Eine Annotation von Helmut Eikermann
Blees, Thomas:
Glienicker Brücke
Ausufernde Geschichten.
be.bra Verlag, Berlin 1996

Der junge be.bra (Berlin-Brandenburger) Verlag ist bereits mit einer Reihe von Veröffentlichungen zur Berliner und brandenburgischen Geschichte hervorgetreten; der Publizist Thomas Blees hat in seinem großzügig ausgestatteten Band einen besonderen Ort, eine Nahtstelle ebendieser Geschichte herausgegriffen und in „ausufernden Geschichten“ beschrieben. In sechs großen Kapiteln erzählt Blees mit historischer Akribie alles, was man schon immer über diese Brücke wissen wollte, die eine besondere Rolle in der Geschichte des Kalten Krieges gespielt hat. Daß ein erstes Bauwerk an dieser Flußverengung seine Entstehung der Jagdleidenschaft eines Herrschers verdankt, vermag nach unseren historischen Erfahrungen ebensowenig zu verwundern wie die Nachricht vom Neubau erst nach vielen vergeblichen Klagen anläßlich einer geplanten Militärübung. Wir befinden uns in Preußen, und schon bei ihrer Gründung darf nicht jeder über die hölzerne Brücke, die von invaliden Soldaten bewacht wird.

Erst Friedrich Wilhelm II. läßt die Verbindungsstraße zwischen den Residenzen Potsdam und Berlin mit einigem Aufwand zu einer preußischen Musterchaussee ausbauen. Die dritte Brücke schließlich baut Schinkel aus Stein. 1834 wird sie mit einem Festakt eingeweiht, aber schon siebzig Jahre später ist der Schinkelbau mit den hölzernen Klappen für die Schiffspassage dem steigenden Verkehrsstrom zwischen den preußischen Metropolen nicht mehr gewachsen. Die Duisburger Firma Harkort baut die Metallkonstruktion, die noch heute die Havel überspannt und die als Symbol der deutschen Spaltung vierzig Jahre lang den Namen „Brücke der Einheit“ führte. Bis zu ebendieser Einheit. Seitdem heißt sie wieder schlicht Glienicker Brücke.

Blees hat all das aufgeschrieben, berichtet von der Zerstörung in den letzten Kriegstagen, dem Wiederaufbau und der Namensgebung, die eigentlich nur für die halbe Brücke vollzogen wurde und galt. Hin und wieder unterläuft ihm ein Fehler, den man ihm (Jahrgang 1964) verzeihen mag. Während der Blockade war Westberlin durchaus über die Brücken erreichbar, nur die Versorgung der Bevölkerung erfolgte über die Luftbrücke.

Selbst nach dem Mauerbau gab es noch Pendler von Ost nach West (was an dieser Stelle geographisch von West nach Ost bedeutet). Blees hat einen davon interviewt. Auch einer der drei Männer, die im März 1988 mit einem Lkw über die Brücke flüchteten, kommt zu Wort, und der ehemalige Kompaniechef der Grenztruppen, der die Öffnung der Brücke am 10. November 1989 miterlebte.

Am meisten gespannt ist man natürlich auf jenes Kapitel, das die Brücke international berühmt machte: Agentenaustausch auf der Glienicker Brücke. Nur dreimal, im Februar 1962, 1985 und 1986, haben solche Aktionen wirklich stattgefunden, die Blees sachlich und detailliert beschreibt. Auch hier ist es ihm gelungen, einen unmittelbar Beteiligten ausfindig zu machen, einen „Kundschafter“ des Ministeriums für Staatssicherheit, den der Rechtsanwalt Vogel am 11. Februar 1986 auf der Brücke in Empfang nahm. „Das ist eine Brücke jetzt für mich wie jede andere auch“, sagt der heute. Und das ist eigentlich das beste an all diesen ehemaligen Grenz-Brücken: Sie sind inzwischen Brücken wie jede andere auch.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 10+11/96 (c) Edition Luisenstadt, 1996
www.berliner-lesezeichen.de

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