Eine Rezension von Jörg Michaelis

Ein sächsisches Stehaufmännchen

Matthias Biskupek: Der Quotensachse
Gustav Kiepenheuer Verlag, Leipzig 1996, 214 S.

Wer kennt einen „Schlübbor“? Wem sagt das Wort „iewerall“ etwas?

Wie könnte man den Begriff „rischdor Lährling“ ins Neudeutsche übersetzen?

Was ist „Gampfgrubbe“?

Matthias Biskupek weiß die Antwort. Nicht-Sachsen sollten, schlägt er vor, die Worte sprechen, nicht lesen. Und sein Rat dazu: „So bedeutet s oder ss vor einem Zischlaut, daß auf dem s eine Weile zu verharren ist, bevor zum abschließenden Zischlaut hinübergehuscht wird.“ Er nennt auch gleich ein Beispiel. „Glassch (klassisch) sprich: glas-sss-schsch.“ Nun weiß sicher jeder, woran er ist.

Doch keine Angst - in Biskupeks Roman Der Quotensachse geht es zumeist allgemeinverständlich hochdeutsch zu. Erzählt wird die Geschichte des Mario Claudius Zwintzscher, im Jahr 1950 in Leipzig zur Welt gekommen, aufgewachsen in Ainitzsch an der Zschopau, genau im Zentrum des „magischen Sachsendreiecks“, womit die Städte Dresden, Leipzig und Chemnitz gemeint sind. Biskupek verfolgt nun den Weg seines Helden über die Jahre, Jahrzehnte hinweg bis in unsere Jetzt-Zeit hinein. Kindergarten, Schule, Pioniere, FDJ, Studium, Arbeit im Kombinat, Frauentag, NVA, Stasi-Akten, Ungarn, neue Parteien mit alten Gesichtern, Abtrünnige und Abzocker - nichts wird ausgelassen; dieser Mario oder auch „Marjoh“ war nie ein Held, war nie etwas Besonderes, er war wie so viele: irgendeiner aus der Schar der knapp 17 Millionen.

Und diesem Niemand, diesem Antihelden, Mitläufer und Mitmacher widmet Biskupek ein ganzes Buch? Woher soll das Interesse am Weiterblättern kommen? Der Autor, auch er Jahrgang 1950, auch er ein Sachse, nimmt sein Thema, eine deutsch-deutsche Biographie, nicht bierernst, zermartert sich nicht in grüblerischen Schuldzuweisungen. Er erzählt heiter-ironisch, selbst komplizierte politische Ereignisse oder Entscheidungen, ob der Juni 1953 oder die Biermann-Ausweisung, ob der Mauerbau 1961 oder die ständige Überplanerfüllung, bekommen bei ihm den hellen Schimmer eines wolkenlosen Frühlingsmorgens. Biskupeks Vorliebe für das Feuilleton, für das geschliffene Wort, für Wortspiele und originelle Wortverknüpfungen (Gorbatschow heißt bei ihm: Mineralsekretär, Honeckers Sprachschluderei gipfelt in dem verballhornenden Deukratschnik für Deutsche Demokratische Republik) läßt sich nicht leugnen.

Irgendwie meinte es das Leben mit diesem Mario Claudio Zwintzscher immer gut. Wir lernen einen Menschen kennen, dessen Überlebensstrategie darin besteht, all das zu tun, was andere von ihm erwarten. Sein Protest ist stumm und für die anderen nicht spürbar. Später aber, wenn's für die Kader- (pardon: Personal-)Akte wichtig scheint, wird er sagen, daß er schon immer und laut und deutlich dafür (oder dagegen) gewesen sei. Auch darin unterscheidet er sich also nicht von so vielen. Einen Sachsen wie Mario Claudius Zwintzscher wirft darum kein Sturm, ob er aus Ost oder dann aus West wehen mag, um. Er krümmt sich höchstens zu einer tiefen Verbeugung, und schwupps steht er wieder senkrecht und bereit für die nächste Verbeugung. Und das Leben geht weiter, für die Zwintzschers eine immerwährende Grünphase, wie Biskupek feststellt.

Eine vergnügliche Lektüre, doch keine banale. Humor mit Hintersinn. Matthias Biskupek hat genau beobachtet.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 10+11/96 (c) Edition Luisenstadt, 1996
www.berliner-lesezeichen.de

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