Eine Rezension von Daniela Ziegler

Über Frauen in der Antike: Zwei Bücher, zwei Methoden

Rigobert Günther:
Römische Kaiserinnen zwischen Liebe, Macht und Religion
Militzke Schulbuchverlag, Leipzig, 1995, 191 S.

Maria Dettenhofer (Hrsg.): Reine Männersache?
Frauen in Männerdomänen der antiken Welt.
Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1994, 275 S.

Rigobert Günther ist kein Unbekannter unter den Althistorikern. Seine Arbeiten liegen nicht nur in Form wissenschaftlicher Bearbeitungen, sondern auch in Taschenbuch-Ausgaben des Berliner Dietz Verlages vor. Zwischen 1975 und 1990 waren seine Themen u. a. die antike Sklaverei, auf deren Existenz das Römische Reich basierte, sowie die verschiedenen Facetten der Spätantike vom 3. bis zum 6. Jahrhundert n. Chr. Mit seinem neuen Buch wendet er sich nun den römischen Kaiserinnen zu. Dies verwundert. Denn ein Buchtitel wie Römische Kaiserinnen zwischen Liebe, Macht und Religion klingt nach Monumentalfilm und ist eigentlich typisch für das Ende des 19. und die 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Beispiele wären: A. Stahr, Römische Kaiserfrauen (1865), J. McCabe, The Empresses of Rome (1911), sowie G. Ferrero, Die Frauen der Cäsaren (1914).

Das Interesse an den sogenannten großen Frauen hielt bis ungefähr in die 60er Jahre an; danach wurde das Leben der Frau „schlechthin“ zum bevorzugten Thema. Dieser Wandel ist eng verknüpft sowohl mit einer Geschichtsbetrachtung „von unten“ (eines Bernt Engelmann) als auch mit der Entstehung der Frauenforschung. Beispiele neueren Datums, an deren Ende Dettenhofers Reine Männersache? gehört, wären unter anderem D. Balsdon, Die Frau in der römischen Antike (1979), S. B. Pomeroy, Frauenleben im klassischen Altertum (1985), S. C. Humphreys, The family, women and death (1986), W. Schuller, Frauen in der römischen Geschichte (1987), E. Cantarella, Pandoras Daughters (1988); Frauen in Spätantike und Frühmittelalter. Lebensbedingungen - Lebensnormen - Lebensformen, Hrsg. W. Affeldt (1990).

Warum nicht ein Thema wieder aufgreifen, das längst nicht mehr von Interesse zu sein schien? Nachdem man das Einbandfoto einer jungen Frau mit wehendem Blondhaar, das an eine Haarshampoo-Werbung erinnert, dem Verlagsmarketing zur Last gelegt hat, schlägt man Günthers Buch auf.

In komprimierter Form stellt der Autor im 1. Kapitel die Kaiserinnen des 1. bis 4. nachchristlichen Jahrhunderts vor, von Livia, der Frau des Augustus, bis hin zu Helena, der Mutter Konstantins des Großen, wobei er kurz die Stellung der Frau in der griechischen und römischen Antike umreißt. Aus dem 2. Kapitel wird klar, daß er sich auf die Augustae des 5. Jahrhunderts n. Ch. (Aelia Galla Placidia, Licinia Eudoxia, Justa Grata Honoria, Aelia Eudocia, Aelia Eudoxia und Aelia Pulcheria) beschränken will. Doch warum, wird auch nach mehrmaliger Lektüre der ersten 20 Seiten des Buches nicht klar. Hier angekommen, ist man irritiert, da doch der Titel mehr versprochen hatte.

