Eine Rezension von Bernd Heimberger

Falsche Fünfziger?

Hellmuth Karasek: Go West! Eine Biographie der 50er Jahre.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 1996, 351 S.

Hoppla, jetzt kommt Hellmuth! Hellmuth mit zwei El und Ha am Ende. Ein helles Kerlchen. Ein Anfangssechziger mit Jungengesicht und Schülercharme. Helle und mutig gibt Hellmuth unbekümmert den Hobby-Historiker. Kann er! Denn auch er kann sagen: Ich bin dabei gewesen! Der Triumphierende und Auftrumpfende ist Augen- und Ohrenzeuge. Der kompetente Hellmuth K. verklickert uns Eine Biographie der fünfziger Jahre. Frisch, fröhlich, frotzelnd zieht er vom feuilletonistischen Leder, ohne fürchten zu müssen, zwischen die Mühlsteine des „Literarischen Quartetts“ zu geraten. Die Biographie ist keine Literatur. Der Autor des autobiographisch angereicherten Zeitberichts ist Hellmuth Karasek: der ständige Dritte im Bunde des „Literarischen Quartetts“.

Karasek outet sich gern. „Outet“ hätte niemand in den Fünfzigern gesagt. Also gibt Karasek preis. Meist im Stil der Fünfziger. Er gibt preis, daß er ein Mann des Geistes ist - oder nur des guten Gedächtnisses? Ein Mann des Witzes - oder nur der Witze? Ein Mann der Literatur - oder nur des Literarischen? Kein Mann des Films, aber ein Fan des Films wie des gesamten darstellenden Milieus. Mensch Hellmuth liebt das Clowneske. Er selbst ist ein Darsteller. Ein Selbstdarsteller? Koketterie klebt ihm wie Honig an den Fingern. Kokett ortet er den Besserossi in den Fünfzigern und bekennt, einer von ihnen zu sein. Einer also, der von Ost nach West wanderte, die muffige gegen die miefige Lebenslüge tauschte, ohne einer auf den Leim zu gehen. Dem Kommunismus nicht zur Verfügung stehend, konnte der Antikommunismus nicht über ihn verfügen. Leben mit Lügen hätte Karasek sein Buch nennen sollen. Nicht „Go West!“ O-Ton Karasek: „Die fünfziger Jahre waren eine Zeit der Lüge.“ Lastig und lästig wollte der heitere Hellmuth den Lesern nicht kommen. Der launige Entertainer ist verliebt in Parolen, Witze, Anekdoten, Schnurren und Kinostücke, Kinostücke, Kinostücke. Die Fünfziger waren mehr als ein einziges Kino. Auch für Karasek, der als frisch gekürter Abiturient der Karl-Marx-Schule in Bernburg das Arbeiter- und Bauernparadies schnöde im Stich ließ. Karasek schlug sich 1952 auf die Seite des Kapitals. Was den Rückschauenden nicht hinderte, seine Ost-West-Retrospektive der Fünfziger zu riskieren. Der Autor holt aus der Historie raus, was in seinem Gedächtnis haften blieb. Geschickt, gescheit schränkt er manchmal ein, daß manches Ereignis auch anders gewesen sein könnte als geschildert. Seines guten Gedächtnisses gewiß, behauptet Karasek kühn. Zum Beispiel, daß die HO-Läden Anfang der Fünfziger öffneten, daß Adenauer 1957 den Sowjets die deutschen Kriegsgefangenen abluchste ... Dicht daneben ist auch daneben! Wiederholt stellt der sachkundige Schreiber seine Kenntnis in den Schatten. Den Schaden hat, wer dem Führer durchs Museum der Fünfziger aufs Wort folgt und glaubt. „Die fünfziger Jahre waren eine Zeit der kollektiven Verdrängung“, sagt Karasek, der gegen Vergeßlichkeit und Verwechslung nicht gefeit ist. Vorsicht, Karasek. Vorsicht vor Karasek? Der Biograph der fünfziger Jahre blickt nicht im Zorn zurück. Was er an Zufälligem und Zeitbestimmendem destillierte, mixte er in einem zinnernen Zeitbecher. Ausgeschenkt wird von einem Genießer ein süßlich-kräftiger Pfefferminzlikör, denn: „Die fünfziger Jahre waren ein Pfefferminzzeitalter.“ Na denn, süffelt mal schön! Hopplahopp!


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 10+11/96 (c) Edition Luisenstadt, 1996
www.berliner-lesezeichen.de

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