Eine Annotation von Horst Wagner
Benz, Wolfgang/Neiss, Marion (Hrsg.):
Deutsch-jüdisches Exil: das Ende der Assimilation?
Metropol Verlag, Berlin 1994, 196 S.

Diese in der Reihe „Dokumente, Texte, Materialien“ des Zentrums für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin als Band 14 erschienene Textsammlung befaßt sich mit Identitätsproblemen deutscher Juden in der Emigration. Ein Hauptgesichtspunkt ist dabei das Spannungsverhältnis von Judentum und Deutschtum bei bedeutenden jüdischen Persönlichkeiten des deutschen Kulturlebens. Umfassendster der insgesamt zwölf Beiträge - allesamt Vorträge, die anläßlich der Tagung der Gesellschaft für Exilforschung 1993 in Berlin gehalten wurden - ist die Studie von Izabela Maria Furtado Kestler über den bekannten Berliner Bankier und Kunstmäzen Hugo Simon (1880-1950). Sie analysiert vor allem Simons im brasilianischen Exil verfaßten, bis heute unveröffentlichten Roman „Seidenraupen“, auf dessen über 1 600 Seiten er sich mit dem Wilhelminischen Deutschland sowie dem Fortbestand autoritärer Machtverhältnisse in der Weimarer Republik auseinandersetzt und es als „Aufgabe unserer Zeit“ bezeichnet, „dem sozialen Fortschritt den Weg zu bahnen, damit er den technischen einholt“. (S. 143) Mit Kurt Tucholsky, der bekanntlich während der Inflationszeit in Simons Bank arbeitete und eine Zeitlang sein persönlicher Sekretär war, beschäftigt sich der nicht minder interessante Vortrag von Beate Schmeichel-Falkenberg. Sie hebt das „tiefe Verständnis“ und gleichzeitig den „ironisch-liebevollen Abstand“ hervor, die Tucholskys Verhältnis zum Judentum kennzeichneten, und widerlegt die auch von jüdischen Autoren vorgebrachte Anschuldigung, Tucholsky (der 1914 aus der Jüdischen Gemeinde austrat und sich 1918 protestantisch taufen ließ) habe mit seinen kritischen Texten, z. B. den „Wendriner“-Geschichten, dem Judentum mehr geschadet als die Antisemiten. Sonja M. Hedgepeth zeigt in ihren Ausführungen über Else Lasker-Schülers Exil, daß die expressionistische Lyrikerin und Dramenautorin „glaubte, in Jerusalem die Bestätigung ihrer Zugehörigkeit zu dem ursprünglichen Stamm der Juden finden zu können, und sich dann herausstellte, daß sie in ihrer Lebensart doch eher nach Berlin paßte“. (S. 103) Weitere Vorträge sind dem Exil von Walter Mehring und Hertha Pauli, den Identitätsproblemen Siegfried Kracauers, der Lyrikerin Vera Lachmann, den religiösen Filmen von Henry Koster, Hans Habe als Herausgeber der „Neuen Zeitung“, der Palästina-Berichterstattung des „Pariser Tageblattes“ sowie dem deutsch-jüdischen Exil in der niederländischen Literatur 1933-1940 gewidmet. In der Studie über „Alfred Kerrs Einstellung zum Judentum vor und im Exil“ wird aus einem von ihm 1935 im „Pariser Tageblatt“ veröffentlichten Gedicht zitiert: „Die Juden haben unbestritten / Von allen Verfolgten das Schlimmste gelitten / Nicht weil sie politisch verschworen sind / Nur weil sie halt geboren sind.“(S. 71)


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 10+11/96 (c) Edition Luisenstadt, 1996
www.berliner-lesezeichen.de

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