Eine Rezension von Christoph Krüger

cogito ergo sum

Friedhelm Moser: Der philosophische Flohmarkt
Kleines Lexikon der Philosophie.
Eichborn Verlag, Frankfurt/M. 1995, 120 S.

Große Philosophen zeichnen sich vor allem dadurch aus, daß mit ihrem System die Philosophie ihren Höhepunkt und die Geschichte derselben ihren glücklichen Endpunkt erreicht hat. So gesehen, ist die Geschichte der Philosophie eine Geschichte von Höhepunkten im menschlichen Denken oder auch die endliche Geschichte in der gültigen Beantwortung von Fragen, egal, ob diese dem Geist der Welt oder dem Geist der Philosophen entsprungen sind. Lediglich vier Fragen sind noch offen geblieben. Wer sie noch nicht kennt und an ihrer Beantwortung mitringen will, kann bei Kant, oder viel bequemer, bei Mosers kleinem Lexikon der Philosophie nachschlagen. Doch nicht nur Neugierigen und Zweiflern, die schon a priori Philosophen sind, ist dieses kleine Nachschlagewerk empfohlen, auch all denen, die der Philsophie nicht allzuviel zutrauen. Auf nur 120 Seiten werden alle wirklichen Probleme der Menschheit benannt und philosophisch durchdachte Erklärungen für damit verbundene Phänome vorgestellt. Endlich wird die Frage gestellt, ob Aristoteles ein Masochist war; endlich erfahren wir, warum Abaelard - Sie wissen, das ist der mit der Héloise - kastriert wurde; lernen endlich den Zusammenhang zwischen cogito ergo sum und einem Kondom kennen; erfahren auch, worin die Wirksamkeit einer Diktatur besteht; werden wehmütgig erinnert an Zeiten, wo noch philosophische und sexuelle Aufklärung Hand in Hand gingen und in Die geschwätzigen Kleinode von Diderot mündeten; werden in unserer eigenen Erfahrung bestätigt, daß im wirklichen Leben das Gewissen ein Haupthindernis auf dem Weg zum Erfolg ist, und erfahren, warum das Gewissen nichtsdestotrotz einen Ehrenplatz in der Ethik innehat; sehen die Inquistion in einem milderen Licht, nachdem wir unter diesem Stichwort erfahren, daß diese nichts weiter war als ein kirchliches Forschungsinstitut, dessen Mitarbeiter sich in den philsophischen Diskussionen der frühen Neuzeit durch ihren Feuereifer auszeichneten; werden rechtzeitig daran erinnert, daß eine Verpflichtung zu tugendhaftem Leben erst vom Kardinal an aufwärts besteht; überwinden endlich bezüglich der Masturbation noch Reste eventuell vorhandener Schuldgefühle, nachdem wir unter dem entsprechenden Stichwort - das allerdings nicht so leicht zu finden ist, weil es in eine philosophische Fragestellung gekleidet ist - frei von allen Versuchen der Vernebelung gesagt bekommen, daß schon Aristoteles gelehrt habe: „Das Glück gehört denen, die sich selbst genug sind“; wissen schließlich, warum sich von der Leibnizschen Monadenlehre nur die Limonade durchgesetzt hat; dürfen hinter das Geheimnis der Vorsilbe „Neo“ schauen, die nichts weiter anzeigt, als daß eine philosophische Lehre das erste Lifting hinter sich hat, und erfahren unter dem vorletzten Stichwort, daß Descartes die Zirbeldrüse, eine mit Kalkgries gefüllte Ausstülpung an der Gehirnbasis, für den Sitz der Seele hielt. Eine Theorie, die bis heute nicht widerlegt sei. Allein dieser kleine Exkurs zeigt, daß, wer auch immer sich den Fragen des Lebens ernsthaft stellen will, kann an dieser kauzigen Geschichte der Philosophie in Stichworten, die keinem Geringerem gewidmet ist als Schopenhauers Pudel, nicht vorbei. Auch wer an der Philosophie noch nicht interessiert ist, sollte dieses Buch erwerben, denn für den Fall, daß er einmal eine Frage hat, kann er hier nachschauen. Denn im Unterschied zum Tod, der uns nach Epikur deshalb nichts angeht, weil er, solange wir existieren, nicht da ist, und wenn er da ist, existieren wir nicht mehr, ist die Philosophie allgegenwärtig, oder?


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 10+11/96 (c) Edition Luisenstadt, 1996
www.berliner-lesezeichen.de

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