Eine Annotation von Peter Reimers
Deschner, Karl Heinz:
Die Vertreter Gottes
Eine Geschichte der Päpste im 20. Jahrhundert.
Wilhelm Heyne Verlag, München 1994, 136 S.

Es ist eine aufregende, schockierende Beleuchtung politischer Einflußnahme des Papsttums auf die Weltpolitik in unserem Jahrhundert. Das Resümee der Untersuchungen Deschners lautet: Das 20. Jahrhundert sei, zumindest quantitativ gesehen, das kriminellste der Kirchengeschichte, weil der Vatikan sämtliche faschistischen Regimes bis in die vierziger Jahre maßgeblich mit etabliert habe und somit auch entscheidend mitschuldig an den 60 Millionen Opfern faschistischer Gewaltherrschaft gewesen sei. Die offiziöse kirchliche Geschichtsschreibung sieht dies anders. Sie wolle Hitlers Unterstützung durch den Vatikan, durch die deutschen und österreichischen Bischöfe nicht nur nicht aufarbeiten, sondern sich als Kirche im Widerstand, zumindest aber als vor allem durch den Faschismus verfolgte Kirche darstellen.

Beginnend mit der kritischen Beleuchtung der Politik Papst Leos XIII. zur Jahrhundertwende, der unter anderem die russischen Interessen förderte, weil er als Preis dafür die Oberhoheit über die russisch-orthodoxe Kirche erhoffte, sucht Deschner Wurzeln und Kontinuität der von ihm charakterisierten Politik des Vatikans nachzuweisen. Er will dies vor allem am konkreten Verhältnis der Päpste und einiger Bischöfe zu Krieg und Faschismus belegen. Insofern ist seine Darstellung nur ein Aspekt der Geschichte der Päpste im 20. Jahrhundert. So erfahren wir über den Nachfolger Leos XIII., über Papst Pius X. (1903-1914), daß er seinen antislawischen Überzeugungen nachgehend, im Gegensatz zu seinem Vorgänger, Deutschland und Österreich unmittelbar vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges in ihrer Serbienpolitik bestärkt habe. Der ihm folgende Papst Benedikt XV. gelte ob seiner Friedensappelle zwar als Friedenspapst, sei jedoch gleichzeitig für eine Militärseelsorge verantwortlich gewesen, „die den katholischen Soldaten das gegenseitige Abmurksen als höchste Pflichterfüllung befahl“(S. 29); Nachfolger Pius XI. (1922 bis 1939) habe „entscheidend die Heraufkunft des Faschismus in Italien“(S. 41) und Deutschland befördert, um die Macht der Kirche zu restaurieren, ja auszudehnen. Die Preisgabe der katholischen Volkspartei Italiens und der katholischen Zentrumspartei Deutschlands durch den Papst sei ein eindrucksvolles Zeugnis dafür. Das Konkordat vom 20. Juli 1933 belege einerseits die erfolgreiche Expansionspolitik des Papstes und andererseits die Unterstützung Roms für den gerade an die Macht gekommenen Hitler. Die Tür zur internationalen Anerkennung des deutschen Faschismus war geöffnet worden mit einem Vertrag, der, wie der Autor aufmerksam macht, noch heute in der Bundesrepublik geltendes Recht darstellt. Pius XII. habe dann die Politik seines Vorgängers gegenüber den Faschisten nach 1939 fortgesetzt.

Deschner sucht mit vielfältigen Beispielen, die positive Haltung der Päpste und vieler Bischöfe in Deutschland, Italien und Österreich zum Faschismus zu illustrieren. In populärer, teilweise polemisch zugespitzter Form sucht er auf sein Anliegen aufmerksam zu machen. Leider ver säumten es der Autor und der Verlag, die Quellen für den Leser nachvollziehbar zu machen und auf weiterführende Literatur zu verweisen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 10+11/96 (c) Edition Luisenstadt, 1996
www.berliner-lesezeichen.de

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