Eine Rezension von Rainer Jahn

Und wieder sind die Dinos los ...

Michael Crichton: Vergessene Welt
Roman. Aus dem Amerikanischen von Klaus Berr.
Droemersche Verlagsanstalt, München 1996, 464 S.

Für Dino-Freaks ist dieser Thriller ein unbedingtes Muß, für Fans spannender Abenteuerliteratur mit naturwissenschaftlichem Einschlag ist er immerhin empfehlenswert, Leuten mit Anspruch an Realismus und Literatur freilich wird er nicht ganz unbedenklich erscheinen.

Der weltweite Erfolg von DinoPark (verfilmt von Spielberg als „Jurassic Park“) mag den amerikanischen Bestseller-Autor Crichton (geboren 1942, Verfasser auch von Nippon Connection und Enthüllung) zu einer Fortsetzung verführt haben. Fünf oder sechs Jahre sind vergangen seit der Katastrophe auf der Isla Nublar, die durch geklonte Dinosaurier, in einer Art Vergnügungspark gehalten, zur Touristenattraktion aufgepeppt werden sollte. Der geldgierige Unternehmer John Hammond, der jene in der Kreidezeit ausgerotteten Riesenechsen per Genmanipulation neu produzieren ließ, ist gestorben, seine Firma International Genetic Technologies hat Bankrott gemacht. Aber in der wissenschaftlichen Welt mehren sich Gerüchte über neue Spuren der urzeitlichen Tiere.

Zwei Wissenschaftler-Teams machen sich für zwei Tage auf nach der Isla Sorna. Sie entdecken das Eiland als „Vergessene Welt“, als ehemalige Brut- und Zuchtstätte des InGen-Konzerns. Hier stehen noch die Genetik-Labors, in denen die künstliche Erzeugung der Echsen aus einem DNS-Strang bewerkstelligt wurde, hier wurden die Eier bebrütet, hier wurde der Nachwuchs herangezogen (mit Ziegenmilch und später mit zermahlenem Schafextrakt), der dann im Jurassic Park ausgesetzt wurde. Von Menschen ist die Insel inzwischen verlassen, die Anlagen sind verfallen, aber die letzten Dinos haben sich wundersam vermehrt und übervölkern das Eiland in zehn Spezies, die in der Größe zwischen 90 cm und 24 Metern differieren: eine vergessene Welt als Saurierparadies.

Das „Böse Team“ - Dogson, King und Baselton - will dort Dino-Eier klauen; die daraus gewonnenen Tiere sollen einem Pharma-Konzern uneingeschränkt für Experimente zur Verfügung stehen: eine künstlich erzeugte Rasse, auf die Tierschützer rechtlich nicht mehr ihre Hand legen können, mit allen Eigentumsrechten. Aber die Mannschaft bekommt, was sie verdient - sie wird von Dinos zertreten und verspeist.

Das „Gute Team“ - die Wissenschaftler Levine, Malcolm und Sarah Harding, der geniale Techniker Dr. Thorne mit seinem Adlatus Eddie und die Kinder Arby und Kelly - wird dagegen von uneigennützigem Forschungsdrang getrieben. Es interessiert sich für die bisher unerforschte Lebensweise der Tiere und vor allem für die Katastrophe, die in grauer Vorzeit zu ihrer Ausrottung geführt hatte. Aber auch diese Leute haben schwere Kämpfe zu bestehen und kommen - mit Ausnahme von Eddie - gerade mal so mit heiler Haut davon. Ein paar Informationen konnten sie in der Kürze zusammentragen, die Ursache des Massensterbens im Perm aber bleibt ihnen verschlossen.

Crichton hat eine reiche Phantasie mobilisiert, viele Vor- und Zwischenfälle, gräßliche Horror-Szenen und packende Aktionen sind ihm eingefallen, manchmal überschlagen sich die Ereignisse sogar. Er versteht, kribbelnde Spannung wachzuhalten und sich in gepflegter und lesbarer Sprache auszudrücken. Dem anspruchsvolleren Leser aber eröffnen sich viele Fragen, weil er sich allzu unbekümmert voranfabuliert.

Daß sich Crichton nicht allzuviel Mühe macht mit der Charakterzeichnung seiner Figuren, ist mit dem Genre entschuldbar. Zu viele Zufälle und unlogische Verknüpfungen müssen für den Fortgang der Handlung herhalten.

Nur die Ereignisse selbst müssen sich im Abenteuerroman durch Wahrscheinlichkeit und Logik auszeichnen. Und damit ist es nicht immer gut bestellt.

Crichton bedankt sich am Ende bei 25 Wissenschaftlern, deren Forschungsergebnisse, Spekulationen und Bücher er aufgesogen hat. Davon will er soviel wie möglich dem Leser vermitteln. Das ergibt einige ausgesprochen dozierende Seiten, grundiert die Abenteuerstory aber andererseits anspruchsvoll. Die wißbegierigen Kinder eignen sich wenigstens gut als Adressaten, aber wenn Malcolm bei der Operation auch unter Morphium noch Vorlesungen hält, wird es doch seltsam.

Crichtons Dinos aber kommen mir überaus menschenähnlich denkend und reagierend vor. Sie sind von unbegrenzter Anpassungsfähigkeit und unwahrscheinlicher Lernfähigkeit, und natürlich können sie, wie Märchentiere, Recht und Unrecht unterscheiden und sich rächen. Auch wenn man weiß, daß man es im Grunde mit Fabeltieren zu tun hat, fühlt man sich zunehmend veralbert. Dabei kann andererseits nicht unterschlagen werden, daß dem Buch eine ernsthafte, zivilisationskritische Idee zugrunde liegt. Crichton hat keine Beweise, führt aber das Aussterben der Dinos insgeheim nicht auf eine Eiszeit oder einen riesigen Meteoriten zurück, sondern auf eine Verhaltensänderung der Tiere, und er ist sehr besorgt, daß die Menschen in naher Zukunft dieses Schicksal teilen könnten. „Die Menschen verändern den Planeten, und niemand weiß, ob das eine gefährliche Entwicklung ist oder nicht. Verhaltensprozesse können schneller ablaufen, als wir es normalerweise bei der Evolution erwarten. In 10 000 Jahren sind die Menschen von der Jagd über den Ackerbau zu Städten und schließlich zum Cyberspace gekommen“, legt er Malcolm in den Mund. Und den Cyberspace hält der Autor für das Ende der menschlichen Spezies. „Warum? Weil er das Ende der Innovation bedeutet. Die Vorstellung, daß die ganze Welt vernetzt ist, bedeutet Massensterben.“

Vergleiche hinken, wie überall, so auch in der Literatur. Immerhin kann man prophezeien, daß Crichton so viele begeisterte Anhänger und erbitterte Kritiker finden wird wie Karl May. Und mit diesem Autor hat er sicher auch gemein, daß Absatzsorgen ihn nicht plagen werden. Schon hat sich Spielberg die Filmrechte auch für dieses Buch gesichert. Man kann also weiter gespannt sein ...


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 10+11/96 (c) Edition Luisenstadt, 1996
www.berliner-lesezeichen.de

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