Eine Rezension von Helmut Fickelscherer

Beziehungskiste Hund

Waldtraut Lewin/Miriam Margraf: Hunde in der Stadt
Geschichten und Empfehlungen.
Verlag Neues Leben, Berlin 1996, 224 S.

Die Domestikation des Wolfes begann vor 15 000 Jahren in der mittleren Steinzeit, und seither ist Canis familiaris, der Haushund, nicht mehr wegzudenken aus dem Leben der Menschen. Auch in den Großstädten mit ihren hundepfotenfeindlichen, glasscherbenreichen, betonierten Straßenschluchten ist er der treue Gefährte des Menschen, vielleicht auf Grund letzter unterbewußter Erinnerung an ein natürliches Dasein, an die Jagd in urwüchsigen Wäldern statt der Hatz des städtischen Alltags.

Stets ist die Gattung Hund im Bewußtsein der Städter präsent. Da vergeht zum Beispiel keine Medienwoche ohne pro und contra Hund. Eltern beschweren sich - völlig zu Recht - über hündische Hinterlassenschaften im Buddelkasten des wohnbezirklichen Spielplatzes, und Hundehalter beklagen - ebenfalls völlig zu Recht -, daß der letzte kleine Park im Kiez für Hunde gesperrt wurde, die nun keine Auslaufmöglichkeit mehr haben. Verständlich auch die Sorgen über die Gefährlichkeit der sogenannten Kampfhunde, die oft von gewissenlosen Züchtern so scharf und unberechenbar gemacht wurden, daß sie eine Gefährdung der Öffentlichkeit darstellen; einige wurden von ratlosen Besitzern sogar im Tierheim abgeliefert. Als zwei Polizisten versuchen, an einem „Kampfhund“ vorbei eine Wohnung zu betreten, ohne daß dessen Halter das möchte, müssen sie das Tier erschießen, nachdem es auch mit Fangleinen nicht zur Räson gebracht werden konnte.

Aber so dramatisch geht es selten zu, im allgemeinen leben Menschen und Hunde friedlich zusammen und tolerieren einander, auch wenn der Tritt in einen Hundehaufen nicht zwangsläufig den Lottogewinn nach sich zieht. Von Gewinn ist es fast immer, wenn es einen - oder mehrere? - Hunde in der Familie gibt, und oft ist der Vierbeiner sogar Familienersatz und beinahe einziger sozialer Kontakt. Nach einer Umfrage der Zeitschrift „Partner Hund“ fühlt sich ein gutes Drittel der befragten Hundehalter ihrem Hund sogar näher als anderen Menschen. Der Hund also als Mitmensch? Fernsehserien wie „Lassie“ oder „Kommissar Rex“ wollen das suggerieren, aber hier ist Vorsicht geboten. Menschen mögen sich wie Hunde verhalten, ein Hund aber niemals wie ein Mensch. Gegenteilige Meinungen führen zu Mißverständnissen, die schmerzhafte Folgen haben können.

Gerade diese Mißverständnisse auszuräumen, eine möglichst artgerechte Haltung der vierbeinigen Partner zu gewährleisten, echtes Verständnis für das Verhalten des Hundes aufzubringen ist das Anliegen dieses Buches, das im Untertitel Geschichten und Empfehlungen verspricht und durchaus zur Ratgeberliteratur gezählt werden kann.

In einer kurzen Einführung teilt Miriam Margraf mit, welche Erfahrungen sie mit Hunden gemacht hat, und dann beginnt gleich die Geschichte von „Hund, Mensch und Auto“, von dem Jagdhund Deutsch Drahthaar namens Basso, der ein neues Zuhause sucht, sich aber nur Menschen anschließt, die einen Skoda fahren. Wie er durch sein merkwürdiges Verhalten auch noch eine kurze, aber heftige Liaison zwischen zwei jungen Leuten stiftet, ehe er auf Nimmerwiedersehen verschwindet, das ist ebenso eindrucksvoll geschildert wie das Schicksal des Boxerrüden Astor in „Andere Zeiten“, dessen Besitzer Selbstmord verübt und ihn ausgerechnet dem Handwerksmeister hinterläßt, den er einst verraten hat.

