Eine Rezension von Karl-Heinz Arnold

Seriöse Schelte ohne Konsequenzen

Jürgen Gaulke: Der Klub der Kontrolleure
Das Versagen der deutschen Aufsichtsräte.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 1996, 271 S.

Wer sich zum Stichwort Aufsichtsräte sachkundig machen und die Innereien von Aktiengesellschaften ein wenig kennenlernen möchte, wird mit dieser kritischen Darstellung gut bedient sein. Das Buch bietet eine Fülle von Informationen und stellt wesentliche Zusammenhänge her. Wer sich freilich fragen sollte, ob die seriös begründete Schelte - denn darum handelt es sich - des Klubs der Kontrolleure konsequent zu Ende geführt ist, wird wohl zu einem Nein gelangen. In absehbarer Zeit und rebus sic stantibus wird das nachweislich marode System laxer Beaufsichtigung von Aktiengesellschaften nicht abgeschafft werden, um einer effizienten Kontrolle im Interesse der Aktionäre sowie des Gemeinwohls zu weichen. Gemeinwohl heißt ja auch und nicht zuletzt, aus wirtschaftlicher Tätigkeit seinen Anteil dem Fiskus zu geben, nämlich ehrlich bemessene, unverkürzte Steuern, statt ihn und damit die Bürger für Milliardenverluste schlecht geleiteter und kaum kontrollierter AG bluten zu lassen.

Jürgen Gaulke, Jahrgang 1963, gehört zu den fachlich fundierten Wirtschaftsjournalisten jüngerer Generation, die sich offenbar mit den erstarrten Formen und patriarchalisch verfilzten Zuständen des Kapitalismus in Deutschland nicht abfinden, seinen Mangel an Innovationsfähigkeit im Vergleich zu den USA und Japan nicht hinnehmen, Reformen anmahnen. Dabei stellen sie den Konsens mit den gegenwärtigen Chefetagen von Wirtschaft und Politik nicht ernstlich in Frage. Die systemkonforme Kritik erlaubt und verlangt jedoch, deutlich auf den Pfusch hinzuweisen, der eben dort durch Inkompetenz und Nachlässigkeit verursacht wird: Die zur Aufsicht bestellten Herren - von Damen ist keine Rede - kontrollieren allzu oft die Manager mehr schlecht als recht oder überhaupt nicht und kassieren dafür noch cash, von ganz ordentlich bis exorbitant.

Ein Beispiel von vielen, die ausgebreitet oder skizziert werden: Die Daimler Benz AG hat 1995 einen Verlust von rund sechs Milliarden Mark eingefahren, und zwar weitgehend durch Mißmanagement. Der hierfür verantwortliche Vorstand aber blieb weitestgehend ungeschoren - der ebenfalls verantwortliche Aufsichtsrat wollte es so und konnte es so. Er konnte noch mehr: Die Vorstände erhielten 600 000 Mark „Leistungszulage“, Trostpflaster für die Kürzung ihrer Tantieme (die an die Dividende der Aktien gekoppelt ist) um 320 000 Mark. So beschlossen vom Aufsichtsrat im Februar 1996.

Neben ausführlicher Darstellung der Vorgänge bei Daimler, das heißt des Scheiterns als „integrierter Technologiekonzern“, werden weitere Beispiele geboten, teils in gesonderten Fallstudien, teils im Rahmen von thematisch übergreifenden Kapiteln wie „Blindes Vertrauen in den Vorstand?“ oder zur unrühmlichen Rolle willfähriger Wirtschaftsprüfer („Im Zweifel für den Vorstand“ statt im Dienste des Aufsichtsrats). Die Beispiele reichen vom Bauriesen Holzmann bis zu Südmilch und Sachsenmilch, von der Harpener AG (ehemals Steinkohlenzechen) über den Sportbödenhersteller Balsam bis zum Skandal namens Bremer Vulkan. An der Pleite der Metallgesellschaft (MG) wird insbesondere deutlich, was auch im Fall Daimler zu den Problemen und Verlusten wesentlich beigetragen hat: Konzernchefs entwickeln den Drang, sich durch Beteiligungen, branchenfremde „Standbeine“ und Ausweitung des Geschäftsfeldes zu übernehmen, und indem sie sich dergestalt überfressen, werden sie in der Regel durch keinen Aufsichtsrat gebremst oder gar zurückgepfiffen, denn solch direkter Eingriff in die Geschäftsführung ist unzulässig.

Dieses Phänomen einer Manager-Bulimie, das auch bei Konkursen anderer AG als Ursache zu bemerken ist, hätte durchaus ein eigenes Kapitel vertragen. Aufsichtsräte können von dergleichen Freßsucht übrigens selbst dann befallen sein, wenn sie anderswo zum Vorstand einer Firma gehören. Dies wiederum ist, wie Gaulke darlegt, landesüblich. Den Filz, der dadurch entsteht, also Ämterhäufung und Interessenkonflikte nach dem Motto „Nickst du in meinem Laden, nicke ich in deinem Laden“, ordnet der Autor deutlich unter die Negativpunkte ein.

Die in dem Buch präsentierte Häufung von wiederkehrenden Fehlern des Managements und von Nachsicht der Aufsichtsräte gegenüber schweren Versäumnissen der Firmenlenker macht, je nach Temperament, zornig oder nachdenklich. In jedem Fall liegt die Frage nahe: Was sollte geschehen, um das Versagen des Klubs der Kontrolleure einzuschränken, womöglich sogar zu beenden? Hierzu werden - vielleicht kann man sagen: erwartungsgemäß - keine radikalen, also das Übel an der Wurzel packenden Veränderungen gefordert. Obwohl man liest, daß die Aufsichtsräte in der Mehrzahl für ihr Amt nicht qualifiziert sind, daß es eine Häufung von Mandaten bei einzelnen Personen gibt, daß eindeutige Interessenkonflikte geduldet werden, daß im Verhältnis des Aufsichtsrates zur Hauptversammlung die Mißachtung der Aktionäre regiert.

