Eine Annotation von Ingrid Schöppe
Gorys, Erhard:
Das neue Küchenlexikon
Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1994, 599 S.

„Wer an der Tafel einfältig ist, ist überall einfältig,“ mahnt ein Sprichwort aus der Cascogne. Diese Mahnung ist ernstzunehmen, deshalb sei Anfängern als auch Fortgeschrittenen in Sachen Küche dieses 7 500 Stichworte umfassende handliche Lexikon wärmstens empfohlen. Es enthält auf fast alle lukullischen Fragen mindestens eine Antwort und gibt unzählige Rezepturen preis. Werdende Feinschmecker können sich an ihm bilden, wobei die bequeme Möglichkeit der Mitnahme dieses Lexikons in die Tempel der Gourmets den noch nicht so Kenntnisreichen vor den fatalen Folgen eines Fauxpas aus Unwissenheit schützen kann. Konsequent hat der Herausgeber eines zum virtuosen Kochen und zum genießenden Selberessen animierenden Lexikons, alles ausgespart oder auf ein Minimum reduziert, was davon abhalten könnte. Deshalb gibt es von den über 7 500 Stichworten nur eines, das sich ausdrücklich mit Diät beschäftigt. Zu den Vorzügen des Lexikons gehört, daß es die internationale Küche einbezieht und uns dazu verführt, den verschlungenen historischen Pfaden von Speisen und Getränken, ihren Rohstoffen und Rezepten zu folgen und einzutauchen in den so wichtigen Teil der Menschenheitsgeschichte vom Essen und Trinken. So erfahren wir, daß das Bier schon seit über 9 000 Jahren auf den Speiseplan jeder ordentliche Küche gehört; der Chinakohl tatsächlich in China zuerst angebaut wurde; daß mit dem Namen Alexandre Dumas nicht nur „Die drei Musketiere“ verbunden sind, sondern auch ein delikates Gericht; den Chinesen offensichtlich auch die Erfindung der Eiscreme zu verdanken ist, das der Venezianer Marco Polo Ende des 13. Jahrhunderts nach Europa brachte; daß man im Altertum schon beim Frühstück in Ermangelung anderer Getränke Alkohol in leichter Form zu sich nahm; der Granatapfel seinen Namen den geleeartigen Samenhüllen verdankt, im Altertum als Sinnbild für Liebe und Fruchtbarkeit galt und höchstwahrscheinlich von Adam zur Verführung Evas genutzt wurde. Wußten Sie schon, daß der Debrecziner Gulasch seinen Weg um die Welt machen konnte dank der Aufstellung des 39. ungarischen Infanterie-Regiments vor 200 Jahren in Debreczin, in das die Rinderhirten der Pußta nicht nur sich, sondern auch ihr Lieblingsgericht einbrachten; der Kaiserschmarrn ursprünglich als Kaiserinschmarrn der Gattin des Kaisers Franz Joseph I. 1854 von Wiener Köchen gewidmet wurde, von dieser jedoch als kalorienbewußter Dame abgelehnt, vom Kaiser dagegen mit Genuß verspeist, einen festen Platz auf dessen Speiseplan erhielt und fortan Kaiserschmarrn heißt; daß Kaviar nicht nur als die teuerste Delikatesse - die auch gegen Gedächtnisschwäche helfen soll - gilt, sondern auch niemals mit Metall in Berührung kommen soll, weshalb echte Gourmets nur Löffel, Gabeln und Messer aus Holz, Horn oder Kunststoff verwenden; der bayerische Leberkäse ohne Leberzusatz bereitet wird; daß man immer ein Stück Meerettichwurzel im Portemonnaie haben soll, damit man immer gut bei Kasse ist; die Heimat des Reises China ist, dort bereits 2 800 vor Chr. angebaut wurde, langsam seinen Siegeszug um die Welt begann, über Ägypten und im 8. Jahrhundert Spanien und damit Europa, im 17. Jahrhundert Amerika erreichte; daß die Heimat des Spargels der Orient ist, die Ägypter ihn schon vor 4 500 Jahren auf ihrem Speiseplan hatten und er in Deutschland im Jahre 1568 erstmals angebaut und gestochen wurde; daß es der erfolglosen Belagerung Wiens durch die Türken zu danken ist, daß der Serbe Kolschitzky in der Domgasse das erste Wiener Kaffeehaus einrichtete und seither der Kaffee und das Kaffeehaus aus Österreichs Hauptstadt nicht mehr wegzudenken sind.

Wer das Lexikon zwischenzeitlich aus der Hand legt, wird schließlich dem hier zitierten Seneca recht geben, der feststellte: „O Ihr Götter, wie viele Menschen beschäftigt ein einziger Bauch.“


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 10+11/96 (c) Edition Luisenstadt, 1996
www.berliner-lesezeichen.de

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