umgedachte Freilichtbühnenkultur verlor auch bald allen Glanz.

Nein, es war viel äußerlicher, viel hohler Glanz in den Theatern, wenn es der NS-Staat auch verstanden hatte, mit Titel, Geld und Ehren die meisten Künstler zu ködern und damit eine bestimmte Professionalität verbindlich zu machen. Theaterkonzepte, Inszenierungsstile, Regiekonzeptionen spart Daiber aus, aber er schildert, wie am Ende eine Bühne nach der anderen ein Raub der Flammen wurde. Das Theaterleben brach zusammen, noch ehe es dem „Totalen Krieg“ zum Opfer fiel. Auch die engagiertesten Künstler schlugen sich, von Goebbels als „Etappenpack“ und „Drückeberger“ beschimpft, schließlich seitwärts in die Büsche.

Relativ ausführlich geht Daiber auf die theatralische Situation in Österreich nach dem „Anschluß ans Reich“ ein. Es ist sein Verdienst, daß er es nicht dabei beläßt, sondern auch (wenn auch sehr summarisch) untersucht, was die Nazis mit den Theatern dort anstellten, wo sie per Besatzung Einflußsphären gewannen: in der Tschechoslowakei, in Polen, Dänemark und Norwegen, in Holland und Belgien, in Frankreich, Rumänien, Jugoslawien und Griechenland, in der Ukraine und in Lettland/Littauen/Estland. Der Autor hat auch die theatralische „Truppenbetreuung“ geschildert und die Arbeit des Theaters des „Jüdischen Kulturbunds“. Auch vom Theaterspiel im Konzentrationslager (vor allem in Theresienstadt) ist die Rede.

Die Darstellung ist solcherart nicht nur umfassend, sie ist auch lebendig, treffend und knapp. Daiber läßt ununterbrochen die Fakten sprechen, es gibt kaum ein überflüssiges Wort. Dabei verzichtet er nicht auf Wertung, wobei sich Entschiedenheit mit Überlegenheit paart. Das zeigt sich vor allem bei der Charakterisierung der Künstlerpersönlichkeiten: Für und wider wird da erwogen, und die Umstände werden in Rechnung gestellt (Gründgens und Richard Strauss einerseits, Hilpert und Wegener andererseits). Erstaunlich, wie da in kurzen Strichen stimmige und runde Porträts entstehen. Bei Heinrich George und Werner Krauss, die sich zu tief mit den Nazis und ihrer Ideologie eingelassen hatten, war vom Ansehen freilich nichts zu retten (George rührte - was Daiber entging - nicht mal für seinen Dramaturgen Weisenborn die Hand, als dem der Tod auf dem Schaffott drohte), aber aufgelistet werden doch die Prominenten, die zwar kollaborierten, aber ihre Kontakte mit Faschisten nutzten, um sich für bedrohte und bedrängte Kollegen zu verwenden: Käthe Dorsch und Hermine Körner, Victor de Kowa und Brigitte Horney, Gründgens, Hans Albers und Henny Porten ...

Der Preis war allerdings freiwillige Selbstkontrolle einerseits, waren fürchterliche Loyalitätserklärungen und Führerbekenntnisse andererseits. Lothar Müthel legte so am 29. 3. 36 „freudig und dankbar Bekenntnis ab für den Retter, den Befreier und größten Staatsbaumeister Deutschlands, für den Rufer und Mahner eines wahren Friedens, für den genialen Täter und Menschen, für Adolf Hitler“, und das war kein Einzelfall. „Haben Künstler Charakter?“ fragt da der Autor mit Grund und findet sarkastische Worte für die Selbstabsolution, die sich 1945 auch Leute erteilten, die - wie Melchinger oder Knappertsbusch - sogar in die antisemitische Kerbe der Nazis gehauen hatten, ohne daß jemand sie gezwungen hätte.

Aber über kurz und lang spielten, sangen, dirigierten, inszenierten oder schrieben sie alle wieder, denn - so schließt Daiber ein wenig bitter - ein guter Künstler wird laut Bacon jeden Wechsel überstehen, „wenn er nicht zu wenig vom Mimen und nicht zu viel vom Ehrenmann besitzt“. Vielleicht ist es einer der wenigen Mängel des Buches, daß es zu wenig berichtet von denen, die widerstanden, die eher die Heimat verließen und unter schwierigen Umständen in anderen Ländern neu anfingen, als sich mit den Nazis gemein zu machen. Es waren so wenige nicht. Sie haben nach Ende ihrer Emigration das neubeginnende Theater nicht unwesentlich bestimmt und bereichert.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 10+11/96 (c) Edition Luisenstadt, 1996
www.berliner-lesezeichen.de

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