Bei der Lektüre der folgenden Kapitel drängt sich bald der Eindruck auf, daß ein fortlaufender Text über die Ereignisse des 5. Jahrhunderts, in einzelne Kapitel geteilt, mit mehr oder weniger willkürlichen Überschriften (z. B. Der Hilferuf der Justa Grata Honoria) versehen sowie mit Daten zu den Kaiserfrauen, Informationen über Frauenleben und persönlichen Ansichten gewürzt wurde. Mit einer Einleitung und einem kurzen Fazit („Machten Frauen Geschichte?“) versehen: Schon war ein Buch über Kaiserinnen fertig. In chronologischer Erzählweise reiht sich ein Geschehnis ans andere: Kriege, politische Intrigen, dynastische Heiraten, religionspolitische Auseinandersetzungen. Aussagen von Zeitzeugen fungieren als Belege (Ammianus Marcellinus, Rufinus, Ambrosius von Mailand etc.). Dazwischen dann die jeweiligen Kaiserfrauen, die als Bräute, Ehefrauen, Mütter, Witwen, Intrigantinnen und Opfer im Fluß der historischen Ereignisse mitschwimmen. Wenn es anhand von Justa Grata Honoria und Aelia Pulcheria um das frühchristliche Ideal der Jungfräulichkeit geht, verweist der Autor auf die römischen Vestalinnen. Wenn geheiratet wird, erfährt man Einzelheiten über das römische Hochzeitsritual, und man lernt Hypatia, die alexandrinische Mathematikerin, kennen, wenn Aelia Eudocia (Athenais) erwähnt wird, die die Tochter eines Philosophen war.

Ratlos legt man das Buch wieder aus der Hand: Worum ging's eigentlich 163 Seiten lang? Was hat man über die Kaiserinnen des 5. Jahrhunderts gelernt? Daß sie „Einfluß“ (s. u.) nahmen oder es zumindest versuchten, daß sie enge Verbindungen zur jungen Kirche pflegten, daß sie im Interesse der dynastischen Erbfolge heirateten, daß sie sich bemühten, ihre Kinder auf den Thron zu bringen, daß es das Ideal der Jungfräulichkeit gab? Hätte man dazu eine seitenlange Erzählung spätantiker Historie gebraucht, die man vom Titel des Buches nicht erwartet hatte und ebenso auch anderswo hätte hernehmen können?

Der anekdotische Stil eines E. Kornemann, Große Frauen des Alterums (1952) ist, wie Günthers Text beweist, offenbar noch nicht ausgestorben: „Agrippina, die er (Claudius) danach heiratete, setzte ihm ein Pilzgericht vor, das man nur einmal verzehren konnte!“ (S. 11) Für derartige spannende Histörchen seien besser gleich die originalen Schriftquellen (Tacitus, Sueton, Cassius Dio etc.) empfohlen, um den antiken Hoftratsch in seinem ursprünglichen Zusammenhang zu begreifen.

Im folgenden ein Beispiel dafür, wie der Autor seine Haltung einer seiner Figuren (Pulcheria) gegenüber um 180 Grad ändert: „Hinzu kam, daß die zwei einflußreichen kaiserlichen Damen am oströmischen Hof, seine (des Theodosius II.) Gattin Aelia Eudocia und seine Schwester Pulcheria, ihm wenig Raum für die Durchsetzung eigener Pläne ließen.“ (S. 77) Weiter heißt es über Pulcheria: „Sie besaß eigentlich alles, was ihrem Bruder fehlte und ihrem Vater gefehlt hatte: eine überdurchschnittliche Begabung, leichte Auffassungsgabe, Energie, um einmal gefaßte Entschlüsse auch durchzusetzen, Bescheidenheit, sich trotz ihrer Dominanz am Kaiserhof immer hinter ihren Bruder zu stellen und nie die Kaiserin herauszukehren, obwohl sie es in Wirklichkeit war.“ (S. 147)

Was empfehle ich? Dem Buch neben einem anderen Titel (Vorschlag: „Das 5. Jahrhundert n. Chr. und seine Kaiserinnen“) und einen etwas „spätantikeren“ Einband zu geben, Man sehe sich dazu die Kaiserinnenmünzen an, bei denen von flatterndem Haar keine Rede sein kann. Für eine Begegnung mit einer spätantiken Augusta empfehle ich Henry Benraths Roman Die Kaiserin Galla Placidia (1937; 1959), eine spannende und fundierte Beschreibung des Lebens am spätantiken Kaiserhof. Für denjenigen, der keine historischen Romane mag: eine Stammtafel (wie im Anhang von Günthers Buch), ein altertumswissenschaftliches Lexikon, den entsprechenden Band aus Fischers Weltgeschichte, die originalen Schriftquellen und ein Buch über spätantike Münzen mit guten Abbildungen. (Die in großer Zahl erhaltenen Münzen sind die einzig benannten Denkmäler zu spätantiken Augustae; die Darstellungen der Frauen zeigen deutlich, daß deren imperiale Stellung auf Kosten ihrer Individualität ging, also die Person hinter ihrer Funktion stand. Dies nur am Rande.)