Der Autor schlägt allerdings einige Reformen vor, um die „Überwachungslücke“ zu verkleinern. Beispielsweise sollte, so betont er, die Haftung der Aufsichtsräte verschärft werden. Die verwendete Steigerungsform „verschärft“ könnte die Annahme nahelegen, es gäbe schon eine scharfe Haftung oder doch mindestens eine materielle Sanktion bei Versagen (ein typisches Versagen ist verspätetes oder überhaupt nicht erfolgtes Auswechseln des Managements eines kollabierenden Unternehmens). Welche juristisch praktikablen Möglichkeiten es nun geben könnte, bleibt freilich offen. Der Bankier Hermann Josef Abs hat mit der ihm eigenen Kaltschnäuzigkeit und Bildhaftigkeit die Frage in einem Satz beantwortet, der (leider ohne Quellenangabe) im Buch zitiert wird: „Einen Aufsichtsrat haften zu lassen ist schwieriger, als eine Sau am eingeseiften Schwanz festzuhalten.“ Die Schwierigkeit liegt übrigens nicht zuletzt in der Tatsache, daß Aufsichtsrat und Vorstand in der Praxis zusammenzuhalten pflegen, sich gegenseitig decken. Beide zusammen werden - in Abgrenzung zur Aktionärsversammlung - gemeinhin „die Verwaltung“ genannt, auf diese bezeichnende Gepflogenheit hätte Gaulke hinweisen können.

Auch wie das Defizit an „Aktionärsdemokratie“ zu beseitigen wäre, das der Autor beklagt, bleibt letztlich offen. Tatsächlich hat die in der Bundesrepublik Deutschland praktizierte Wirtschaftsführung mit Demokratie überhaupt nichts zu tun. Gaulke stellt ja unter anderem richtig fest, daß den Banken die Aktionärsinteressen „ziemlich egal“ sind. Fügen wir hinzu: ziemlich egal, obwohl im Aktiengesetz (§ 128) die Banken verpflichtet sind, im Interesse der Depotkunden abzustimmen, also der Kleinaktionäre, die ihre Wertpapiere über eine Bank erworben und dieser wie üblich gleich zur Verwahrung anvertraut haben. Bezeichnender Fall, im Buch dargestellt: „Bei Siemens votierten alle drei Großbanken mitsamt ihren Depotstimmen gegen die Abschaffung der Mehrfachstimmrechte der Siemens-Erben.“ Diese von der Familie gehaltenen Aktien haben ein sechsfaches Stimmrecht im Vergleich zu allen anderen Aktien! Nun, solange Banken, Siemens und Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) beim Depotstimmrecht an einem Strang ziehen, um es bei den Banken zu lassen, wird sich nichts ändern, wird es keine unabhängigen Interessenvertreter der Kleinaktionäre geben, wie Gaulke sie vorschlägt. Das heißt, auch Millionen Telekom-Aktien der Kleinanleger sind und bleiben in den Bankdepots.

Ebenfalls festgeschrieben ist die erbärmliche Stellung der Arbeitnehmervertreter in Aufsichtsräten (keineswegs in allen sind Gewerkschafter präsent). „Kontrollproletariat“ werden sie, dem Usus entsprechend, im Buch genannt. „Sie stehen auf der untersten Stufe, denn sie müssen draußen bleiben, wenn die wichtigen Entscheidungen getroffen werden.“ Zu einigen wenigen Anlässen sind sie zugelassen, allerdings „nur Gast, ohne große Befugnisse und ohne die notwendige Mehrheit, aber immerhin mit Fragerecht“. Wenn sie denn überhaupt fragen möchten... Dem ostdeutschen Leser könnte sich ein selbstverständlich weit hergeholter Vergleich aufdrängen: Bei den Vereinigungen Volkseigener Betriebe, den späteren konzernähnlichen Kombinaten, gab es Gesellschaftliche Räte; sie hatten Fragerecht und waren zumeist weder sachkundig noch mutig genug, zudringliche Fragen an den Generaldirektor zu stellen, wurden folgerichtig nach einigen Jahren abgeschafft.

„Aufsichtsrat ist ein wunderbarer Beruf“, stellt Gaulke gleichsam resümierend fest, und er meint damit den Rat erster Klasse, nicht den kleinen Mitsitzer, der fürs Kopfnicken bei ein paar Sitzungen nur 20 000 oder 30 000 Mark im Jahr einsteckt (zuzüglich Essen, Trinken, feinstes Hotel und Fahrgeld oder Fluggeld), sondern den Besserverdienenden: „Wer als Multikontrolleur durch die Lande reist, kommt mit einigen Vorsitzen bis auf mehr als 900.000 Mark“, selbstverständlich steuergünstig. Verantwortung hat er nicht. „Er kann selig schlafen, das Studium der Unterlagen ist eine freiwillige Leistung, er kann ohne Reue die falschen Vorstände bestellen, mit ihnen goldgeränderte Anstellungsverträge schließen und die Abberufung versäumen, wenn ihr Versagen längst offenbar geworden ist. Er muß nichts, aber auch gar nichts fürchten - nicht einmal die Aktionäre, in deren Auftrag er dort tätig ist.“ So könnte man, sofern man Kleinaktionär ist, frei nach Tucholski sagen: Wir löffeln es aus, sie brocken es ein, wer möchte da nicht `n Aufsichtsrätchen sein.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 10+11/96 (c) Edition Luisenstadt, 1996
www.berliner-lesezeichen.de

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