„Das Mädchen mit dem schwarzen Schäferhund“ erzählt von der temperamentvollen Hündin Jessi, die freundlich mit Kindern spielt, der aber der Jagdtrieb nicht abzugewöhnen ist. Sie ist nicht so friedlich wie die vier kleinen Hunde des „Zorro vom Bahnhof ...“, eines „Alternativen“ mit Irokesenkamm, der seine vierbeinigen Schutzbefohlenen mit viel Verständnis betreut und ihnen keineswegs Joints zur Beruhigung verpaßt, wie böse Zungen behaupten.

Was jemandem passieren kann, wenn er sich einen echten Jagdhund als Zwergdackel andrehen läßt, kann man in „Weidmanns Heil“ nachlesen. Ernsthafter, aber nicht weniger aufschlußreich dann die Geschichte „Der Diensthund“.

„Der Hund aus dem ‚Miljöh‘“hilft indirekt sogar, die soziale Kluft zwischen Vorderhaus und Hinterhaus zu überwinden und die Beziehung des wohlerzogenen Moritz zur wild aufgewachsenen Nachbarstochter Yvonne zu festigen.

Wie es einer Rentnerin ergeht, die ihren treuen Hund nicht mit in ihre Altenwohnung nehmen darf, wird in „Lebensabend“ gleichermaßen einfühlsam erzählt wie die Geschichte vom Riesenschnauzer Carlos - „Familie Doktor Herrberger mit Hund“ -, dessen Existenz der Familie aus der Isolation hilft, was bei der überfetteten Mischlingshündin Cosima in „Alter Mann mit Hund“ im Falle des alten Professors nicht gelingt.

Beängstigend die Erzählung „Sportsfreunde“, in der der Pitbull mit dem harmlosen Namen Schneeball von seiner frustrierten Besitzerin in Hundekämpfe gehetzt wird.

Den Erzählungsreigen beschließt „Kuba mit den Bernsteinaugen“, ein junger Pole, der einer wegen eines Unfalls arbeitslosen Schauspielerin eine Hündin schenkt, die sich zu einer „Filmhündin“ entwickelt, womit erneut ein Kontakt zur Künstlerszene ermöglicht wird.

Aber die Geschichten sind nur ein Teil des vorliegenden Bandes: Zwischen sie eingestreut sind fünf Kapitel einer längeren Erzählung mit dem Titel „Christian und die Natur des Hundes“. Hat der Leser schon in den einzelnen Storys einiges über das Wesen Hund erfahren, so werden nun ganz konkrete Ratschläge erteilt. Dem Christian ist die Freundin weggelaufen, und er möchte sich, um sich zu trösten, einen Hund zulegen. Dabei ist nun einiges zu beachten: Rassehund oder Mischlingshund; groß, mittel oder klein; welche Hunderasse ist wofür am besten geeignet; Welpe oder älterer Hund, ein Hund aus dem Tierheim? Rüde oder Hündin; Kastration und Sterilisation - ja oder nein? Verhalten und Charakter der Hunde. Tierärztliche Betreuung und Ernährung der erwachsenen Tiere sowie der Welpen. Was bedeutet es für einen Hund, auch nur für Stunden allein gelassen zu werden? Was ist zu beachten, wenn man ihn auf Reisen mitnimmt? Wie soll man einen Hund erziehen? Wie klug sind Hunde? Und vieles andere mehr ...

Natürlich hat auch diese Erzählung einen überraschenden Schluß, wie überhaupt der gesamte Band jung und alt Lesespaß bereitet. Gerade diese spielerische und dennoch gründliche Vermittlung von Kenntnissen, gewonnen aus langjährigen Erfahrungen mit Hunden, kann zu einer sinnvollen Symbiose zwischen Mensch und Hund beitragen.

Bemerkenswert die illustrierenden Fotos, keine Hochglanzfotos aus Hundekatalogen, sondern einfühlsame Bilder von Hunden und Menschen. Im Nachsatz des Bandes wird dieser kräftige Schuß Realität bestätigt: „Die Autorinnen, die Fotografen und der Verlag wissen, daß die wiedergegebenen Szenen nicht immer den Ansichten und Normen über den Umgang zwischen Hund und Mensch und ihrer sonstigen Umwelt entsprechen, aber es gibt sie eben.“

Mit Hunde in der Stadt liegt ein Buch vor, in dem auf vergnügliche Weise dargestellt wird, nicht wie man auf den Hund, sondern wie man zum Hund kommt und mit ihm lebt - eine aufschlußreiche Lektüre für jeden Hundehalter, aber auch für alle anderen Hundeliebhaber.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 10+11/96 (c) Edition Luisenstadt, 1996
www.berliner-lesezeichen.de

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