Aus der Werbung weiß man: Es ist nicht immer das in der Packung drin, was draufsteht. So was nennt man eine Mogelpackung. Dies kommt offenbar auch bei Büchern vor. Um römische Kaiserinnen geht es bei Günthers Buch jedenfalls nicht. Wem ist dies zur Last zu legen? Dem Wissenschaftler? Oder doch eher dem Verlagskonzept?

Maria Dettenhofers Band Reine Männersache? schneidet besser ab. Wie die Herausgeberin in der Einführung schreibt, ist die Sammlung von insgesamt acht Beiträgen ein „Experiment“ innerhalb der wissenschaftlichen Erforschung antiken Frauenlebens. Der Band „soll gesellschaftliche Rollen und Funktionen von Frauen in grundsätzlich von Männern dominierten Bereichen vorstellen“. (S. 9) Die weibliche Domäne ist traditionellerweise das Haus, die männliche liegt außerhalb in Politik und Armee. Nun geht es darum, herauszufinden, unter welchen Voraussetzungen Frauen die Schwelle nach draußen überschreiten und ihr Interesse an politischen Vorgängen äußern konnten. Daß es sich hierbei nur um Angehörige der Oberschicht gehandelt haben konnte, versteht sich von selbst.

Die acht Beiträge von Historikern, Philologen, Germanisten, Archäologen etc. decken nicht alle regionalen und chronologischen Bereiche der Antike ab, auch der Bereich der religiösen Kulte mußte ausgeklammert werden. Dennoch ist das „Experiment“ gelungen: Neben den Problembereichen Politik und Heer werden auch Personen, die „Geschichte machten“, exemplarisch beleuchtet, so daß ihr öffentliches Wirken in einem anderen, neuen Licht erscheint.

Wie die Herausgeberin in ihrem Beitrag „Die Frauen von Sparta“ beschreibt, war es im kriegstüchtigsten der griechischen Stadtstaaten üblich, daß Frauen wesentlichen Anteil am politischen Leben nahmen. Ein Unterschied zum normgebenden Athen lag in der Haltung zum weiblichen Körper: Anders als die Athenerinnen trieben die Spartiatinnen wie ihre Männer regelmäßig Sport. Linda-Maria Günther deckt am Beispiel „Aspasia und Perikles“ auf, daß weibliche Kompetenz zu politischem Rufmord führen kann. Leonhard Burckhardt und Jürgen von Ungern-Sternberg behandeln das Bild der „Cornelia, die Mutter der Gracchen“, das von ihren als vorbildlich angesehenen Eigenschaften als römische Matrone bestimmt wird (Einehe, Keuschheit, Kinderliebe, Disziplin, Zurückhaltung und Frömmigkeit). Die politischen Aktivitäten römischer Aristokratinnen nach Cäsars Ermordung sind das Thema in Maria Dettenhofers „Frauen in politischen Krisen“. Daß die römischen Armeen, Inbegriff der männlichen Domäne, ohne die Mitwirkung von Frauen nicht hatten existieren können, veranschaulicht Margaretha Debrunner Hall: „Eine reine Männerwelt?“ Schließlich schreibt Johannes Nollé („Frauen wie Omphale?“) über die Bekleidung städtischer Ämter durch Frauen im kaiserzeitlichen Kleinasien, deren Position sich aus der Stellung ihrer Familien ergab, wobei auf ihren öffentlichen Ehreninschriften vor allem ihre weiblichen Tugenden gerühmt wurden. Etwas aus dem Rahmen fällt der medizinhistorische Aufsatz des Pharmazeuten Michael Stein über „Die Frau in den gynäkologischen Schriften des Corpus Hippocraticum“. Die antiken Vorstellungen über den weiblichen und den männlichen Körper bedingten allerdings wesentlich die geschlechtsspezifische Aufgabenverteilung, stellen also die Bedingungen für weibliches Handeln in der Antike dar.

Last but not least Thomas Späths Beitrag „Frauenmacht in der frühen römischen Kaiserzeit? Ein kritischer Blick auf die historische Konstruktion der Kaiserfrauen“, dessen Thema sich am ehesten mit Günthers Buch deckt. Unter der Frage nach der „Konstruktion“ untersucht der Autor antike Schriftquellen z. B. auf Hinweise nach der rechtlichen Emanzipation von Frauen, ihrer tatsächlichen Möglichkeit, Macht auszuüben, wie weit ihr Einfluß am Kaiserhof reichte usw. Der Begriff „Einfluß nehmen“, „beeinflussen“, der immer einen unguten Geschmack nach Intrige und Einflüsterung hat, gewinnt hier eine nüchternere Bedeutung.

Nach Späth waren die politischen Aktivitäten von Frauen immer von Männern abhängig; Frauenmacht hieß nicht, autonome Entscheidungen zu treffen, sondern den „politischen und gesellschaftlichen Aufstieg ihrer nächsten - männlichen - Verwandten zu fördern und abzusichern“. (S. 187) Der einzige Weg hierzu war die private, inoffizielle Einflußnahme, da es für Frauen unüblich war, eine Meinung öffentlich zu äußern. Späth führt ein sprechendes Beispiel hierfür an: Nach Tacitus habe die Kaiserin Agrippina hinter einem Vorhang verborgen an einer Senatsversammlung teilgenommen. Ihre „Macht ist die Einflußnahme hinter den Vorhängen der offiziellen Politik“. (S. 186)

Dettenhofers gelungenes Experiment ist ein Beispiel für redliche und fundierte Forschung, wobei es dennoch nicht das Vorurteil über die Trockenheit der Wissenschaft bestätigt. Allerdings wendet es sich an Leser, die es genau wissen wollen und die bereit sind, sich auf neuartige Sehweisen einzulassen. Der große Vorteil von Reine Männersache? ist: Man weiß immer, worum es geht.

Übrigens. Was die Abbildungen in historischen Veröffentlichungen betrifft, sollte man sich an die Devise halten: besser gar keine als funktionslose - bevor sie nämlich zu puren Illustrationen ohne Bezug zum Text verkommen. Da hilft auch ein Bildnachweis im Anhang nichts, wenn, wie in Günthers Buch, weder Datierungen noch Standorte der abgebildeten Denkmäler angegeben sind. (Das Porträt einer Frau auf S. 140 gehört nicht ins 5., sondern ins 4. Jahrhundert. Mit Sicherheit ist es ein Privatporträt, nicht das einer Augusta.) In Reine Männersache? sind zwar die Legenden zu den sparsam verwendeten Bildern ausführlich, der Bildnachweis hervorragend, aber warum nicht gleich Standort und Herstellungsdatum in die Legende? Die Einbandabbildung mit dem Vasenbild eines Tänzers und einer Tänzerin will nicht so recht zum Thema passen. Auf der Innenseite des Vorsatzblattes heißt es: „Volutenkrater. Tänzer und Tänzerin der Karneia“. Hiermit sei nachgeliefert, was es damit auf sich hat: Die Karneia waren ein Apollonfest, das vor allem in Sparta gefeiert wurde. Vermutlich handelte es sich um ein Fest für die universelle Fruchtbarkeit.
In einem rituellen Lauf wurde ein bekränzter Mann verfolgt, der als Erntedämon zu gelten hat.

Machten Frauen Geschichte? Hierzu Maria Dettenhofer: „Europäische Geschichte war immer die Geschichte von Männern und Frauen. Manchmal war sie - wenn auch nur in Ausnahmefällen - sogar eine Geschichte von Frauen in der Art, daß im Sinne Treitschkes auch Frauen Geschichte machten.“ (S. 6)


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 10+11/96 (c) Edition Luisenstadt, 1996
www.berliner-lesezeichen.de

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